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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Haare

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Haare (Anatomisches u. Physiologisches; Haarpflege, Färben, Enthaarungsmittel etc.).

stehen die H. der Augenbrauen und die Augenwimpern, später die Kopfhaare und zuletzt die H. des übrigen Körpers. In der 24. Woche des Fötallebens ragen die meisten H. schon über die Hautoberfläche hervor; es sind aber noch die sogen. Wollhaare mit kurzen Haarbälgen. An vielen Hautstellen bleiben sie für immer fortbestehen, an andern dagegen entwickeln sich statt ihrer dickere H. von einer neuen, tiefer gelegenen Papille aus; hierauf bildet sich die Papille des Wollhaars zurück, und dieses fällt aus. Dieser Haarwechsel erfolgt während der Kindheit wahrscheinlich mehrere Male. Auch später fallen die H., sowie sie ihre Länge erreicht haben, aus und werden durch andre, welche neben ihnen aus einer Abzweigung der Papille hervorsprießen, ersetzt. Bei vielen Tieren ist dieser Haarwechsel periodisch, beim Menschen geschieht er unmerklich. Täglich fallen von den Haaren des Kopfes im Mittel 38-103 aus; das tägliche Wachstum beträgt, einerlei ob die H. geschnitten werden oder nicht, 0,2-0,3 mm. Die Barthaare werden in ihrem Wachstum dagegen durch das Rasieren gestärkt. Die Lebensdauer der Kopfhaare beträgt 2-4 Jahre, der Augenwimpern nur 100-150 Tage. H., die mit ihrer Wurzel ausgerissen und in einen Hautschnitt eingefügt worden sind, wachsen bisweilen fort und gedeihen auf ihrem neuen Wohnsitz. Ausgedehnte Zerstörungen der Lederhaut behaarter Stellen führen immer zu haarlosen Narben; anderseits bilden sich auf Narben an sonst schwach behaarten Stellen, z. B. am Oberarm, bisweilen lange H. von der Stärke des Barthaars. - Die Kräuselung des Haars hängt nicht von der Dicke desselben, sondern von der Form seines Querschnitts ab und ist um so stärker, je mehr dieser von der Kreisform abweicht. - Die Farbe der H. ist sehr verschieden und verändert sich auch während des Wachstums fortwährend; namentlich werden hellblonde H. mit zunehmendem Alter immer dunkler. Zur Hervorbringung der Farbe dienen zwei Faktoren: Farbstoff und Luft. Ersterer, bräunlich bis braunschwarz, findet sich spärlich oder reichlich in der Rinde vor, die Luft hingegen hauptsächlich im Mark in und zwischen den Zellen desselben, und zwar sind helle H. reicher an kleinen lufthaltigen Räumen als dunkle. Durch die schwach gefärbte Rinde heller H. schimmert bei auffallendem Lichte die Luft des Marks silberweiß hindurch, während ihre Wirkung durch die starke Färbung dunkler H. aufgehoben wird. Bei den sogen. grauen oder weißen Haaren enthält auch die Rinde zahlreiche Lufträume. Für das Ergrauen der H. gibt es zwei Ursachen: entweder es bildet sich kein Farbstoff mehr, oder die Menge der Lufträume nimmt zu. Letzteres findet namentlich bei dem plötzlichen Ergrauen statt, dessen eigentümliche Gründe man indessen nicht kennt; ersteres beim Ergrauen der H. im Alter oder beim jährlichen Haarwechsel derjenigen Säugetiere, welche ein weißes Winterkleid tragen.

Die H. besitzen eine große Festigkeit. Ein menschliches Kopfhaar zerreißt durchschnittlich erst bei einer Belastung mit 180 g. Sie sind ferner stark hygroskopisch, und der Saussuresche Feuchtigkeitsmesser ist im wesentlichen ein entfettetes Haar, welches sich in feuchter Luft ausdehnt, in trockner zusammenzieht. Trockne H. werden durch Reiben elektrisch und können selbst Funken sprühen, wie dies von den Haaren der Katzen bekannt genug ist. Als schlechte Wärmeleiter schützen die H. die mit ihnen bedeckten Körperteile vor der Kälte. Die H. haben eine nicht geringe physiognomische Bedeutung, und aus der Behaarung des Kopfes schließt man wohl auf die Körperkraft des Individuums, indessen nicht immer mit Recht. Vgl. Erdl, Vergleichende Darstellung des innern Baues der H. (Münch. 1841); Reißner, Beiträge zur Kenntnis der H. des Menschen und der Säuger (Bresl. 1854); Pfaff, Das menschliche Haar in seiner physiologischen etc. Bedeutung (2. Aufl., Leipz. 1869); Waldeyer, Atlas der menschlichen und tierischen H. (Lahr 1884).

Haarpflege.

Die Pflege des Haars zur Erhaltung und Verschönerung desselben sollte sich auf möglichst wenige Maßregeln beschränken. Man weiß thatsächlich sehr wenig darüber, was den Haaren heilsam ist und was ihnen schadet, und man hat diese Unwissenheit mit einer Unzahl von Vorschriften zudecken wollen. Die Hauptsache scheint zu sein, die H. nicht übermäßig zu mißhandeln durch festes Binden, Flechten, durch häufiges Brennen, Färben u. dgl. Reinlichkeit des Haars und des Haarbodens wird am besten durch Kamm und mäßig harte Haarbürsten erreicht, auch kann man ohne Nachteil das Haar mit Wasser und Seife oder Seifenspiritus waschen; nur sollte man für schnelles Trocknen desselben Sorge tragen und, falls die H. nicht von Natur sehr fettig sind, durch Einölen nachhelfen. Das Brennen der H. sollte man jedenfalls nicht oft vornehmen, nur auf die Enden der H. beschränken und die Eisen nicht zu heiß machen (sie dürfen weißes Papier nicht gelb färben). Über den Einfluß des Schneidens der H. auf das Leben derselben sind die Ansichten geteilt. Auch weiß man wenig oder nichts über den Einfluß der Kopfbedeckungen; jedenfalls schützen diese das Haar vor Verunreinigung und verhindern in hoher Temperatur einen übermäßigen Wasserverlust desselben. Zu warme Kopfbedeckungen (Pelzmützen oder gar wasserdichte Mützen) sind entschieden verwerflich, weil sie die Ausdünstung der Kopfhaut unterdrücken; anderseits sind Kopfbedeckungen notwendig, wenn man den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Vgl. Kahlköpfigkeit. Zum Färben der H. sind meist bleihaltige Mittel empfohlen worden, vor deren Anwendung aber entschieden zu warnen ist. Unschädlich ist die Anwendung von frisch gepreßtem Walnußschalensaft, humussaurem Ammoniak und Pyrogallussäure, während Höllensteinlösung Vorsicht erheischt. Die reine Höllensteinlösung gibt einen unangenehmen Farbenton und die gleichzeitige Anwendung von Schwefelleber ein zu intensives Schwarz. Sehr konzentrierte Lösungen beschädigen auch das Haar. Vorteilhaft ist dagegen die Verbindung von Höllenstein mit Pyrogallussäure (Krinochrom). Man löst 10 Teile Pyrogallussäure in 500 Teilen rektifiziertem Holzessig und 500 Teilen Alkohol, anderseits 30 Teile Höllenstein in 900 Teilen Wasser und so viel Ammoniakflüssigkeit, bis der anfänglich entstandene Niederschlag sich wieder gelöst hat. Nach dem Entfetten des Haars trägt man die erste Lösung mit einem Schwamm, dann die zweite mit einer Bürste auf, wäscht darauf mit Wasser, dann mit einer Lösung von unterschwefligsaurem Natron und spült schließlich wieder mit Wasser. Das Mittel färbt dunkel schwarzbraun und gibt mit verdünnterer Höllensteinlösung hellere Töne. Zum Blondfärben dunklerer H. wird jetzt eine schwache Lösung von Wasserstoffsuperoxyd (Golden hair wash, Eau de Jouvence) benutzt. Um H. von Stellen, wo man sie nicht haben will, zu entfernen, wendet man die Enthaarungsmittel (depilatoria) an, von welchen das bekannteste das Rusma ist, welches aus Ätzkalk und Auripigment (Schwefelarsenik) besteht. Ebenso wirksam, aber ungefährlich ist frisch bereitetes Calciumsulfhydrat, welches messerrückendick auf die zu enthaa-^[folgende Seite]