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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Geistliche Exerzitien; Geistliche Fürsten; Geistliche Gerichtsbarkeit

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Geistliche Exerzitien - Geistliche Gerichtsbarkeit.

vertreten, nämlich 35 Virilstimmen und 2 Kuriatstimmen, die schwäbische und die rheinische Prälatenbank.

Geistliche Exerzitien, s. Exercitia spiritualia.

Geistliche Fürsten, s. Fürst und Fürstentum.

Geistliche Gerichtsbarkeit. Nicht nur in Disziplinarangelegenheiten, und zwar hier in viel größerm Umfang als die evangelische Kirche, sondern auch in Strafsachen und bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nimmt die katholische Kirche Jurisdiktionsbefugnisse in Anspruch. Der Bischof mit der aus seinen Räten gebildeten Behörde (Generalvikariat, Ordinariat, Offizialat, Konsistorium, Diözesangericht), der Erzbischof und der Papst oder der Beauftragte des letztern sind die Instanzen. Im einzelnen ist zu unterscheiden:

I. Kirchliche Disziplinargewalt und Kirchenzucht. 1) Über ihre Diener beanspruchte die katholische Kirche schon im 3. Jahrh. eine Disziplinargewalt wegen Vergehen im Amt oder unwürdigen Verhaltens; daran hielt in der Folge auch die evangelische Kirche fest. Die katholische Kirche wendete als Strafmittel an: körperliche Züchtigung, Einsperrung in ein Gefängnis (incarceratio), Verstoßung in ein Kloster (detrusio in monasterium), Geldstrafen, Strafversetzung oder Versetzung auf eine schlechtere Pfründe (translocatio), Entziehung des Benefiziums (privatio beneficii), Deposition, Degradation und Suspension auf unbestimmte Zeit. Die evangelische Kirche kannte in erster Zeit nur Strafmittel innerhalb des kirchlichen Gebiets; später kommen auch weltliche Strafen, wie: Verweis, Geldstrafen, Suspension, Strafversetzung, unfreiwillige Emeritierung, vor. Die Ausübung der kirchlichen Disziplinargewalt wurde aber sehr früh der Aufsicht des Staats unterworfen. So hatte man in Frankreich das Rechtsmittel des Recursus ab abusu (Appel comme d'abus), welches in Art. 6 ff. der sogen. organischen Artikel zur Konvention vom 15. Juli 1801 dahin geregelt ward, daß jeder Interessierte in allen Fällen des Mißbrauchs seitens der kirchlichen Obern sich an den Staatsrat wenden durfte; der Begriff des Mißbrauchs (abus) war sehr ausgedehnt definiert. Das bayrische Edikt vom 26. Mai 1818 regelt den Rekurs gegen den Mißbrauch, ebenso die Staatsministerialentschließung, den Vollzug des Konkordats betreffend, vom 8. April 1852; in Württemberg bestand bis zum Gesetz vom 30. Jan. 1862 der Rekurs gegen Mißbrauch, das erwähnte Gesetz aber bestimmt, daß Disziplinarstrafen gegen katholische Kirchendiener nur auf Grund eines geordneten prozessualischen Verfahrens verhängt werden dürfen, es verbietet die Freiheitsentziehung, beschränkt Geldbußen auf den Betrag von 40 Gulden und die Einberufung in ein Besserungshaus der Diözese auf die Dauer von sechs Wochen. Verfügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt können gegen die Person oder das Vermögen nur von der Staatsgewalt vollzogen werden, und diese leiht den weltlichen Arm nur nach genauer, selbständiger Prüfung des Sachverhalts. Auch im Instanzenzug dürfen Disziplinarstrafsachen nicht vor ein außerdeutsches kirchliches Gericht gezogen werden. Das badische Gesetz vom 9. Okt. 1860 enthält bezüglich des Vollzugs eine ähnliche Bestimmung wie das württembergische. Das österreichische Gesetz vom 7. Mai 1874 bestimmt § 28 bezüglich des Recursus ab abusu, daß, wenn durch die Verfügung eines kirchlichen Obern ein Staatsgesetz verletzt wird, der hierdurch in seinem Recht Gekränkte sich an die Verwaltungsbehörde wenden kann, welche Abhilfe zu schaffen hat, sofern die Angelegenheit nicht auf den Zivil- oder Strafrechtsweg zu überweisen ist. Für die Durchführung kirchlicher Anordnungen und Entscheidungen wird staatlicher Beistand aber nur dann gewährt, wenn die staatlichen Grenzen, die der Ausübung der Disziplinargewalt gezogen sind, innegehalten wurden. Für Preußen wurde durch die sogen. Maigesetze, die jedoch durch die Gesetze vom 14. Juni 1880, 31. Mai 1882 und 21. Mai 1886 wesentlich abgeschwächt worden sind, folgender Rechtszustand geschaffen: Während durch das Gesetz vom 13. Mai 1873 hinsichtlich aller Religionsgesellschaften die Anwendung von Straf- und Zuchtmitteln, welche in irgend einer Beziehung in die staatliche Sphäre hinübergreifen, verboten wurde, schützt das Gesetz vom 12. Mai 1873 über die kirchliche Disziplinargewalt insbesondere noch die Diener der privilegierten christlichen Kirchen. Die in § 2-10 enthaltenen allgemeinen Bestimmungen verfügen hinsichtlich des Verfahrens, daß in allen Fällen die Entscheidung schriftlich unter Angabe der Gründe zu erlassen und der Beschuldigte immer zu hören ist; bezüglich der Strafgewalt werden körperliche Züchtigung, Geldstrafen über 90 Mk. oder über den Betrag eines einmonatlichen Amtseinkommens hinaus und jede andre Art von Freiheitsentziehung als durch Verweisung in die sogen. Demeritenanstalten für unzulässig erklärt. In § 24 ff. endlich nimmt der Staat auch für sich eine Disziplinargewalt über Kirchendiener in Anspruch, welche die auf ihr Amt oder ihre geistlichen Amtsverrichtungen bezüglichen Vorschriften der Staatsgesetze oder die in dieser Hinsicht von der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit getroffenen Anordnungen so schwer verletzen, daß ihr Verbleiben im Amt mit der öffentlichen Ordnung unverträglich erscheint. Der zur Aburteilung hierüber sowie über die Berufung an den Staat eingesetzte besondere Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten ist jedoch durch das Gesetz vom 21. Mai 1886 wieder aufgehoben worden. Außerdem sind die weitern Gesetze vom 4. Mai 1874 (Reichsgesetz), betreffend die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, und vom 21. Mai 1874 (preußisches Gesetz) über die Verwaltung erledigter katholischer Bistümer von Wichtigkeit. In der evangelischen Kirche sind die Disziplinarbefugnisse der Oberkirchenräte, Konsistorien und Kultusministerien durch die Kirchenordnungen geregelt.

2) Auch über Laien verhängt die Kirche Disziplinarstrafen, Zensuren, Zuchtmittel. Hierher gehören: die Exkommunikation (excommunicatio) oder der Kirchenbann, welcher in den kleinen (e. minor) und den großen (e. major) zerfällt; der kleine Kirchenbann begründet die Unfähigkeit, ein kirchliches Amt zu erlangen, und schließt sowohl vom Empfang der Sakramente als auch von der Spendung derselben aus; die Folgen des großen Bannes sind: die Ausschließung von den Gnaden und Rechten der Kirche; Verlust des Rechts auf christliches Begräbnis, des Rechts (bei kirchlichen Gerichten), als Richter, Kläger, Zeuge, Notar, Advokat und Prokurator zu fungieren; Unfähigkeit, kirchliche Ämter zu erlangen; auch sollen die übrigen Gläubigen jedweden bürgerlichen Verkehr und Umgang mit dem Exkommunizierten abbrechen; ferner das Interdikt, welches entweder ein lokales, d. h. Einstellung aller öffentlichen kirchlichen Funktionen in einem bestimmten Bezirk, jetzt außer Gebrauch gekommen (der letzte Fall war die Interdizierung der Republik Venedig durch Paul V., 1606), oder personales ist, welches gewisse Klassen von Personen, den Klerus oder die Einwohner eines Ortes oder auch nur eine Person (als mildere Form der Exkommunikation), betrifft; sodann die Sus-^[folgende Seite]