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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (17. Jahrhundert).

lität zur Geschmacklosigkeit und Albernheit. Je beliebter diese Stücke wurden, um so mehr suchte man auch bei ihnen Ordnung und Regelmäßigkeit einzuführen. Richelieu, der sich mit einem Stab von fünf Dichtern umgab und gelegentlich wohl selbst eine Szene oder einen Akt schrieb, war ein eifriger Förderer dieser Bestrebungen; Mairet, Chapelain, G. Scudéry brachten die Regeln in ein System. So entstand das regelmäßige Drama, dessen Gesetzen sich von nun an selbst das Genie fügen mußte. Mairets Tragödie "Sophonisbe" (1629) beginnt die Ära des klassischen Theaters; 1636 erschien der "Cid" von P. Corneille (1606-84), binnen fünf Jahren seine andern Meisterwerke: "Horace", "Cinna", "Polyeucte", "Pompée". Hier fanden sich zuerst eine edle, pathetische Sprache, kraftvoller Stil, echt dramatische Konflikte, und wenn der "Cid" noch die Gesetze der sogen. drei Einheiten häufiger verletzt, so macht sich Corneille später selbst zum Anwalt einer strikten Befolgung derselben. Auch für das Lustspiel, das sich langsamer entwickelt hatte, schrieb Corneille das Meisterstück "Le Menteur", die erste höhere Charakterkomödie; doch schließt sie sich, ebenso wie der "Cid", noch fast zu genau an ihr spanisches Vorbild an.

Bevor aber das Theater seine höchste Blüte erreichte, vollzog sich eine soziale Umwälzung, welche für die Entwickelung der französischen Litteratur von weit tragender Bedeutung war: der Adel, der bisher in großartiger Weise Poesie und Kunst begünstigt hatte, verlor in dem Krieg der Fronde alle Selbständigkeit und mußte sein Beschützeramt an den König abtreten. Dieser war nun unumschränkter Herrscher, und da mit Ludwig XIV. eine Persönlichkeit auf den Thron kam, welche den höchsten Begriff hatte von der königlichen Machtvollkommenheit und es für ihre Lebensaufgabe erachtete, dieselbe überall zur Anerkennung zu bringen, so wurde der französische Hof der Mittelpunkt des politischen und sozialen Lebens nicht nur in Frankreich, sondern auch in ganz Europa, und in den Prachtsälen von Versailles sammelte sich alles, was in Poesie, Kunst und Wissenschaft von Bedeutung war. Großartige Institute wurden begründet (1663 die Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften, 1664 die der Naturwissenschaften, 1671 die der Architektur etc., 1665 das "Journal des Savants"); Künstler, Gelehrte und Dichter wurden aufs freigebigste unterstützt. Aber wer sich in den Strahlen der königlichen Sonne wärmen wollte, mußte seine Selbständigkeit preisgeben; die strenge Etikette regelte die Formen und die Geister, und wie die Bäume des Parks von Versailles mußten Kunst und Poesie sich dem herrschenden Geschmack fügen. Streng und unerbittlich beseitigte Boileau (gest. 1711), der "Le Nôtre" der Poesie, jeden Auswuchs; in seiner "Art poétique" waren die Regeln angegeben, nach welchen sich die Dichtkunst unweigerlich zurichten hatte. Solche Luft war der lyrischen Poesie nicht förderlich, man fand immer noch am meisten Gefallen an eleganten Episteln, witzigen Epigrammen, zierlichen Madrigalen etc.; Frische und Schwung fehlten gänzlich, in frivolen Gedichten zeichneten sich Chapelle (gest. 1686), Chaulieu (gest. 1720), La Fare (gest. 1712), in sentimentalen Idyllen Antoinette Deshoulières (gest. 1694) und Segrais (gest. 1701) aus. Das Epos gelang noch weniger: die "Pucelle d'Orléans" von Jean Chapelain (gest. 1674), der "Alaric, ou Rome vaincue" von Georges de Scudéry (gest. 1667), der "Clovis" von Desmarets de Saint-Sorlin (gest. 1676) u. a. sind fast nur aus den Satiren bekannt. Ein Meisterwerk dagegen ist das komische Epos Boileaus: "Le Lutrin". Auch in der Satire und poetischen Epistel zeichnete sich Boileau fast allein aus. Die Fabel erreichte ihre Vollendung durch Lafontaine (gest. 1695); hier steht die elegante und energische Sprache mit der anmutigen, wahrhaft klassischen Darstellung in glücklichster Harmonie. Seine schlüpfrigen "Contes" können als Fortsetzung der Fabliaux gelten. Die reichste Blüte jedoch entfaltete die dramatische Poesie und zwar in den Schöpfungen Racines und Molières. Jean Racine (1639-99), für den die strengen Regeln kein Hindernis mehr waren, wußte in seinen formvollendeten, allem realen Beiwerk abholden Tragödien den Ton der wahren Leidenschaft und der innigsten Gefühle mit bewunderungswürdiger Feinheit zu treffen; Molière (1622-73), ein ebenso vorzüglicher Komiker wie Dichter, gehört durch die Wahrheit und Tiefe seiner Beobachtung, durch seinen sittlichen Ernst und seine geistvolle Darstellung zu den größten Dichtern aller Zeiten. Weit hinter ihnen stehen ihre Nachfolger: die Tragödien von Thomas Corneille (gest. 1709), Pradon (gest. 1698), Campistron (gest. 1723) u. a. sind oberflächliche, oft lächerliche Machwerke, und Scarron (gest. 1660), Boursault (gest. 1701), Brueys (gest. 1723) und Palaprat (gest. 1721), Dufresny (gest. 1724), Dancourt (gest. 1716) u. a. schrieben höchstens Possen zweiten Ranges; nur Fr. Regnard (gest. 1709) erhob sich mit seinem "Joueur" über die Mittelmäßigkeit. In diese Periode fällt auch die Entstehung der französischen Oper. Italienische Schauspieler und Sänger, welche Mazarin nach Paris berufen hatte, erregten die Lust am lyrischen Drama, und die ersten schüchternen Versuche hierin machten Perrin (gest. 1680) und der Komponist Cambert; doch bildete sich die Große Oper erst durch Lullys Musik und Quinaults (gest. 1688) Texte und führte seit 1667 den Titel: Académie de musique. Die komische Oper entwickelte sich auf den kleinen Bühnen (théâtres de la foire) und bot derbere Kost und gröbere Effekte, machte aber den privilegierten Theatern so starke Konkurrenz, daß diese 1709 ein Verbot des vokalen Teils dieser Darstellungen erwirkten. Auffallend blieb der Roman in seiner Entwickelung zurück. Die Schäferromane, für welche trotz der Parodie Ch. Sorels (in einem realistischen Roman: "Francion", 1622) die vornehme Welt und die "Preziösen" des Hotel Rambouillet lange geschwärmt hatten, waren mit der Mitte des Jahrhunderts aus der Mode gekommen; doch war der Geschmack an den süßlich-sentimentalen Geschichten geblieben, nur daß man sie in antikes Gewand gesteckt hatte. Es wurden nämlich Personen und Begebenheiten der griechischen und römischen Geschichte entlehnt, während Sitten und Charakter modern waren; das Ganze spielte sich in der Art der Ritterromane ab. Großartigen Erfolg mit solchen galanten Romanen hatten Gomberville (gest. 1674), La Calprenède (gest. 1663) u. Madeleine de Scudéry (gest. 1701), deren fade und langatmige Produkte nur das Gute hatten, daß sie zum historischen Roman überleiteten. Viel besser waren die Romane der geistreichen Gräfin de Lafayette (gest. 1693), der "Roman comique" von Scarron (gest. 1660) und der "Roman bourgeois" von Furetière (gest. 1688), zwei interessante satirische Zeitbilder, und die exakte, wenn auch stark pikante "Histoire amoureuse des Gaules" vom Grafen Bussy-Rabutin (gest. 1693). Eine große Vorliebe zeigte das Publikum für die Feenmärchen, von denen Ch. Perrault (gest. 1703) die erste Sammlung unter dem Titel: "Contes de