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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Haare

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Haare (Geschichte der Haartrachten).

rende Stelle aufgetragen und nach einigen Minuten abgewaschen wird. Dies Mittel entfernt aber nicht die Haarwurzeln, und die H. wachsen daher wieder nach. Ziemlich vollständig werden die Haarwurzeln durch das Psilothron entfernt, eine Harzmischung, welche mit dem Haar fest verklebt und beim Abnehmen die Wurzeln auszieht. Alle diese Mittel entfernen nur ausnahmsweise die H. dauernd, meist wachsen sie mit immer dicker werdendem Schaft wieder. Als sicherstes und bei sachverständiger Ausführung nicht sehr schmerzhaftes Verfahren wird neuerdings die Elektrolyse empfohlen. Mittels sehr feiner, biegsamer Stahlnadel wird mit oder ohne vorheriges Ausziehen des Haars der Haarbalg angestochen, dann die galvanische Kette geschlossen, während die andre Schwammelektrode in der Nähe aufgesetzt ist, und so die Haarwurzel ausgebrannt und damit dauernd zerstört. Vgl. Pinkus, Die Krankheiten der menschlichen H. und die Haarpflege (2. Aufl., Berl. 1879); Schultz, Haut, H. und Nägel (3. Aufl., Leipz. 1885). Über Krankheiten der H. s. Haarkrankheiten.

Geschichte der Haartrachten; technische Verwendung.

Zu allen Zeiten und bei allen Völkern wurde das Haar mit mehr oder weniger Kunst und Geschmack geordnet und gepflegt. Die Assyrer, Perser und Ägypter kräuselten Haar und Bart auf das sorgfältigste und ersetzten fehlendes auch durch Perücken. Haar und Bart wurden reich gesalbt, auch gefärbt und mit Binden, Bändern, Reifen und Schmucksachen aus edlem und unedlem Metall geschmückt (s. Tafel "Kostüme I", Fig. 2 u. 3). Bei den Hebräern wurde das Haupthaar dick und stark getragen, und ein Kahlkopf galt nicht nur als arge Beschimpfung, sondern war zum Teil auch wegen Verdachts des Aussatzes dem Volk verhaßt. Die Männer pflegten das Haar von Zeit zu Zeit mit einem Schermesser zu stutzen, und nur Jünglingen scheint die ältere Sitte gestattet zu haben, lang herabwallendes Haar zu tragen. Bei den spätern Juden aber galt langes Haar der Männer für ein Zeichen der Weichlichkeit, und den Priestern war es untersagt, solches zu tragen. Nur zufolge eines Gelübdes ließen auch Männer bisweilen das Haar wachsen. Die Frauen dagegen legten stets einen hohen Wert auf lange H. und pflegten sie besonders zu kräuseln und zu flechten. Kämme sind im Alten Testament nirgends erwähnt, während andre Völker sie kannten. Man salbte das Haupthaar mit wohlriechenden Ölen und gab demselben durch Einstreuen von Goldstaub Glanz. Die Griechen sahen im Haar den vorzüglichsten Schmuck des menschlichen Hauptes, und Homer zählt es zu den Geschenken Aphrodites. Während die Spartaner vom Mannesalter an das Haar lang trugen, weil es der wohlfeilste Schmuck sei, trugen die Athener wenigstens seit der Zeit der Perserkriege vom Mannesalter an das Haar mäßig verschnitten und künstlich in Locken gedreht, und während die Spartaner den Knaben das Haar kurz schnitten, trugen diese in Athen und anderwärts, bis sie die Ephebenjahre (in Athen das 18. Jahr) erreichten, lang herabhängendes Haar; dann aber verschnitt man es ziemlich kurz und ließ es erst mit dem Beginn des reifern Alters wieder länger wachsen. Sklaven durften bei den Spartanern sowohl als anderwärts die H. nicht lang tragen. Beim Eintritt in das Ephebenalter weihte der Jüngling das ihm abgeschnittene Haar einer Gottheit, gewöhnlich dem Apollon. Die Jungfrau schnitt sich vor der Hochzeit das Haar ab; in Sparta trugen die Bräute verschnittenes Haar. Allgemein war die Sitte, durch Vernachlässigung des Haars seine Trauer auszudrücken, indem man es entweder abschnitt, oder unordentlich herabhängen ließ. Dies geschah bei Sterbefällen, nach verlornen Schlachten etc., daher auch die Sitte der Alten, nach überstandener Gefahr, besonders nach einem Schiffbruch, das Haar zu scheren und dem Poseidon zu opfern. Auf den ältesten Kunstdenkmälern erscheinen Frauen und männliche Figuren mit langen, zopfartigen Locken, die weit über die Achseln, ja über die Brust herabhängen. Spätere Kunstwerke zeigen das Haar offen, gescheitelt und hinten in einen Schopf zusammengebunden, über welchem man eine Art Haube oder Haarnetz trug. Auch trug man weit künstlicher geordnetes Haar, und aus Aristophanes erfahren wir, daß auch eitle Männer weibische Sorgfalt auf ihren Haarschmuck verwendeten (vgl. Textfig. 1-8). Im allgemeinen gab man den blonden Haaren den Vorzug, wie z. B. Homer den Menelaos, Achilleus und Meleagros mit goldgelben Locken und Euripides den Menelaos und Dionysos mit hellblondem Haar schildert; doch stand auch die schwarze Farbe in Ehren, wie wir aus Anakreon sehen. Aus Asien war nach Griechenland auch der Gebrauch falscher H. gekommen. Die ersten Haarkräusler finden wir zu Athen, wo sie ein besonderes Gewerbe bildeten. Bis 300 v. Chr., wo P. Ticinius Mena den ersten Tonsor aus Sizilien nach Rom brachte, ließen die Römer nach dem Zeugnis des Varro das Haar lang herabhängen; zu Ciceros Zeit aber prangten nicht nur junge Stutzer, sondern selbst hohe Staatsmänner mit künstlichem und salbenduftendem Lockenbau. Der Haarputz der Frauen nahm seit der Augusteischen Zeit eine immer reichere Form und größere Dimensionen an (Textfig. 9 u. 10), und da zu der beliebten Fülle von Zöpfen und Locken die H. Eines Kopfes nicht ausreichten, nahm man dazu falsches Haar (capillamentum).

Die alten Bewohner des europäischen Nordens, namentlich die Kelten, banden das Haar am Hinterkopf zusammen (daher hieß bei den Römern das eigentliche Gallien, zum Unterschied von der gallischen Provinz, Gallia comata). Das lange, starke Haar galt ihnen als ein Merkmal männlicher Würde und Freiheit. Die germanischen Völker zeichneten sich durch ihr langes, braungelbes, hier und da in das Goldblonde oder Rötliche fallende Haar aus. Abgeschornes Haar war bei Kelten und Germanen ein Zeichen der Unterthänigkeit; auch hat sich das Haarabscheren als entehrende Strafe lange in einzelnen deutschen Rechten erhalten. Bei den Franken war die Ehrentracht des langen Haars eine Zeitlang ein Zeichen der königlichen Würde (daher heißen die Merowinger auch die gelockten Könige), und solange dies währte, mußten alle Unterthanen kürzeres Haar tragen. Dagegen trugen Karl d. Gr. und die Karolinger kurzes Haar (s. Tafel "Kostüme I", Fig. 10), während die Sachsen, die in den frühern Jahrhunderten Kopf- und Barthaar schoren, in und nach der Zeit Karls d. Gr. bis gegen Ende des 10. Jahrh. das Haar lang herabfallen ließen. Auch die Frauen ließen es entweder frei herabhängend wachsen, oder banden es auf und befestigten es mit Knopfnadeln. In den folgenden Jahrhunderten pflegten die Männer das Haar bis auf die Schultern herab zu tragen, über der Stirn kurz abzuschneiden, es auch zu kräuseln und zu locken, während die Frauen es, wie früher, lang herabwallen ließen (s. Tafel "Kostüme I", Fig. 13), oder mit dem Gebende (s. d.) bedeckten, oder durch einen Schapel (s. d.) hielten, oder, besonders in Frankreich und England, mit Bändern zu einem oder zwei Zöpfen umwanden, die auf den Rücken oder vorn über die