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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Neu-G.: Geschichte bis 1868).

einer Konferenz mit den Gesandten der Mächte den Entschluß, nach Bayern zurückzukehren, ohne jedoch weder für sich noch für sein Haus definitiv auf die Krone Verzicht zu leisten. Seine Abschiedsproklamation war würdig; daß trotz 30jähriger Dauer seine Regierung mit Einem Schlag zusammenbrach, war weniger seinen Fehlern als denen der Politiker, die durch Parteileidenschaft und unruhige Vergrößerungssucht eine geordnete Regierung unmöglich machten, und der Kleinheit des Staats und seiner Abhängigkeit vom Ausland, welche das berechtigte Selbstgefühl der Nation verletzen mußten, zuzuschreiben. König Otto hatte stets das Beste des Volkes gewollt und durfte sich jedenfalls mit Recht rühmen, "daß er, so oft es sich um Vergehen gegen seine Person gehandelt, stets unbegrenzte Milde und Vergessen des Geschehenen habe walten lassen". Da G. auch nach seinem Sturz nicht im stande war, aus eigner Kraft das Ziel seines Ehrgeizes, die Vergrößerung des Staats, zu erreichen, so kam man bald zur Einsicht der völligen Nutzlosigkeit der wenigstens unblutigen Revolution und bereute es, den gutmütigen König, dem man so manche Wohlthaten verdankte, verjagt zu haben.

Die neueste Zeit.

Nach einer Periode heftiger Parteistreitigkeiten schritten die Griechen auf ein Dekret der provisorischen Regierung zur Wahl eines neuen Königs; denn die Monarchie konnte und wollte man nicht beseitigen, da eine Republik den Mächten nicht genehm gewesen wäre und das Land ins Verderben gestürzt haben würde. Das allgemeine Stimmrecht entschied mit 230,016 Stimmen von 240,701 für den englischen Prinzen Alfred, zweiten Sohn der Königin Viktoria. Indes die drei Schutzmächte hielten an der 1830 getroffenen Bestimmung fest, welche die Mitglieder ihrer Dynastien vom griechischen Thron ausschloß. England kam aber den Griechen entgegen und ließ der provisorischen Regierung durch Lord Elliot anzeigen, daß es, wenn die Griechen eine verständige Königswahl träfen, bereit sei, die Ionischen Inseln abzutreten. Elliot schlug darauf der im Dezember 1862 zusammengetretenen Nationalversammlung den Herzog Ernst von Koburg als Kandidaten vor, der aber 3. Febr. 1863 ablehnte. Auch der Herzog von Aumale und König Ferdinand, Vater des Königs von Portugal, aus dem Haus Koburg, welche auf der Wahlliste standen, lehnten im voraus ab. Endlich 23. März konnte Elliot der Nationalversammlung die Mitteilung machen, daß sich die drei Mächte über den Prinzen Wilhelm von Dänemark (geb. 1845), zweiten Sohn des dänischen Thronerben Prinzen Christian von Holstein-Glücksburg, als zukünftigen König geeinigt hätten. Derselbe wurde 30. März 1863 als Georg (Georgios) I. einstimmig gewählt, 5. Juni von den Schutzmächten anerkannt und hielt 30. Okt. seinen Einzug in Athen, wo es inzwischen zu heftigen Unruhen, ja 30. Juni bis 2. Juli zu blutigen Szenen zwischen den Parteien gekommen war, welche nur durch die Intervention der Mächte unterdrückt wurden; englische und französische Marinetruppen hielten noch das Bankgebäude besetzt, als der neue König einzog. Nachdem 5. Okt. 1863 die Einwohner der Ionischen Inseln zur Vereinigung mit G. ihre Zustimmung gegeben hatten, übergab der Lord-Oberkommissar dem griechischen Bevollmächtigten, General Zaimis, 30. Mai 1864 die Inseln, und 6. Juni hielt König Georg I. auf Korfu seinen Einzug.

Daß dieser Erwerb der Anfang zu weitern Vergrößerungen sei, erschien den Griechen als selbstverständlich und verschaffte dem neuen Königtum gleich zu Anfang einigen Nimbus. Indes sehr bald stieß der junge Fürst, dem sein Vater den Grafen Sponneck als Mentor beigegeben hatte, auf Schwierigkeiten im Innern. Ministerkrisen folgten einander unaufhörlich, und die mißtrauische Opposition gegen den ausländischen Ratgeber regte sich sogleich. Die Nationalversammlung war sofort zu einer Verfassungsrevision geschritten; im September 1864 beschloß sie mit 211 gegen 62 Stimmen die Abschaffung des Senats. Diesem Beschluß wollte der König sich nicht fügen, aber alle seine Botschaften fruchteten nichts. Am 28. Nov. löste sich die Versammlung von selbst auf, ohne ein Steuergesetz oder Budget zu stande gebracht zu haben, und die Revision der Verfassung, nach welcher der Senat durch einen Staatsrat ersetzt ward, trat in Kraft. Die Anfeindungen zwischen den Ministern und Parteihäuptern hörten aber deshalb nicht auf und führten immer neue Kabinettswechsel herbei. Im September 1865 erschien der Oheim des Königs, Prinz Julius von Glücksburg, um eine Verständigung zwischen den Parteiführern zu erzielen, indes ohne Erfolg; sein Versuch wurde der Bevölkerung als ausländische Einmischung denunziert, und der Prinz mußte schleunigst abreisen; im Dezember 1865 wurde der König auch genötigt, den Grafen Sponneck zu entlassen.

Eine mit Riesenschritten wachsende Verlegenheit, welche kein Ministerwechsel beseitigte, bildete die Finanznot. Nur die Armee konnte regelmäßig bezahlt werden, die Beamten erhielten ihren Gehalt zu einem Dritteil in verzinslichen Schuldscheinen. Die Erhöhung der Zölle half nichts. Alle Anleiheversuche scheiterten, und die Schutzmächte weigerten sich, dem Staat, solange er nicht dem Parteigetriebe ein Ende mache, in der Zahlung der Zinsen für die Anleihe von 1832 Erleichterung zu gewähren. Man mußte endlich zu Ersparungen schreiten und einen Teil der Kriegsflotte entwaffnen. Ein Ministerium nach dem andern trat auf und versprach, den öffentlichen Kredit herzustellen, die Verwaltung zu ordnen etc.; die Kammern aber vereitelten durch ihre Umtriebe alle Versuche zur Besserung. Auch ein Zirkular der Schutzmächte vom 10. Febr. 1866, welches mit Einschreiten drohte, wenn sich die Parteien nicht zur Ordnung der Finanzen verständigten, richtete nichts aus. Vielmehr mischten sich die Griechen in den Aufstand von Kreta (Kandia), der im August 1866 ausbrach, mit der Absicht, diese Insel dem Königreich einzuverleiben. Die Generalversammlung der Kreter hatte Georgios I. zum König ausgerufen; in Athen bildete sich sofort ein kretensisches Komitee, welches zu Beiträgen für den Aufstand aufforderte; zahlreiche griechische Freiwillige strömten den bedrängten Kretern zu. Die Regierung zog Truppen an der türkischen Grenze zusammen und forderte die Mächte auf, den Sultan zur Nachgiebigkeit zu veranlassen; man hoffte in Athen, dieselben würden wegen der Ereignisse in Deutschland 1866 Griechenland im Orient freie Hand lassen. Indes zeigten sich dieselben nicht geneigt, die Türkei von neuem schwächen zu lassen. Sie hinderten sie in der Bekämpfung des kretischen Aufstandes nicht und erkannten auch die Rechtmäßigkeit ihrer Beschwerden über G. an, von wo den Empörern Hilfe an Geld und Menschen zufloß, welche den Kampf immer von neuem anfachte. Als die griechische Regierung auf alle Mahnungen nichts dagegen that, beschloß die Pforte 1. Dez. 1868 endlich, an G. ein Ultimatum zu stellen und im Fall seiner Ablehnung den Krieg zu erklären. Der Aus-^[folgende Seite]