Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Italienische Litteratur

99

Italienische Litteratur (18. und 19. Jahrhundert).

und tändelnde Sinn, welcher sich in den meisten Geistesprodukten der unmittelbar vorhergegangenen Zeit offenbart, ist unleugbar einem ernstern und würdigern Geist gewichen, und die durch ebenjene großen Begebenheiten herbeigeführte Bekanntschaft der Italiener mit deutscher und englischer Sprache und Litteratur ist nicht ohne heilsamen Einfluß geblieben. Zwei Hauptgegensätze haben sich in dieser neuern Zeit entwickelt: der eine auf dem Gebiet der Sprache, der andre, tiefere und umfassendere auf dem Gebiet der litterarischen Kritik. Durch die lange Anwesenheit der Franzosen in Italien steigerte sich deren Vergötterung, aber auch der patriotische Zorn mehrerer um ihre Nationalität besorgter Männer wurde infolge davon rege gemacht und dadurch ein Umschwung ermöglicht und herbeigeführt. Als rüstiger Vorkämpfer dieser Schule ist der um die Sprache wohlverdiente Antonio Cesari aus Verona (gest. 1828) zu nennen, welcher durch Herausgabe alter italienischer Klassiker, durch Übersetzungen aus dem Lateinischen, durch eine weitläufige Schrift zur Erläuterung der Sprachschönheiten des Dante, vorzüglich aber durch eine mit Tausenden veralteter Wörter und Redensarten bereicherte Ausgabe des Wörterbuchs der Crusca für die Ausbildung der Sprache zu wirken gesucht hat. Der danach entbrannte Streit zwischen Puristen und Gallizisten (Puristi und Libertini) hat sich ganz zu gunsten der erstern entschieden. Weniger zu bestimmter Entscheidung gekommen ist der zweite Gegensatz, welcher in Italien zwischen den Klassikern und Romantikern oder den Anhängern der ältern poetischen Schule und denen, welche die freiern Ansichten der Deutschen und Engländer verfochten, lange Zeit bestand. Als die bedeutendsten Erscheinungen im Anfang dieser ganzen Bewegung sind zu nennen: Gasparo Gozzi (1713-86), der in Prosa wie in Poesie, als lehrender Journalist und kämpfender Kritiker wie als Dichter bahnbrechend und als Vorbild wirkte, und Melchiore Cesarotti (1730-1808), der Übersetzer des Ossian und gleichsam der Vorläufer der modernen romantischen Schule. Als originelles Genie folgte ihnen der Lombarde Giuseppe Parini (1729-99), ein Dichter von tiefem und reichem Gemüt und unabhängigem Charakter, dem der Unwille über die Erbärmlichkeit, namentlich der Vornehmen, seiner Zeit das satirische Gedicht "Il giorno" in die Feder diktierte, während er mit seinen Oden eine neue Ära der italienischen Lyrik eröffnete. Ihm würdig zur Seite steht der Lyriker Ippolito Pindemonte aus Verona (gest. 1828), der, von Natur weich und schwermütig, in fast allen seinen Liedern und Kanzonen eine den Italienern sonst fremde melancholische Stimmung verrät. Unendlich mehr wirkte auf seine Zeit der piemontesische Graf Vittorio Alfieri (1749-1803), der Schöpfer der italienischen Tragödie und das Haupt einer bedeutenden Schule, in dessen nach antikem Vorbild geschaffenen, von sittlichem Pathos erfüllten Werken glühende Vaterlandsliebe und Begeisterung für die Herstellung der untergegangenen Größe der Nation lebt. Zur Schule Alfieris gehört der ihm an Charakter ähnliche Ugo Foscolo (gest. 1827), der Verfasser der "Sepolcri", der indessen weit bekannter durch seine prosaischen Schriften, namentlich durch den Roman "Ultime lettere di Jacopo Ortis", eine ins Politische übersetzte Nachahmung von "Werthers Leiden", ist. Als Lyriker sind aus dem Ende des 18. Jahrh. noch zu nennen: der Odendichter Giovanni Fantoni (gest. 1807) und besonders Giovanni Meli (gest. 1815) aus Palermo, von welchem man reizende Gedichte in sizilischer Mundart, auch ein satirisches Gedicht, "Don Chisciotte", hat. Den bedeutendsten Einfluß auf die Regeneration der Poesie und der Sprache seiner Zeit hat ohne Zweifel Vincenzo Monti (1754-1828) ausgeübt, dessen berühmte "Cantica in morte di Ugo Basville", auf den Tod des 1793 in Rom von dem Volk ermordeten französischen Gesandten Basseville, wie auch die "Visione di Ezechiello", "Bellezza dell' Universo" etc. an Dante erinnern.

Unter den Dramatikern des 19. Jahrh., welche der Schule Alfieris angehören, gebührt unstreitig der erste Rang dem Florentiner Giambattista Niccolini (gest. 1861), dem Dichter des "Arnoldo da Brescia", der mit der Einfachheit des Plans eine blühende Sprache und bei weitem mehr historische und Lokalfarbe als Alfieri verbindet. Schwächer, aber durch Liebenswürdigkeit und vaterländische Gesinnung ausgezeichnet sind die dramatischen Werke des genialen, durch die von ihm selbst beschriebene Kerkerhaft ("Le mie prigioni") berühmt gewordenen Silvio Pellico aus Saluzzo (gest. 1854), dessen Tragödie "Francesca da Rimini" noch immer zu den Lieblingsstücken der italienischen Bühne zählt. Auch sein Unglücksgefährte Carlo Maroncelli (gest. 1846), hat eine Tragödie: "Corso Donati", geschrieben. Neben jenen bedeutendern Dichtern sind noch zu nennen: Luigi Scevola und Cesare della Valle, Herzog von Ventignano (gest. 1860), welche beide die alten mythologischen Stoffe in gewohnter Weise behandeln, der Tragödiendichter Francesco della Valle und der überaus fruchtbare neapolitanische Dramatiker Cosenza, Verfasser von etwa 300 Lust- und Trauerspielen. Eine neue Bahn im Tragischen wie auch in andern Gattungen der Poesie brach sich Aless. Manzoni (1785-1873), dessen beide Tragödien: "Il conte di Carmagnola" und "Adelchi" mit glücklich eingeflochtenen lyrischen Chören ausgestattet sind. Als schwache Nachahmungen davon sind zu nennen: Tebaldo Fores' "Buondelmonte", "Beatrice Tenda" und "Fieschi ed i Doria", de Cristoforis' "Ser Gianni Caraccioli" und Rosinis "Torquato Tasso", "Adelgisa", "Il conte Ugolino", "Ezzelino" u. a. Im Anschluß an die Schule Niccolinis wurde einiges Schätzbare und Wirksame für die Bühne geleistet, so von Carlo Marenco ("Pia de' Tolomei"), von Giuseppe Revere ("Lorenzino de' Medici"), Ippolito d'Aste, Giuseppe Pieri ("Ippolito e Dinora") u. a. Im ganzen aber geriet die dramatische Dichtung der Italiener in einen Verfall, aus welchem sie erst gleichzeitig mit dem Erwachen des nationalen Bewußtseins nach 1848 sich erhob. Eine Dichterkraft von epochemachender Bedeutung blieb dem italienischen Theater freilich auch jetzt versagt, und auf dem Gebiet der Tragödie sind nur zwei Poeten zu nennen, welche in den letzten Dezennien längere Zeit die italienische Bühne wirklich beherrscht haben: Giacometti und der jüngere (Leopoldo) Marenco. Paolo Giacometti (gest. 1882) errang zahlreiche Triumphe nicht bloß in der Tragödie, sondern auch im Schauspiel und Lustspiel; aber der volle und ungeteilte Beifall scheint von seiten der Kritik nur seinem "Sofocle" gegönnt. Leopoldo Marenco machte verschiedene Phasen durch, versuchte es bald mit der Tragödie, bald mit dem Familienstück, jetzt mit dem Ritterschauspiel, dann wieder mit dem modernen Sittenbild, und in jeder dieser Phasen fand er nicht bloß Lorbeeren, sondern auch zahlreiche Nachahmer. Groß ist neben diesen beiden die Zahl derjenigen, welche oft nur mit einzelnen ihrer tragischen Werke sich eines vorübergehenden Erfolgs erfreuten. Wir nen-^[folgende Seite]