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Industrielle Arbeiterfrage (materielle und moralische Übelstände).
findet sich unter anderm in den angeführten Werken von Engels und Marx, in den Berichten der englischen Fabrikinspektoren und der großen Enquetekommissionen; vgl. ferner L. Faucher, Études sur l'Angleterre (2. Aufl., Par. 1856, 2 Bde.); Buret, Misère des classes laborieuses en Angleterre et en France (das. 1841, 2 Bde.); Villermé, Tableau de l'état physique et moral des ouvriers employés dans les manufactures, etc. (das. 1840, 2 Bde.); Chadwick, Report or an inquiry into the sanitary condition of the labouring population of Great Britain (Lond. 1842, 3 Bde.); Kay, The social condition of the people of England and Europe (das. 1850, 2 Bde.); Ketteler, Die Arbeiterfrage, Anl. 3; für deutsche Zustände die Berichte des Bundesrats über die beiden Enqueten, betreffend die Arbeit in den Fabriken (1874 und 1876), und neuerdings die Berichte der deutschen Fabrikinspektoren. Viele Lohnarbeiter, insbesondere solche, welche keinem Arbeiterverband angehören, befinden sich trotz Freizügigkeit, Freiheit des Arbeitsvertrags in einer Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern, die schädlich auf Lohnhöhe, Arbeitszeit, Art der Arbeit und persönliche Behandlung einwirkt. Hauptursache derselben sind Einseitigkeit der Ausbildung, die Abgelegenheit einer Fabrik oder eines Bergwerks von andern Unternehmungen, in denen der Arbeiter Beschäftigung suchen könnte, Mangel an Zeit, andre Arbeit zu suchen, Gebundenheit an einen Ort durch Land- oder Hausbesitz.
Für Verbesserung der Arbeiterwohnungen (s. d.) ist zwar in neuerer Zeit viel geschehen, aber trotzdem entspricht eine große Zahl, wenn nicht die Mehrzahl derselben keineswegs den im Interesse der Gesundheit und Sittlichkeit an sie zu stellenden Anforderungen. Gerade die Wohnungsfrage ist noch wichtiger als die Lohnfrage, indem viele Übelstände (große Sterblichkeit, Unsittlichkeit etc.) dadurch verursacht werden, daß die Wohnungen ungesund, schmutzig und zu klein sind. Die Arbeiter sind meist genötigt, ihren Lebensbedarf im kleinen bei Krämern einzukaufen; dabei müssen sie oft höhere Preise, noch dazu gewöhnlich für schlechtere Ware, zahlen. Früher hielten auch wohl Unternehmer oder deren Aufseher solche Kramläden und verpflichteten ihre Arbeiter, in denselben die Waren zu kaufen. Leider ist diese Maßregel häufig zu einem Mittel der Ausbeutung geworden, indem den Arbeitern schlechte Waren zu hohem Preis verkauft wurden (Trucksystem).
Moralische Übelstände.
Zu unterscheiden sind solche, welche bei verheirateten Arbeitern, bei männlichen Arbeitern überhaupt und bei unverheirateten weiblichen Arbeitern vorkommen. Bei verheirateten Arbeitern stehen Häuslichkeit und Familienleben oft im Widerspruch mit den Forderungen von Sittlichkeit und Kultur. Die Ursache hiervon liegt häufig in Unzulänglichkeit des Einkommens oder übermäßiger Ausdehnung der Arbeitszeit der Familienväter; aber nicht selten wirken doch auch andre Ursachen mit, wie frühe leichtsinnige Eheschließungen, Mangel des Bewußtseins der sittlichen Pflichten der Eheleute und Eltern, Unwirtschaftlichkeit der Frauen und Unfähigkeit derselben, dem Mann ein ordentliches, behagliches Hauswesen zu bereiten, regelmäßige Erwerbsthätigkeit der Frau außerhalb der Wohnung etc. Ein schwerwiegender Übelstand beruht darin, daß die Kinderzahl diejenige Grenze übersteigt, welche Kultur und Lohnhöhe gestatten. Folge hiervon ist eine beklagenswerte Ausbeutung der Arbeitskraft der armen Kinder, große Kindersterblichkeit, häufige Krankheiten und frühzeitiger Tod der Frauen, dann aber auch der Nachteil, daß jede dauernde Steigerung des Lohns über eine Höhe, bei der nur gerade der notwendige Lebensbedarf für die Durchschnittsfamilie notdürftig gedeckt wird, erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Dazu gesellt sich die mangelhafte Ausbildung der Kinder. Die Schule allein reicht für die Ausbildung meist nicht hin. Der Familie fällt insbesondere die Pflege der sittlichen Eigenschaften als wesentliche Aufgabe zu. Diese wird aber leider nur zu oft in ungenügender Weise erfüllt, ja es wird häufig noch verdorben, was Schule und kirchlicher Einfluß Gutes geschaffen. Vgl. darüber namentlich die englischen Enqueten: "Childrens Employment Commission" (first report: "Mines", 1862, 3 Bde.; second report, 1843, 3 Bde.); "Childrens Employment Commission" (six reports, 1863-67); "Agriculture, Employment of women and children" (4 reports, 1867-70). Auch der Mangel an Gelegenheit und Fähigkeit zu einer das Leben verschönernden Erholung und weitern Ausbildung in den freien Stunden ist oft zu beklagen und ein für die ganze Existenz dieser Klassen schwer ins Gewicht fallender Übelstand.
Bei männlichen Arbeitern überhaupt, verheirateten wie unverheirateten, finden sich oft unter andern als unmoralische Erscheinungen: geringer Arbeitsfleiß, Unwirtschaftlichkeit, Mangel an Sparsinn, wo das Einkommen an sich ein Sparen gestatten würde, geringer Trieb zu besserer Ausbildung etc.; eine feindselige bis zu fanatischem Hasse sich steigernde Gesinnung gegen die besitzenden Klassen und Mißtrauen, auch gegen uneigennützige, humane Reformmaßregeln; roher Materialismus und Irreligiosität; Mißachtung des gegebenen Wortes (Kontraktbruch) und des bestehenden Rechts; Mißbrauch der Koalitionsfreiheit etc.
Bei unverheirateten Arbeiterinnen kommen außer einer inhumanen Arbeitszeit und Arbeitsart in Betracht einerseits die mangelnde Gelegenheit, sich in den freien Stunden die für ihren künftigen Beruf als Hausfrauen notwendigen Eigenschaften und Fähigkeiten anzueignen, anderseits eine weitverbreitete geschlechtliche Unsittlichkeit, welche ihre Gesundheit schädigt, uneheliche Geburten herbeiführt und das künftige Familienleben gefährdet. Befördert wird dieselbe nicht selten durch die Art ihrer Beschäftigung (unkontrollierter Verkehr mit männlichen Arbeitern), durch die Art ihrer Schlafstellen etc.
Doch wäre es verfehlt, nur gegen die arbeitende Klasse allein Vorwürfe zu erheben; auch die Arbeitgeber und besser situierten Gesellschaftsklassen lassen sich schwere Sünden zu schulden kommen, so, wenn erstere ihr Verhältnis zu ihren Arbeitern nur als ein rein juristisches Vertragsverhältnis und nicht zugleich als ein moralisches auffassen, wenn sie sich begnügen, ihre vertragsmäßigen Verpflichtungen zu erfüllen, ohne sich weiter um die soziale Lage ihrer Arbeiter zu bekümmern und an der Hebung ihrer Lage mitzuwirken. Der Mißstand wird viel größer, wenn die Unternehmer in rücksichtsloser Weise ihre Arbeiter nur als Produktionsmittel ausbeuten, dieselben geringschätzig behandeln und ihnen überdies durch eigne Unsittlichkeit und Unwirtschaftlichkeit ein schlechtes Beispiel geben. Die höhern Klassen sollten sich dessen bewußt sein, daß sie im eignen Interesse handeln, wenn sie auch für die untern Klassen besorgt sind, und daß ohne ihre Mitwirkung keine genügende Besserung in der Lage der letztern zu erzielen ist. Nur wenn jene Klassen von dieser Pflicht erfüllt handeln, kann die soziale Reform gelingen.