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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kochin; Kochinchina; Kochkunst

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Kochin - Kochkunst.

Kochin, Kochinchina, s. Kotschin, Kotschinchina.

Kochkunst, die Kunst, alle Arten von Speisen und Getränken schmackhaft zu bereiten. Die zweckmäßige Zubereitung der Speisen erfordert in oft unterschätztem Grad eine Berücksichtigung des chemischen Verhaltens der Nahrungsmittel beim Kochen und eine Kenntnis der Bedeutung der einzelnen Nahrungsstoffe für den Ernährungsprozeß. Das ungleiche Verhalten des Fleisches beim Aufsetzen mit kaltem oder heißem Wasser, die Unbrauchbarkeit harten Wassers zum Kochen der Hülsenfrüchte sind naheliegende Beispiele. Die neuere Zeit hat daher auch vielfache Bestrebungen aufzuweisen, die Chemie für die K. nutzbar zu machen und zu diesem Zweck chemische Kenntnis in der Frauenwelt zu verbreiten. Dies erscheint um so notwendiger, als jetzt auch neue Präparate, wie Fleischextrakt, Gewürzextrakte etc., in die Küche eindringen, manche Chemikalien häufiger benutzt werden und mannigfache, sehr empfehlenswerte Maschinen und Apparate (z. B. der Dampfkochtopf) die alten einfachen Geräte mehr und mehr verdrängen. Der Wert der K. ist nicht zu unterschätzen, denn eine gute Küche befördert drei große Angelegenheiten: 1) die Volkswirtschaft durch Sparsamkeit bei der Zubereitung der Speisen, indem die wahre Kunst darin besteht, nicht aus dem Vollen zu schöpfen, sondern mit möglichst geringen Mitteln möglichst viel zu erreichen; 2) die öffentliche Gesundheit, weil schlechte Küche den Magen verdirbt, während eine gute Zubereitung die Speisen gesünder und nahrhafter macht, und 3) den ästhetischen Sinn, den gesellschaftlichen Verkehr und die Gastfreundschaft. Vgl. Küche.

Geschichtliches. Schon im Altertum finden wir die K. bis zu einem hohen Grad ausgebildet und zwar zuerst in den asiatischen Ländern, von wo aus sie sich über die Inseln Chios und Sizilien, über Griechenland und später über Italien verbreitete. Obwohl die Griechen im allgemeinen mehr einer einfachen Lebensweise huldigten, so riß doch auch bei ihnen, vorzüglich in Athen, mit dem überhandnehmenden Luxus zugleich der Aufwand bei den Tafelfreuden ein, und wie sehr zur Befriedigung derselben die K. selbst beitragen mußte, erhellt aus der ziemlich vollständigen Aufzählung der ausgewählten Gerichte und der mannigfachen Küchengeräte, die uns Athenäos in seinen "Deipnosophisten" geliefert hat, sowie aus dem Umstand, daß man in Prosa und Poesie die Gegenstände einer feinen Tafel und die Regeln der K. abhandelte, wie dies von Archestratos von Gela (494 v. Chr.), dessen Werk von Quintus Ennius ins Lateinische übersetzt wurde, und andern geschah. Noch höher wurde der Luxus in dieser Beziehung in Rom getrieben. Noch während des zweiten Punischen Kriegs gab es Köche, die in den Städten auf dem Markt öffentlich ausstanden und sich dingen ließen. Besonders berühmt waren die sizilischen Köche. Viele Freigelassene verdankten der K. ihr Glück, und während früher der Kochsklave den niedrigsten Rang eingenommen hatte, rückte derselbe nach und nach in die erste Stelle vor. Seit der Bekanntschaft mit der asiatischen Üppigkeit nahm aber der Hang zu kostbaren und ausländischen Tafelgenüssen so überhand, daß der strenge Cato einst ausrief: "Die Stadt kann nicht bestehen, in welcher ein Fisch teurer bezahlt wird als ein Ochs", und man für nötig hielt, Gesetze zur Beschränkung der Schmausereien zu erlassen, die indes ohne besondere Wirkung blieben. Die Verschwendung eines Lucullus und Hortensius, welche Mahlzeiten gaben, deren Kosten sich auf viele Tausende beliefen, ist sprichwörtlich geworden. In der Kaiserzeit, unter Augustus und Tiberius, gab es förmliche Schulen und Lehrer der K., an deren Spitze Apicius stand. Der Kaiser Vitellius soll einmal in einer einzigen großen Schüssel, welche über eine Million Sesterzien kostete, das Gehirn von Fasanen und Pfauen, die Zungen von Flamingos, die Milz und Leber der kostbarsten Seefische haben auftragen lassen.

Die Wiege unsrer modernen K. ist Italien. Dieses Land nahm im 16. Jahrh. auch in der K. unbestritten die erste Stelle unter den Ländern Europas ein; dieselbe wurde künstlerisch-wissenschaftlich betrieben. Katharina von Medici, die Mutter Karls IX., führte diese Kunst in Frankreich ein. Aber erst unter Ludwig XIV. gelangte sie auf den Gipfel der Vollkommenheit, und von dieser Zeit an blieb Frankreich dasjenige Land, welches in Sachen der K. als allein maßgebend anerkannt wurde. Die Regentschaft und die Regierungszeit Ludwigs XV. übten auf die Entwickelung dieser Kunst den günstigsten Einfluß aus, während unter Ludwig XVI., der in der Hauptsache mehr ein Vielesser als ein Feinschmecker war, Stillstand eintrat. Dagegen führte die Revolution einen ganz enormen Rückschlag herbei; erst unter dem ersten Kaiserreich war ein Wiederaufblühen zu bemerken, aber unter ganz wesentlich veränderten Verhältnissen. Es wurde teilweise mit den alten Traditionen der Überfeinerung gebrochen. Im Mittelalter waren die Leistungen der K. nicht sehr erhebliche: Das Hauptgewicht wurde nicht auf gute Zubereitung, sondern auf Masse und Nahrhaftigkeit gelegt. Außer den Erträgnissen der Jagd und des Fischfanges, Hülsenfrüchten, eingesalzenen Fischen, gepökeltem und geräuchertem Fleisch aß man in der Hauptsache Rindfleisch und Rindsbraten, und frisches Fleisch wurde überhaupt nur bei besondern Gelegenheiten auf den Tisch gebracht. Selbst für die Herren im Gefolge der Fürsten galt es als ein Leckerbissen. Wir lesen z. B. über die Seltenheit des Genusses von frischem Fleisch in England zu dieser Zeit, daß Anna Boleyn zum Frühstück ein Pfund Speck und eine Kanne Bier verzehrte und die Hofdamen der Königin Elisabeth zur gleichen Mahlzeit Pökelfleisch, Brot und Bier erhielten. Später trat allerdings eine Zeit der Überfeinerung ein; durch die Zubereitung, den starken Zusatz von Würzen aller Art, die Hinzufügung wohlschmeckender Saucen etc. gelangte man dahin, daß die Nebendinge zur Hauptsache wurden, so daß Goethe in einem Brief (1779) mit Recht tadeln konnte, daß die Köche bei den Speisen einen Hautgout von allerlei anbringen, darüber Fisch wie Fleisch und das Gesottene wie das Gebratene schmeckt. Aber auch davon ist man in der Neuzeit wieder zurückgekommen. Es gilt jetzt in der K. der Grundsatz: jedes Fleischgericht muß sein eignes, natürliches Aroma, jedes Gemüse seinen natürlichen Geschmack, seine eigne, natürliche Färbung haben.

An dieser Entwickelung der K. haben nicht nur die Köche und Köchinnen gearbeitet, sondern es haben auch an sich schon berühmte Männer auf diesem scheinbar so heterogenen Gebiet eine zweite Berühmtheit gewonnen, ganz abgesehen von denjenigen, deren Name lediglich als Feinschmecker und durch ihre hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet der Küche auf die Nachwelt gelangt sind. In frühern Zeiten nahmen die großen Herren selbst ebenso wie auch Dichter und Philosophen thätigen Anteil an der Förderung dieser Kunst. Richelieu, Mazarin, der Connétable Montmorency erfanden neue Gerichte, die heute noch deren Namen führen, und der Philosoph Montaigne (1533-92) hielt es nicht unter seiner Würde,