Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Klavier

815

Klavier (Bau des Klaviers; Geschichtliches).

rungsversuchen sei das "Celloresonanzboden-Pianino mit Tubenstegverbindung" von A. H. Francke in Leipzig genannt; Streichinstrumente und Klaviere haben freilich eine so verschiedene Art der Tonbildung, daß von der Übertragung der Konstruktion des einen auf das andre nicht viel zu hoffen ist.

Wie bei allen Saiteninstrumenten, so ist auch beim K. der Resonanzboden (s. d.) der wichtigste Teil; er ist eine unter den Saiten liegende dünne, geradfaserige Tannenholzplatte, deren untere Seite in Zwischenräumen von ungefähr 5-6 cm mit Rippen (Berippung) besetzt ist, Holzleisten, welche, die Fasern rechtwinkelig durchschneidend, den Zweck haben, die Bildung von Transversalschwingungen zu verhindern. Bei den alten Klavieren war der Resonanzboden an mehreren Stellen durch eine sogen. Rose durchbrochen, wie bei der Laute, Guitarre, dem Hackbrett und andern aus Nachhallen des Tons berechneten Instrumenten. Die Saiten sind jetzt durchweg von Gußstahl; Webster in Manchester (1834) war der erste, der sie daraus fertigte. Früher nahm man zu den Saiten gewöhnliches Eisen, noch früher Messing. Um bei gleicher Länge tiefere Töne zu erzeugen, umspinnt man die Saiten mit Eisen-, Messing- oder Kupferdraht; der letztere ist auch oft übersilbert. Behufs Erlangung eines kräftigern Klanges werden zu jedem Ton mehrere gleichgestimmte Saiten aufgezogen und zwar beim Tafelpianoforte zwei (zweichörig), beim Flügel und Pianino drei (dreichörig), während die Saiten der tiefsten Oktave nur einchörig sind. Vorn, am nächsten der Klaviatur, sind die Saiten mittels angedrehter Schlingen um die im Stimmstock eingefügten Stimmnägel gewunden. Der klingende Teil wird durch eine gleich hinter den Stimmnägeln befestigte schmale Leiste, auf welcher die Schrägstifte sich befinden, abgegrenzt; bei neuern Instrumenten sind die Schräg- oder Schränkstifte auch durch einen festen Metallstock (capotasto) vertreten, der quer über die Saiten gelegt und am Stimmstock fest angeschraubt ist. Die Klangerregung der Saiten geschieht durch die Mechanik (Hammerwerk, Klaviatur), mit welcher die Dämpfung verbunden ist. Man unterscheidet die deutsche (Wiener) Mechanik ohne wesentlich verschiedene Abarten und die englische mit vielen Abarten. Bei der deutschen Mechanik befindet sich der Hammer, welcher an die Saiten schlägt, am Tastenhebel und wird mittels einer seinen Stiel nahe am Ende durchkreuzenden Achse in einer auf dem Hebelende der Taste stehenden Messinggabel (Kapsel) bewegt. In das schnabelförmige Ende des Hammerstiels greift der Auslöser, ein knieartig ausgeschnittenes Hölzchen. Beim Druck auf die Taste hebt sich das Hebelende mit dem Hammer, dieser drückt gegen das Knie des Auslösers und schnellt den Hammerkopf gegen die Saite, worauf derselbe sofort in seine Ruhelage zurückfällt, soweit die noch gehobene Taste das gestattet. Gleichzeitig mit dem Hammer hebt sich ein auf jedem Saitenchor befindliches Polsterchen, die Dämpfung, welches erst zurückfällt, wenn der Druck auf die Taste aufhört. Mittels des Hauptpedals (s. unten) kann man auch die Dämpfer von allen Saiten zugleich entfernen. Bei der englischen Mechanik befindet sich der Hammer unabhängig vom Tastenhebel an einer besondern Leiste (Hammerstuhl), in einer Achse sich bewegend; der Hammer wird durch eine auf dem Ende des Tastenhebels befindliche Stoßzunge, die zugleich Auslöser ist, in die Höhe an die Saite geschnellt. Dadurch hat der Hammer den Vorzug, immer genau an derselben Stelle der Saite anzuschlagen, während er bei der deutschen Mechanik sich oft beim starken Anschlag nach vorn schiebt und bei Tafelinstrumenten, namentlich beim Staccatospiel, wohl gar noch eine Saite des nächsten, höher liegenden Tons berührt. Im allgemeinen hat die englische Mechanik den Vorteil der größern Präzision vor der deutschen voraus, dagegen ist die deutsche Mechanik ihrer größern Einfachheit wegen dauerhafter und weit leichter zu reparieren. Ein wesentlicher Bestandteil der Hämmer ist die Belederung (Befilzung), welche weder zu dick und weich noch zu hart sein darf, weil in jenem Fall der Klang matt und dumpf, in diesem spitz und scharf wird. Die Klaviatur scheidet sich in Ober- und Untertasten; erstere sind jetzt durchweg schwarz (aus Ebenholz oder schwarz gebeizt), letztere weiß (mit Horn oder Elfenbein belegt), während man früher auch Instrumente mit schwarzen Untertasten und weißen Obertasten baute. Die Reihenfolge der Untertasten ist die der C dur- Tonleiter, während die Obertasten die übrigen Töne: cis-des, dis-es, fis-ges, gis-as und ais-b angeben. Ihr Umfang war zu Beethovens Zeit vom Kontra-E bis zum viergestrichenen f, während sie sich jetzt vom Doppelkontra-A bis zum fünfgestrichenen c erstreckt. Neuerdings ist auf Anregung J. H. ^[Heinrich Josef] Vincents in Czernowitz die schon früher (z. B. von K. Henfling 1708, J. ^[Johann] Rohleder 1792, K. B. Schumann 1859 u. a.) angewandte, aber wieder verschwundene chromatische Klaviatur wieder hier und da gebaut worden, welche aus dem ununterbrochenen Wechsel von Ober- und Untertasten besteht. Eine geistreiche Weiterbildung derselben ist Paul v. Jánkos Terrassenklaviatur (1884), die jetzt einiges Aufsehen macht, aber auch schwerlich die alte Klaviatur verdrängen wird. Die beiden Messing- oder Holztritte beim Flügel und Pianino, durch welche man mit den Füßen die Dämpfung (Fortezug) und Verschiebung (wodurch die Klaviatur etwas beiseite geschoben wird, so daß der Hammer nur an eine oder zwei Saiten schlägt) regiert, nennt man Pedal. Verbesserungen der Fortepedals wurden unter andern versucht von E. Zachariä (Kunstpedal), Steinway u. Söhne (Tonhaltungspedal) und Ehrbar (Prolongement), deren gemeinsames Ziel ist, die Dämpfung einzelner Töne oder ganze Teile der Besaitung gehoben zu erhalten, während die übrigen gedämpft bleiben. Sie haben aber sämtlich nur vorübergehendes Interesse erweckt. Zu größerm Ansehen gelangten die Aliquotflügel von Blüthner (s. d.) in Leipzig, bei denen der Besaitung jedes Tons die höhere Oktave zur Verstärkung beigegeben ist; die Oktavsaiten werden aber nicht vom Hammer getroffen, sondern nur durch Mittönen erregt und haben besondere, mit der Hauptdämpfung zusammenhängende kleinere Dämpfer. Einer ähnlichen Idee entsprang die Doppelmensur von Steinway (1872), welche die toten Teile der Saiten (s. oben) auf Obertöne der ganzen Saiten stimmt. Die berühmtesten heutigen Pianofortefabriken sind die von Erard in Paris, Steinway u. Söhne in New York, Bechstein in Berlin, Blüthner in Leipzig, Broadwood in London, für Pianinos noch Schiedmayr in Stuttgart, Feurich in Leipzig etc.

[Geschichtliches.] Das jetzt wie kein andres Instrument über die ganze Welt verbreitete K. hat eine verhältnismäßig kurze Geschichte. In seiner heutigen Gestalt, als Hammerklavier, ist es nicht älter als 1½ Jahrhundert; aber auch in seinen Uranfängen als Saiteninstrument mit Tastatur reicht es nur bis ins Mittelalter zurück. Sehen wir dagegen von der Klaviatur ab, welche ja das K. erst zum K. macht (clavis = Taste), so müssen wir als Vorläufer desselben