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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Freimaurerei

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Freimaurerei (Entwickelung in Deutschland).

in den lateinischen Reversen jedes Mitglied strengen Gehorsam (strictam obedientiam) geloben mußte. Man teilte den "Orden" in neun Ordensprovinzen. War Hundt ein wohlmeinender, betrogener Betrüger, so folgten ihm bald bewußte Gauner und Schwindler, zunächst Phil. Sam. Rosa, der eine Zeitlang mit einem neuen System sein Wesen trieb. Ihm folgte der Kriegsrat v. Koppen 1767 mit der Stiftung der Afrikanischen Bauherren, welche ihre geheime Weisheit von den ägyptischen Großmeistern, den Pharaonen, herleiteten, sodann Johnson a Fünen (sein eigentlicher Name war Becker oder Leucht), der in dem Kapitel des Rosaschen Systems zu Jena 1763 mit dem Vorgeben auftrat, der Großprior des wahren Templerordens zu sein. Inzwischen trat der nachmalige darmstädtische Hofprediger Stark mit dem Klerikat der Tempelherren hervor, das sich auf dem Konvent zu Kohlo mit der Strikten Observanz zu vereinigen suchte, und trieb der Geisterseher Schrepfer sein Wesen in Leipzig. Diese Wirren führten (1775) zu einem Konvent in Wiesbaden und (1782) zu dem von Wilhelmsbad bei Hanau, wo als Zweck der F. die moralische Vervollkommnung auf Grundlage der christlichen Religion festgesetzt, doch zugleich der noch immer nicht ganz erloschenen Vorliebe für das Rittertum durch die Gründung eines neuen Grades, "der Ritter von der Wohlthätigkeit", Rechnung getragen wurde. In diesem Wilhelmsbader oder rektifizierten (schottischen) System, dem nun der Herzog von Braunschweig seine ganze Pflege zuwandte, erlosch nach seinem Tod allmählich die Strikte Observanz. Von jetzt ab regte sich in der deutschen Brüderschaft das Streben nach Rückkehr zu den alten, einfachen Grundlagen der echten F. Deutschland übernahm nun an Stelle des stabil verbleibenden England die Aufgabe, durch gründlichere Erfassung der Idee der Maurerei und durch sorgfältige Erforschung ihrer Geschichte diese Rückkehr anzubahnen. Dahin gehören die Bestrebungen des eklektischen Bundes, der mit dem am 18. März 1783 erlassenen Zirkularschreiben, das zugleich die Bundesakte bildete, in Frankfurt a. M. ins Leben trat. Das sogen. christliche Prinzip, das er anfangs festhielt, streifte er 1843 ab. Ihm folgte die Große Nationalloge zu den drei Weltkugeln 1784, die mit ihren Töchterlogen von allen maurerischen Verbindungen, also auch vom Wilhelmsbader System, sich für unabhängig und das Wesen der F. in den drei Johannisgraden für abgeschlossen erklärte; zwar fügte sie noch vier Hochgrade hinzu, doch nur als Erkenntnisstufen, welche die Kenntnis der verschiedenen Systeme und ihrer Symbole vermitteln sollen, ohne irgend eine Art Suprematie zu üben. In gleicher Weise vollzog die aus der Loge Royal York durch Trennung in vier Logen hervorgegangene Großloge Royal York zur Freundschaft unter der Leitung von I. A. ^[Ignaz Aurelius] Feßler eine Revision ihres Rituals und ihrer Verfassung und nahm statt der vier höhern Grade sechs Erkenntnisstufen an (Allerheiligstes, Justifikation, Feier, Übergang, Heimat, Vollendung). Im J. 1803 wurden die sechs Erkenntnisstufen auf eine reduziert. Eine noch entschiedenere und bedeutsamere Umgestaltung erfuhr die Große Loge von Niedersachsen zu Hamburg, ursprünglich eine englische Provinzialloge, durch Schröder (Schrödersches oder Hamburger System), insofern dieser alle höhern Grade beseitigte und nur die drei Johannisgrade stehen ließ und zugleich das Reinmenschliche zum Prinzip erhob. Im Gegensatz hierzu verharrte die dritte preußische Großloge in ihrer Ausnahmestellung. Der preußische Generalstabsarzt Ellermann, infolge von Adoption v. Zinnendorf genannt, der von dem Großsekretär der Großloge in Schweden deren Akten zum großen Teil erhalten hatte, erklärte die Strikte Observanz für unecht und vereinigte 1770 zwölf auf der Basis der schwedischen Ordensdokumente gegründete Logen zu einer Großen Landesloge Deutschlands. Da sich dieselbe als maurerische Oberbehörde aller deutschen Logen aufwarf, konnten Streitigkeiten mit den übrigen Großlogen nicht ausbleiben; selbst die Großloge von Schweden nahm eine Zeitlang eine feindliche Stellung zu ihr ein, bis sie erst später ihr die vollständigen Akten auslieferte. Außer den genannten sechs Großlogen entstanden in Deutschland noch vier, nämlich 1813 die Landesloge von Sachsen, die Große Loge des Königreichs Hannover, welche sich 1866 infolge der Einverleibung des Landes auflösen mußte, und deren Logen sich meist der Großloge Royal York anschlossen, die Großloge zur Sonne in Baireuth und 1846 die Großloge zur Eintracht in Darmstadt.

In den 40er Jahren fing die steigende politische Bewegung an, dem Bund nachteilig zu werden; die thätigen Kräfte zogen sich zurück, und den Männern des Fortschritts, deren Parteizwecken der Bund als neutraler Friedenstempel nicht dienen konnte, galt die F. als "überwundener Standpunkt". Die Revolutionsjahre 1848-49 brachten vollends Parteiung und Stillstand in die Logen und die nachfolgende Zeit der Reaktion eine zunehmende geistige Erschlaffung, die sich in der kläglich dahinsiechenden Presse abspiegelte und selbst durch die Angriffe von außen (Eckert und Hengstenberg) nicht beseitigt wurde. Eine entschiedene Wendung zum Bessern ward erst durch die seit 1858 erscheinende maurerische Zeitschrift "Die Bauhütte" (hrsg. von J. G. ^[Josef Gabriel] Findel, s. d.) hervorgebracht, die einen reformatorischen Ton anschlug und eine ungewöhnliche Bewegung in die Logen brachte. Alle tüchtigern Kräfte schlossen sich ihr im Flug an, die maurerische Litteratur nahm einen neuen Aufschwung, und die meisten Großlogen, anfangs mit Bann und Zensur drohend, entschlossen sich zu einer zeitgemäßen Revision ihrer Verfassungen und Rituale, namentlich seit dem Bestehen des 1861 gegründeten Vereins deutscher Freimaurer, der in jährlichen Wanderversammlungen mit der "Bauhütte" für eine idee- und zeitgemäße Weiterbildung des Bundes, für Einführung eines allgemeinen Grundgesetzes, für größere Öffentlichkeit, Beförderung geschichtlicher Forschung, Beseitigung des Dogmatismus und christlicher Ausschließlichkeit, Abschaffung des Titelwesens, der Hochgrade und andrer Mängel, vor allem auch für umfassende maurerische Werkthätigkeit eintrat. Infolge dieser Wirksamkeit haben die deutschen Großmeister "allgemeine Sätze" vereinbart und 1872 den deutschen Großlogenbund mit wechselndem Vorsitz gegründet. Ganz vermochte sich dieser Bewegung selbst die stabile Große Landesloge von Deutschland nicht zu entziehen, deren Ordensmeister, der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, nach dem Erscheinen von Findels Schrift gegen dieselbe ("Schule der Hierarchie und des Absolutismus") sich in einer freisinnigen Johannisfestrede für historische Forschung und zeitgemäße Umgestaltung der F. aussprach, und die trotz ihrer Geheimthuerei die Herausgabe einer Zeitschrift ("Die Zirkelkorrespondenz") gestatten mußte. Als die Forschungen zu ungunsten des schwedischen Systems ausfielen, legte der Kronprinz sein Amt nieder und blieb nur stellvertretender Protektor sämtlicher deutschen Großlogen. Als der Verein deutscher Freimaurer nach