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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griséldis; Grisette; Grisi; Grislybär; Gris Nez; Griswold

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Griseldis - Griswold.

und Ende 1886 nach Port au Prince aus Haïti versetzt. Als Poet und Litteraturkritiker ein geistreicher Sonderling, erregte G. hauptsächlich durch seine 1869 anonym erschienenen sinnlichen und farbenreichen Dichtungen: "Der neue Tanhäuser" (Berl. o. J., 13. Aufl. 1885) und "Tanhäuser in Rom" (Wien 1875; 6. Aufl., Berl. 1885) Aufsehen. Die Studien "Die deutsche Litteratur seit 1770" (Wien 1876; 3. Aufl., Stuttg. 1883) mischen geistvolle und scharfe mit paradoxen und unhaltbaren Urteilen in wunderlicher Form. "Die treulose Witwe", ein Beitrag zur vergleichenden Litteraturforschung (Stuttg. 1873; 4. Aufl., Leipz. 1882), verfolgt ein chinesisches Märchen auf seinem Zug durch die Weltlitteratur, eine Untersuchung, bei der nur die schöpferische Dichterphantasie und der unmittelbare Einfluß des Lebens zu kurz kommen. Außerdem gab G. die interessante Sammlung "Kin-Ku-Ki-Kuan. Neue und alte Novellen der chinesischen Tausendundeine Nacht" (Stuttg. 1880) und "Chinesische Novellen" (das. 1884) heraus. Auch veröffentlichte er "Lichtstrahlen aus Lichtenbergs Werken" (Leipz. 1871) u. neue Ausgaben von Waiblingers "Bildern aus Neapel" (das. 1879) und "Liedern des römischen Karnevals" (das. 1881) sowie von H. v. Kleists Werken (das. 1884).

Griséldis (Griselda, Griselidis, Grisilla), die Heldin einer der rührendsten Sagen des Mittelalters. Boccaccio bearbeitete den Stoff in der letzten Novelle seines "Decamerone"; auf dieser Bearbeitung beruht Petrarcas lateinische Nachbildung, durch welche die Erzählung im übrigen Europa verbreitet wurde. G. war Tochter eines armen Landmanns in Piemont, welche Markgraf Walter von Saluzzo ihrer Schönheit wegen zur Gemahlin erhob. Um ihre Treue und Demut zu prüfen, ersinnt er verschiedene (grausame und unmännliche) Proben, läßt ihre beiden Kinder beiseite schaffen und gebietet ihr endlich, in ihre heimische Hütte zurückzukehren, weil er eine andre Gattin nehmen wollte. G. fügt sich in allem demütig dem Willen des Markgrafen, worauf dieser, von ihrer Aufopferungsfähigkeit nun überzeugt, mit der Wahrheit hervortritt, ihr die totgeglaubten Kinder zuführt und fortan mit ihr in der glücklichsten Ehe lebt. Der Stoff wurde von zahlreichen Dichtern in epischer wie in dramatischer Form behandelt. Von den epischen Behandlungen nennen wir hier nur die von Geoffr. Chaucer in seinen "Canterbury tales" und die von Ch. Perrault in seinen "Contes de ma mère l'Oye" (1691); die älteste deutsche Bearbeitung, auch "Markgraf Walter" genannt, ist die von H. Steinhöwel (1471 u. öfter); eine andre alte gab Schröter (zuerst Leipz. 1873) neu heraus. Von den dramatischen Behandlungen seien erwähnt: das französische "Mystère de G." (um 1395 verfaßt); die Komödie "Die geduldige und gehorsame Markgräfin Griselda" von Hans Sachs (1546 gedichtet); die "Comedie of patient Grisill" der englischen Dichter Dekker, Chettle und Haughton (1599) und aus neuerer Zeit die Oper "Griselda" von Paër und das bekannte Drama "G." von Friedr. Halm, der indessen der Fabel eine andre Wendung gibt. Vgl. R. Köhlers Artikel "Griselda" in Ersch und Grubers Encyklopädie.

Grisette (franz.), in Frankreich ein junges Mädchen niedern Standes, welches ohne elterliche Aufsicht allein wohnt und als Wäscherin, Nähterin, Putzmacherin etc. von ihrer Hände Arbeit lebt. Der Name leitet sich ab von dem Kleid aus Grisette, einem grauen Wollenstoff, welches diese Mädchen zu tragen pflegten. Mit der Bezeichnung als G. wurde in Paris der Begriff eines nicht ganz ehrbaren Lebenswandels verbunden, namentlich bezeichnete man als Grisettes du quartier latin die Geliebten der Studenten, Künstler etc., welche mit ihren Liebhabern auf einige Zeit in gemeinschaftlicher Häuslichkeit lebten. Immer aber stand der Begriff im Gegensatz zur Kokotte, der berufsmäßigen Buhlerin. Rigolette in Sues "Geheimnissen von Paris" gilt als Typus der Pariser G. Allein die wahren Schriftsteller über die G. und gleichzeitig für dieselbe sind Paul und Henri de Kock. Gegenwärtig ist die typische G. verschwunden.

Grisi, 1) Giuditta, Opernsängerin, geb. 1805 zu Mailand, erhielt ihre Ausbildung daselbst am Konservatorium, debütierte 1823 in Wien, legte aber den Grund zu ihrem Weltruf erst später in Venedig, nachdem sie in Bellinis "Romeo und Julie" den für sie geschriebenen Romeo gesungen hatte. Nach glänzenden Erfolgen auch außerhalb Italiens, namentlich in Paris, zog sie sich 1833 von der Bühne zurück, vermählte sich bald darauf mit dem Grafen Barni und starb 1. Mai 1840 auf ihrer Villa bei Cremona. Noch bedeutender als sie war ihre Schwester:

2) Giulia, Opernsängerin, geb. 28. Juli 1811 zu Mailand, wurde im dortigen Konservatorium zur Sängerin gebildet und betrat 1828 zum erstenmal die Bühne als Emma in Rossinis "Zelmire" zu Bologna, wo sie unter Giacomelli ihre Gesangstudien fortgesetzt hatte. Ihr Ruf verbreitete sich schnell über ganz Europa. 1832 nahm sie ein Engagement an der Italienischen Oper zu Paris an, wo sie in der "Semiramis" debütierte und durch die Reinheit, Leichtigkeit und Größe ihrer Stimme sowie durch ihre wahrhaft antike Schönheit sich den großartigsten Erfolg sicherte. Verschiedene Opern, so die "Puritaner" von Bellini, wurden für sie geschrieben; ihre bedeutendste Leistung aber war und blieb die Norma. 15 Jahre hindurch sang G. als Primadonna abwechselnd in Paris und London. Im April 1836 verheiratete sie sich in London mit dem französischen Marquis de Melcy und, nachdem diese Ehe 1842 getrennt worden, 1856 mit dem Sänger Mario, mit dem sie auch mehrere Reisen, darunter eine nach Nordamerika, unternahm. G. gilt für die erste, welche den Chant à demi-voix auf die Bühne verpflanzte, womit sie z. B. in der Norma-Arie "Casta diva" die außerordentlichsten Erfolge erzielte. Nach ihrer zweiten Verheiratung sang sie noch einige Jahre in Paris, obwohl bereits mit geschwächter Kraft; dann zog sie sich von der Bühne zurück. Auf einer Reise nach Petersburg zu ihrem Gatten begriffen, erkrankte sie in Berlin und starb daselbst 28. Nov. 1869. Ihre Leiche wurde nach Paris übergeführt.

Grislybär, s. Bär, S. 351.

Gris Nez (spr. grih neh), 50 m hohes Vorgebirge im franz. Departement Pas de Calais, mit welchem der Höhenrücken, welcher die Wasserscheide für die belgischen Nordsee- und die französischen Kanalflüsse bildet, ans Meer tritt und die Grenze zwischen der Nordsee und dem Kanal bezeichnet; zugleich Punkt der größten Annäherung Englands und Frankreichs (32 km), mit Leuchtturm.

Griswold, Rufus Wilmot, nordamerikan. Schriftsteller, geb. 15. Febr. 1815 zu Benson in Vermont, studierte Theologie und wurde Baptistenprediger, widmete sich dann aber ganz der Schriftstellerei. Er machte sich besonders durch folgende litterarhistorische Werke verdient: "Poets and poetry of America" (Philad. 1842; neueste Ausg. von Stoddard, 1873); "Prose-writers of America" (neueste Ausg. 1866); "Female poets of America" (1851, neueste Ausg. 1873) und "Poets and poetry of England in the