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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Handelskonsul; Handelskorrespondenz; Handelskrisis

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Handelskonsul - Handelskrisis.

gesellschaft. Rußland schuf die Russisch-Amerikanische Pelzgesellschaft (1799) und die Heringsgesellschaft für das Weiße Meer (seit 1803). Für Deutschland sind außer den Emdener Kompanien im 18. Jahrh. erwähnenswert: die Sächsisch-Elb-Amerikanische Gesellschaft (1825-30), die Rheinisch-Westindische (1821 bis 1832) und vor allen die 1772 von Friedrich d. Gr. gestiftete und staatlich geleitete Seehandlungsgesellschaft, ihrer Zeit mit dem Seesalz- und Wachshandelsmonopol ausgestattet. Die Privilegien der "Seehandlung" (s. d.) sind bereits gefallen, wie sie sich auch immer mehr der industriellen Unternehmungen entledigt. Vgl. Ad. Beer, Allgemeine Geschichte des Welthandels (Wien 1860-85, 5 Bde.); W. Roscher, Nationalökonomik des Handels und Gewerbfleißes (3. Aufl., Stuttg. 1882).

Handelskonsul, früher Bezeichnung für die Mitglieder der Handelsgerichte, die, von der Kaufmannschaft frei gewählt und von der Staatsgewalt bestätigt, als Schiedsrichter in Handelsangelegenheiten urteilten. Papst Paul IV. bestätigte sie zuerst in Rom; ihm folgte Franz II., König von Frankreich. Jetzt wird nicht selten der Wahlkonsul H. genannt (s. Konsul).

Handelskorrespondenz, kaufmännische Korrespondenz, der Briefwechsel des Kaufmanns mit seinen Geschäftsfreunden, kennzeichnet sich durch Bestimmtheit und Kürze des Ausdrucks und aus diesem Grund häufig auch durch gewisse von der gewöhnlichen Briefform abweichende Eigentümlichkeiten. Indessen darf die kaufmännische Terminologie, wie sie der Handelsverkehr geschaffen hat, nicht verwechselt werden mit dem Mißbrauch gewisser erkünstelter Ausdrücke und Redeweisen, die den allgemein gültigen Sprachgesetzen Gewalt anthun. Insofern im kaufmännischen Brief die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen und Bedingungen ihren Ausdruck finden, gewinnt er die Bedeutung einer förmlichen Willenserklärung und dient handelsrechtlich als Beweismittel; mehr als jeder andre Briefwechsel unterliegt deshalb die H. den Geboten der Vorsicht und Verantwortlichkeit. Die Handelsgesetze der meisten Staaten fordern deshalb die Aufbewahrung der empfangenen Handelsbriefe und die Zurückbehaltung einer Abschrift der abgesandten, welche nach der Zeitfolge in ein Kopierbuch zu übertrugen ist. Das deutsche Handelsgesetzbuch (§ 28 ff.) fordert zehnjährige Aufbewahrung (s. Kaufmann). Auf den großen europäischen Kontoren, namentlich an Seeplätzen, pflegt man hauptsächlich in fünf Sprachen zu korrespondieren: deutsch, französisch, englisch, italienisch und spanisch; italienisch korrespondiert man auch mit der Levante, spanisch mit Mittel- und Südamerika. Von den zahlreichen Lehrbüchern der H. sind hervorzuheben: Schiebe-Odermann, Die kaufmännische Korrespondenz, deutsch mit französischer, englischer und italienischer Phraseologie (13. Aufl., Leipz. 1881); "H. in neun Sprachen" (Stuttg. 1875, 9 Bdchn.); die von Wagner (2. Aufl., Leipz. 1885), Rhode (8. Aufl., Frankf. 1882) Burchard (3. Aufl., Wien 1883), Glöckner (2. Aufl., Leipz. 1885); das "Lexikon der H. in neun Sprachen" (Stuttg. 1882, 2 Bde.) u. a.

Handelskrisis, jede tief eingreifende Erkrankung des volkswirtschaftlichen Organismus, welche eine intensive Störung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Konsumtion mit gewissen im Verkehr und Handel hervortretenden Folgeerscheinungen hervorruft. Die Bezeichnung dieser Zustände als Krisen ist zwar allgemein üblich, aber durchaus fehlerhaft. Die Störung trifft nicht allein oder zuerst das Gebiet des Handels, sondern vorzugsweise dasjenige der Produktion und Konsumtion; man sollte also vielmehr von "Wirtschaftskrisen" als von "Handelskrisen" sprechen, und in diesem Sinn wäre der Ausdruck "Absatzkrisen" (s. d.), der gewöhnlich nur zur Bezeichnung einer Teilerscheinung dient, noch zutreffender. Aber auch das Wort Krisis ist falsch angewendet, denn unter Krisis versteht man in der Medizin nur ein gewisses Stadium der Krankheit und zwar im Sinn der alten Ärzte solche Wendungen derselben, welche durch wirkliche Abscheidung krankhafter Stoffe und deren Entfernung aus dem Körper herbeigeführt werden, im Sinn der neuern Heilkunde aber "Entscheidungen, welche eine rasche Besserung mit sich bringen". Keins von beiden paßt auf die wirtschaftlichen Krisen. Der Zustand einer vollkommenen Gesundheit wäre derjenige, in welchem Produktion und Konsumtion sich vollkommen das Gleichgewicht halten, der Fortschritt in beiden Richtungen sich stetig, ohne Unterbrechung und ohne Überstürzung, vollzieht. Ein solcher idealer Zustand ist erfahrungsgemäß nie vorhanden und kann auch nicht bestehen. Einzelne Zweige der menschlichen Thätigkeit, einzelne Gegenden sind wenigstens jederzeit irgend einem Leiden ausgesetzt. Aber nur da, wo diese Leiden in einer gewissen Verbreitung und mit einer gewissen Heftigkeit auftreten, spricht man von einer Krise.

Eine exakte Theorie der Handelskrisen ist nicht aufzustellen, da jede Krise von der andern in ihren Ursachen, ihrem Verlauf und ihren Nachwirkungen irgendwie spezifisch abweicht. Indessen lassen sich doch gewisse gemeinsame Merkmale der Entstehung und des Verlaufs der Krisen ableiten. Die Krisis kann in erster Linie durch ein weitverbreitetes Mißverhältnis zwischen Erzeugung und Verbrauch oder durch große Veränderungen in den Verkehrs- und Marktzuständen mit Einschluß des Geldumlaufs oder endlich durch allzu rasche Kapitalfixierungen veranlaßt werden. Das Mißverhältnis zwischen Erzeugung und Verbrauch, welches im weitern Verlauf jeder Krise wahrnehmbar wird, kann als erste Ursache in doppelter Hinsicht auftreten: entweder die Konsumtion wird plötzlich in starkem Maß eingeschränkt aus Gründen, die dem wirtschaftlichen Leben fern liegen, z. B. infolge eines Kriegs oder einer Epidemie, ohne daß die Produktion Gelegenheit hatte, sich einzuschränken; oder die Produktion nimmt infolge neuer Erfindungen sehr rasch zu, so daß der normale Bedarf diesem Angebot nicht mehr die entsprechende Nachfrage entgegenstellen kann. Dann ist eine Überproduktion vorhanden; in beiden Fällen spricht man von Absatzkrisen. Es können aber auch Ereignisse von wirtschaftlichem Charakter eintreten, die mehr oder weniger tief eingreifende Abänderungen im Umsatz zum Gefolge haben. Hierher gehören die Einrichtung neuer Verkehrsstraßen, die Aufschließung neuer Absatzwege durch Eröffnung bisher unzugänglicher Länder, umgekehrt die Verschließung der bisherigen Wege durch handelspolitische Maßregeln; ferner gewisse umfassendere Veränderungen im Geld- und Umlaufswesen durch Vermehrung oder Verminderung des Edelmetalls, Papiergeldes, der Krediteinrichtungen etc. In solchen Fällen hat man es mit Handelskrisen im engern Sinn, Geld- und Kreditkrisen, zu thun. Oder endlich kann der erste Anlaß darin liegen, daß ein starkes Spekulationsfieber eintritt, welches zur raschen Entstehung großer Anlagen in Industrien, Eisenbahnen, Banken etc. lenkt, das Betriebskapital aufsaugt, zu einer Erhöhung der Produktionskosten und gleichzeitig auch zu einer Über-^[folgende Seite]