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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Jüdische Litteratur

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Jüdische Litteratur (2.-11. Jahrhundert).

schen Midrasch zum 2. Buch Mosis, der Mechilta, anregend, Elasar aus Modim, Josua der Galiläer, Chananja ben Teradjon, Elisa ben Abuja, wegen seiner Abtrünnigkeit Acher (der andre) genannt, Ben Soma und Ben Assai. Den Gelehrten, welche unter Hadrian den Märtyrertod erlitten, folgten Meir, Juda ben Ilai, aus dessen Schule der halachische Midrasch zum 3. Buch Mosis, Sifra oder Torat Kohanim genannt, hervorging, Simon ben Jochai (s. d.), der die Grundlage zu dem halachischen Midrasch zum 4. und 5. Buch Mosis (Sifre) gab, Jose ben Chalafta, dem man eine biblische Chronologie, "Seder olam", zuschreibt, und Elasar ben Schammua. Die endgültige Richtung und Feststellung der Halacha unternahm Juda hanassi (der Patriarch), Sohn Simons III. Seine Arbeit, sechsteilige Mischna (s. Talmud), verdrängte die frühern Sammlungen und gelangte zu unbedingter Autorität, gegen welche spätere Kompendien, wie die Tossifta (Zusätze) und Boraila (äußere Mischna), nicht aufkamen. Kaum war die Mischna abgeschlossen, so bedurfte auch sie der Auslegung, welcher sich in den Lehrhäusern, zuvörderst denen Palästinas, die Amoraim (Sprecher: Erklärer) widmeten, so Jochanan ben Napacha (199-279), Simon resch Lekisch (275), Josua ben Levi, Simlai u. a., und im 4. Jahrh. ist in den Akademien Palästinas das Auslegungsmaterial der Mischna, die Gemara (vollständige Erklärung), gesammelt worden und aus Mischna und Gemara der jerusalemische oder palästinensische Talmud (s. d.) entstanden. In Palästina brachte um 360 n. Chr. Hillel II. die Kalenderbestimmung in feste Regeln, die heute noch gelten.

Reger als in Palästina entwickelte sich der geistige Verkehr in den Euphratländern. Hier versammelten die tiefgelehrten Abba Arecha, gewöhnlich Rab (Lehrer) genannt, welcher die Kenntnis der Mischna in Palästina erworben hatte, und Samuel zahlreiche Schüler um sich, mit denen die halachischen Studien eifrig betrieben wurden. In den babylonischen Hochschulen wurde die Erklärung zur Mischna redigiert, revidiert und durch die Schrift fixiert, welcher Arbeit, neben R. Aschi Maremar, Mar bar Aschi und besonders R. Abina sich unterzogen. So entstand der babylonische Talmud (s. d.), jene Riesenarbeit, die für alle Folgezeit die vorzüglichste Religionsquelle des rabbinischen Judentums blieb. Die Redaktion des Talmuds bezeichnet den Höhepunkt der babylonischen Gelehrsamkeit. Die angestrengte Schaffenskraft erlahmt und ruht mehrere Jahrhunderte, bis sie unter den Geonim (s. unten) neu auflebt. Die von 500 bis 600 thätigen Schulvorsteher, "Saboraim" (Meinung Abgebende), leiden unter politischem Druck und können zu dem Überlieferten nur Zusätze machen; der Talmud ist in heutiger Gestalt uns von ihnen überliefert worden. Nachzügler dieser Zeit sind einzelne Halacha- und Hagaddasammlungen, auch ward die von den Soferim und Talmudisten begonnene Regelung des Gottesdienstes durch Gebete in reiner hebräischer Sprache ohne Reim und Metrum fortgesetzt und die Grundlage zur Massora (s. d.) gelegt.

Vierter Abschnitt (8. bis 15. Jahrhundert).

Im vierten Abschnitt, der sich vom Beginn der arabischen Wissenschaft bis zur Vertreibung der Juden aus Spanien, also vom 8. Jahrh. bis 1492, erstreckt, nehmen die Juden an dem unter den Arabern neu erwachenden, eifrig gepflegten wissenschaftlichen Leben einen hervorragenden Anteil. Vorderasien, Nordafrika, Spanien, Italien und Deutschland sind hauptsächlich der Schauplatz der neuen gesteigerten Kulturentfaltung des geistigen Lebens; die Sprache der Gelehrten ist teils die arabische, teils die neuhebräische. Von Babylonien und Irak aus folgte die jüdische Bildung den Zügen der Araber nach Nordafrika (Ägypten, Kyrene, Fes), Spanien und dem südlichen Frankreich. Schon zuvor hatte sie sich von Palästina aus über Kleinasien, Griechenland, Italien (Bari, Otranto) nach Frankreich und Deutschland (Mainz) verbreitet, während sie im Orient die letzten Blüten trieb. Denn noch einmal hatte sich Babylon durch seine gefeierten Schulhäupter, die den Titel Gaon (Plural Geonim, "Exzellenz") führen, zu Sura und Pumbedita in der Mitte des 8. Jahrh. erhoben und sicherte sich bis in die Mitte des 11. Jahrh. die geistige Hegemonie. Die Thätigkeit der Geonim Jehudai der Blinde (um 750), Simon Kahira, Achai, Amram, Zemach ben Paltoi, Nachschon, Saadja ben Joseph, Scherira, Hai, Samuel ben Chofni (gest. 1034) bestand vorwiegend in sprachlicher und sachlicher Erläuterung des Talmuds, Erteilung von Gutachten oft bis nach Spanien und Frankreich hin und der Abfassung von Monographien über verschiedene Gegenstände der Praxis, zum Teil in arabischer Sprache.

In Kyrene (Kairowan) hatte um die Mitte des 10. Jahrh. die j. L. in dem philosophisch gebildeten Arzt Isak Israeli einen hervorragenden Vertreter gefunden, wie dessen arabisch geschriebene Werke über Medizin und Philosophie bezeugen. Chananel ben Chuschiel kommentierte talmudische Traktate und den Pentateuch, der blinde Chefez ben Jazliach schrieb in arabischer Sprache das Buch der Gebote ("Sefer mizwot"), Nissim, Sohn des Jakob ben Nissim, Erklärer des Buches Jezira, einen Schlüssel zum babylonischen Talmud und angeblich eine kleine Legendensammlung u. a. Das Studium der hebräischen Sprache suchten um 900 Juda ibn Koraisch aus Tahrat durch Vergleichung verwandter Dialekte und Dunasch ben Labrat durch scharfe Polemik gegen Saadja Gaon zu fördern. Über die diesem Zeitraum zuzuweisende Entwickelung der Haggada s. Midrasch; über die Geheimlehre s. Kabbala; über die Litteratur der Karäer s. Karäer. Um diese Zeit entwickelte sich im Anschluß an die bereits feststehenden, zur Zeit der Geonim verfaßten Gebetordnungen (Siddurim) unter Anwendung des Metrums und Reims auch die synagogale poetanische (s. Paitan) Dichtung, als deren würdigster und einflußreichster Vertreter Elasar berabbi Kalir (um 800) zu nennen ist.

Vom 10. Jahrh. an dringt in das jüdische Geistesleben in Spanien ein frischer Zug, welcher die Glanzzeit der jüdischen Litteratur eröffnet. Der Beamte der Kalifen Abd ur Rahmân III. und Alhakim II., Chisdai ben Isak (950) in Cordova, begeisterte seine Glaubensgenossen für Wissen und Poesie. Selbst wissenschaftlich thätig (wie dies seine arabische Übertragung einzelner Teile eines medizinischen Werkes des Dioskorides zeigt), lieh er gelehrter Arbeit willig seinen Beistand. Er berief Menachem ben Saruk, Verfasser des ersten hebräischen Wörterbuchs in hebräischer Sprache, des "Machberet", von Tortosa nach Cordova. Für die Bibliothek Alhakims übersetzte Josef ibn Abitur, auch als synagogaler Dichter bekannt, die Mischna ins Arabische. Im 11. Jahrh. förderten Juda Chajudsch, der Vater der hebräischen Grammatik, der Entdecker des Dreiwurzelbuchstabensystems, und Jona ibn Dschannah (Abulwalid Merwan), Verfasser einer hebräischen Grammatik und eines Lexikons, das Sprachstudium. Der Wesir des Kalifen, Oberrabbiner Samuel Hanagid zu Cordova, war für Grammatik und Exegese