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Geschütz (Italien, Schweiz, Österreich, England; Anfertigung).
in das Rohr eingeführt, nach einer Rechtsdrehung um 60° in die Gewinde des Rohrs eingreift und hierin den Widerstand beim Schießen findet. Beim Herausziehen aus dem Rohr gleitet sie auf den Schlitten d, mit welchem sie seitwärts um den Scharnierbolzen c herumgedreht wird. Die Liderung wird durch einen kupfernen napfförmigen Ring am Kopf der Verschlußschraube bewirkt. Später wurde das Liderungssystem des Obersten de Bange, welches auch in England mit dem Schraubenverschluß bei Einführung der Hinterladung zur Annahme kam, besser befunden. Es besteht aus einem von zwei Metallplatten eingeschlossenen, vor dem Kopf der Verschlußschraube liegenden Polster, einem Gemisch aus Asbest mit Hammeltalg, welches, beim Schießen zusammengedrückt, die Seele abdichtet. 1872 wurde ein neues Geschützsystem eingeführt, von dem die Flotte 14, 19, 24, 27 und 32 cm Kanonen erhielt. Die Geschütze sind Hinterlader mit dem Verschluß Fig. 6 und einer Art Broadwell-Ring. Die Rohre aus grauem Gußeisen sind mit Ringen aus Puddelstahl bis vor das Schildzapfenstück bezogen. Bis auf etwa 1/3 Rohrlänge wird von hinten eine Stahlseele, aus Bessemerstahl und in Öl gehärtet, eingezogen. Die Rohre haben 14-32 Züge mit Progressivdrall. Das 14, 19, 24 und 27 cm Rohr wiegt 2655, 7896, 14,418, resp. 20,940 kg. Das 27 cm Rohr feuert mit 39 kg Ladung eine Langgranate von 150 kg. Die Langgranaten sind 2,4 Kaliber lang, und alle Geschosse haben zwei flache Kupferringe. In die Festungs- und Belagerungsartillerie sind Kanonen von 120, 138, 155 und 220 mm, Hinterladermörser von 220 und 270 mm Kaliber eingeführt. Sämtliche Rohre sind Stahlringgeschütze mit Kernrohren aus Gußstahl, Ringen aus Martinstahl und dem Schraubenverschluß; die Geschosse haben hinten kupferne Führungsbänder, vorn einen eisernen Zentrierwulst.
Die italienische Feldartillerie hat ihre frühern bronzenen Vorderladergeschütze französischen Systems nach dem Vorgang Deutschlands durch Hinterlader ersetzt, deren Konstruktion sich ganz der der deutschen Feldgeschütze anschließt, wie aus der Tabelle S. 219 ersichtlich. Die von Krupp gefertigten 8,7 cm Kanonen werden von den schweren, die 7,5 cm von den leichten Batterien geführt; letztere Geschütze sind, wie die österreichischen, aus Hartbronze gefertigt. Für die Belagerungs- und Festungsartillerie ist ein einheitliches Geschützsystem von gußeisernen beringten Hinterladern mit französischem Schraubenverschluß in der Einführung begriffen. Die Küstenartillerie besitzt 24 und 32 cm Rohre, hat 1886 auch 4 Kruppsche 35 Kaliber lange 40 cm Kanonen von je 120 Tonnen Gewicht erhalten und die Marine in den 100 Tonnen-Kanonen der Armierung des Duilio und Dandolo die größten bis jetzt im Gebrauch befindlichen Geschütze.
Die Schweizer Feldartillerie führte gezogene Vorderlader nach dem La Hitte-System und Hinterlader verschiedener Kaliber, ähnlich dem ältern preußischen System, hat aber bei Krupp 8,4 cm Gußstahlrohre für die Feld- und 7,5 cm Gußstahlrohre für die Gebirgsbatterien beschafft, die den Kruppschen Rundkeilverschluß und Stahlblechlafetten haben.
Das ältere in der österreichischen Feldartillerie vertretene System (nach Lenk) gezogener Vorderlader ist aus dem Bestreben hervorgegangen, mit der Vorderladung eine feste, zentrale Geschoßführung zu verbinden. Es wurde durch Bogenzüge erreicht, deren Basis der Bogen eines Kreises ist, dessen Mittelpunkt um die Zugtiefe seitlich der Rohrachse liegt (Fig. 7). Die österreichische Feldartillerie führte 4- und 8pfündige Feld- und 3pfündige Gebirgskanonen dieses Systems, welches dem in Deutschland eingeführten Feldgeschütz C/1873 erheblich nachstand. Nachdem man die Überzeugung gewonnen, daß Gußstahlgeschütze von befriedigender Güte durch die inländische Industrie nicht geliefert werden konnten, entschied man sich für solche aus Stahlbronze, nach dem von Uchatius angegebenen Verfahren im Arsenal zu Wien hergestellt. Das Material der Festungs- und Belagerungs- ebenso wie das der Küsten- und Schiffsartillerie ist ganz nach deutschem System reorganisiert; jedoch sind vorwiegend unter den ältern gußeiserne (9, 12, 15 cm Kanonen, 17, 21 cm Hinterladermörser) vertreten, an deren Stelle in neuerer Zeit solche aus Stahlbronze traten, in der Küsten- und Schiffsartillerie sind gußstählerne Ringrohre vorhanden.
In England waren bis 1871: 13 Kaliber, teils glatte, teils gezogene, in der Feldartillerie vertreten, letztere für Hinterladung nach Armstrongs System. 1871 wurden für die Feldartillerie in Indien bronzene, in England gezogene Vorderlader eingeführt, die aus einem Kernrohr von Gußstahl mit einer Anzahl übergeschobener Ringe von Schmiedeeisen bestehen. Die Züge sind die sogen. Woolwich-Züge mit bogenförmiger Basis. Das Geschoß erhält seine Führung durch Ailetten (System Maxwell). Die Zahl der Kaliber in den Geschützen der englischen Land- und Schiffsartillerie ist so groß, daß eine Auszählung hier unthunlich. Zur gasdichten Abschließung und Führung durch die Züge hat man am Boden der Geschosse schwerer Geschütze einen kupfernen Expansionsring (gas check) befestigt und erwartete, durch ihn die Vorteile der Kompressionsführung der Hinterlader auf die Vorderlader übertragen zu können. Der Erfolg entsprach diesen Erwartungen nicht. Dieser Mißerfolg wie das Springen einer 38 Tons-Kanone auf dem Thunderer 2. Jan. 1879 und sodann die außerordentlichen Erfolge Krupps bei den Schießversuchen Anfang August 1879 und 1882 haben die englische Behörde für die Annahme der Hinterladung definitiv bestimmt. Diese Rohre bestehen aus einer Seele von Martinstahl, die je nach der Größe des Kalibers eine oder mehrere Ringlagen haben. Man hat den französischen Schraubenverschluß gewählt. Die Versuche, das Bodenstück nach den Vorschlägen von Longridge mit Stahldraht oder Stahlband in großer Anzahl Lagen zu umgeben, hatten günstigen Erfolg in Bezug auf Widerstandsfähigkeit der Rohre. Eine Übersicht der Feldgeschütze der größern europäischen Staaten gewährt die Tabelle auf S. 219.
Die Anfertigung der Geschütze
geschieht in staatlichen Geschützgießereien oder Privatfabriken. Bronzene und eiserne Rohre werden gegossen, stählerne gegossen und geschmiedet. Für den Guß wird eine Form aus Lehm hergestellt, die, nachdem sie gebrannt ist, in eine Dammgrube senkrecht, mit der Mündung nach oben, eingesetzt wird. Die Rohre werden entweder voll oder über einen die Seele bildenden Kern und über der Mündung um 0,7-1 m länger gegossen, damit der obere Teil des Gußstückes, welcher in der Regel poröser ist, nicht einen Teil des Rohrkörpers bilde (der verlorne Kopf). Stahlrohre werden bei Krupp aus Tiegeln gegossen und
^[Abb.: Fig. 7. Bogenzüge.]