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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Handelswert; Handelswinde; Handelswissenschaft

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Handelswert - Handelswissenschaft.

Reiche Sammlungen über die H. jener Zeit enthalten: Chalmers' "Collection of maritime treatise of Great Britain and other powers" (Lond. 1790, 2 Bde.) und Hauterives "Recueil des traités de commerce et de navigation entre la France et les puissances étrangères depuis 1648" (Par. 1833, 8 Bde.). Die H. der heutigen Zeit sind weniger auf Erzielung eines Vorranges vor Dritten als vielmehr auf Gleichstellung gerichtet. Daher das Streben nach Aufhebung der heute meist gefallenen, bei unsrer Verkehrsentwickelung überhaupt nicht mehr haltbaren Durchgangsabgaben und nach Beseitigung von Differentialzöllen. Diesem Streben entspricht die Klausel der Meistbegünstigung, welche im englisch-französischen Handelsvertrag vom 23. Jan. 1860 zur Geltung kam und von da in den meisten Handelsverträgen, insbesondere auch im Frankfurter Friedensvertrag von 1871, aufgenommen wurde. Durch diese Klausel sichert man sich dagegen, daß man nicht ungünstiger behandelt wird als ein andres Land. Alle einem dritten Land gemachten weitern Zugeständnisse kommen auch dem den Vertrag schließenden Teil zu gute. Die Verkehrsentwickelung der neuern Zeit führte zum Abschluß einer großen Zahl von Handelsverträgen. Da durch dieselben im wesentlichen Zollermäßigungen angebahnt wurden und diese auf Grund obiger Klausel auch andern Nationen zugestanden werden mußten, so haben die neuern H. vorzüglich der Handelsfreiheit Vorschub geleistet. In einigen Staaten hatten sie die Existenz mehrerer Zolltarife nebeneinander zur Folge. So hatte Frankreich neben seinem allgemeinen oder Generaltarif noch besondere mit einzelnen vereinbarte Konventionaltarife, während in Deutschland alle vertragsmäßigen Zugeständnisse einfach in den allgemeinen Tarif aufgenommen worden waren. Die Dauer der H. wird gewöhnlich auf kürzere Zeit (je nach Lage der Dinge selbst nur auf einige Monate), jedoch mit der Maßgabe festgesetzt, daß dieselben weiterhin für die gleiche Zeitdauer gültig bleiben sollen, wenn nicht binnen bestimmter Frist eine Kündigung von einer der beiden Parteien erfolgte. In den konstitutionellen Staaten bedarf der Abschluß der H. der Mitwirkung der Volksvertretung, dagegen hatte Napoleon III. sich das Recht zur selbständigen Abschließung von Handelsverträgen vorbehalten. Aus dem oben genannten Grund stehen die H. mit ihren gebundenen Zollsätzen und der Klausel der Meistbegünstigung mit den Forderungen des Protektionssystems nicht im Einklang. Letzteres muß vielmehr einen autonomen Tarif verlangen, d. h. einen solchen, dessen Zollsätze ausschließlich mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des eignen Landes bemessen sind. Der Aufstellung autonomer Tarife war der Umstand günstig, daß Ende der 70er Jahre nicht allein die wichtigern H. abliefen, sondern gleichzeitig auch in den meisten Staaten schutzzöllnerische Bestrebungen die Oberhand erlangten. Zu gunsten der deutschen Zollreform von 1879 wurde insbesondere geltend gemacht, daß die gültigen Zollsätze keinen Anhalt böten, bei andern Ländern Zugeständnisse durch Zugeständnisse zu erringen. Erst nach erfolgter Revision des Tarifs sollten Verhandlungen über den Abschluß neuer H. eröffnet werden. Vgl. Schraut, System der H. und der Meistbegünstigung (Leipz. 1884); v. Aufseß, Die Zölle und Steuern sowie die vertragsmäßigen auswärtigen Handelsbeziehungen des Deutschen Reichs (3. Aufl., Münch. 1886), und das amtliche "Deutsche Handelsarchiv", welches regelmäßig über die Bewegung auf dem Gebiet der H. berichtet.

Handelswert (Marktpreis, Durchschnittspreis, laufender, mittlerer Preis), derjenige Preis, welcher zur Zeit und an dem Orte der Erfüllung oder an dem für letztern maßgebenden Handelsplatz nach den dafür bestehenden örtlichen Einrichtungen festgestellt ist; in Ermangelung einer solchen Feststellung oder bei nachgewiesener Unrichtigkeit derselben der mittlere Preis, welcher sich aus der Vergleichung der zur Zeit und am Orte der Erfüllung geschlossenen Kaufverträge ergibt (deutsches Handelsgesetzbuch, Art. 353). Der H. kommt namentlich in Betracht bei dem Verkauf verfallener Faustpfänder und bei dem Verkauf leicht verderbender Waren im Fall eines Verzugs, sodann im Fall der Beanstandung zugesandter Waren, ferner bei der Klage auf Differenzzahlung im Fixgeschäft, bei Einkäufen und Verkäufen durch Kommissionäre und bei Schadenersatzforderungen. Der H. ist immer der sogen. gemeine H., d. h. die besondern Verhältnisse des Eigentümers der betreffenden Sache und der besondere Wert, welchen jemand aus individuellen Gründen dieser Sache beilegt, kommen dabei nicht in Betracht. In dieser Hinsicht ist namentlich die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs (Art. 396, 612) von Wichtigkeit, wonach der Frachtführer und Verfrachter von Seehandelsgut in der Regel im Fall des Verlustes des Frachtgutes den gemeinen H. zu ersetzen hat, welchen Gut derselben Art und Beschaffenheit am Orte der Ablieferung zu der Zeit hatte, in welcher das Gut abzuliefern war. Dabei kommt in Abzug, was infolge des Verlustes an Zöllen und Unkosten erspart ist. Im Fall der Beschädigung ist der Unterschied zwischen dem Verkaufswert des Gutes im beschädigten Zustand und dem gemeinen H. zu ersetzen. Hat das Gut keinen H., so ist der Berechnung der gemeine Wert des Gutes zu Grunde zu legen.

Handelswinde, s. Passatwinde.

Handelswissenschaft umfaßt diejenigen Wissenschaften, deren Studium dem Kaufmann zum Betrieb seines Geschäfts nötig und nützlich ist. Dieselbe ist eine angewandte Wissenschaft, d. h. eine solche, welche Lehrsätze aus andern Wissenschaften zu einem praktischen Zweck verbindet. Hierher gehören: kaufmännisches Rechnen in Verbindung mit Münz-, Maß- und Gewichtskunde, dann Warenkunde, Handelsgeschichte, Handelsgeographie, Handelsstatistik, Handelsrecht mit Einschluß des Wechselrechts, Handelspolitik, Handelskunde mit Handels- oder Handelsbetriebslehre (auch H. im engern Sinn oder theoretische H. genannt), endlich die Kontorfächer oder Kontorwissenschaft (Buchhaltung, kaufmännische Korrespondenz, kaufmännisches Rechnen umfassend), welche auch als "praktische H." bezeichnet wird. Vgl. Noback, Die H. (4. Aufl., Leipz. 1886), und die Handbücher von Braune (4. Aufl., das. 1885), Wenzelburger (2. Aufl., Hannov. 1878), Findeisen (2. Aufl., Graz 1878); Rothschild, Taschenbuch für Kaufleute (29. Aufl., Leipz. 1885); Huber, Handbuch der Kontorpraxis (2. Aufl., Stuttg. 1883); Salomon, Komptoirhandbuch (8. Aufl., Berl. 1885); Maier-Rothschild, Handbuch der gesamten Handelswissenschaften (3. Aufl., Stuttg. 1885, 2 Bde.); Lindwurm, Die Handelsbetriebslehre (das. 1869); Courcelle-Seneuil, Manuel des affaires (4. Aufl., Par. 1883, deutsch von Ebersbach als "Theorie und Praxis des Geschäftsbetriebs", Stuttg. 1868); Landgraf, Die Handels- und Industriegesetzgebung des Deutschen Reichs (Nördling. 1877); "Handbibliothek der gesamten Handelswissenschaften" (hrsg. von Merkel, Röhrich, Schlössing u. a., Stuttg. 1885, 12 Bde.);