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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kosaken

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Kosaken (die Sibirischen, Tschernomorischen, Wolga-K.).

regierte während seines Regierungsjahrs unumschränkt, im Krieg als Oberfeldherr, im Frieden als oberster Richter. Ihm standen die Ältesten (Starschinen) zur Seite, welche die Vollstrecker seines Willens waren. Ein geschriebenes Gesetz war nicht vorhanden; Streitigkeiten wurden nach dem Herkommen geschlichtet. Das Saporoger Land war in Distrikte geteilt, die unter Obersten (Polkowniks) standen. Die Sjetsch zerfiel in Kurenen, über die ein Kurenoi Ataman gesetzt war. In der Regel wohnten 40-60 K. in einem Haus und führten gemeinschaftliche Wirtschaft; nur die Waffen, anfangs Pfeil und Bogen, später Flinte und Pistole, Lanze und Säbel, sowie Pferde besaß jeder für sich. In der Sjetsch befanden sich die Schatzkammer, das Arsenal und die Kleinodien: Fahne, Kommandostab (Bulawa), Roßschweif und Siegel. Außerhalb der Sjetsch und der Polanken lagen die Simowniki, eine Art Magazine. Die Dörfer wurden nur von verheirateten K. und ihren Familien bewohnt, während die Bauern, meist aus Gefangenen bestehend, auf Vorwerken ihren Aufenthalt hatten und im Sommer als Hirten in den weiten Steppen herumzogen. Ihre Seeräubereien wurden im 16. und 17. Jahrh. so bedeutend, daß die Türken sich gezwungen sahen, die Mündungen des Dnjepr durch zwei Festungen, Otschakow und Kinburn, zu bewachen und den Fluß durch eine Kette zu sperren. Aber auch diese Vorsicht vereitelte bald die Schlauheit der K., und ihre Kühnheit wurde so groß, daß sie nicht nur Trebisonde, Sinope und andre Städte Kleinasiens mehr als einmal überfielen, sondern selbst Konstantinopel bedrohten. Seit 1589 sich in immerwährendem Krieg mit Polen befindend, das ihnen ihre Freiheiten nahm, unterwarfen sie sich 1654 Rußland, zusammen mit den Kleinrussischen K. Nach dem Aufstand Mazeppas zerstörte Peter d. Gr. ihre Sjetsch, und die Saporoger flüchteten zu den Türken, nach der Krim und der Dnjeprmündung, und stellten sich unter den Schutz des Tatarenchans. Ihr alter Haß gegen die Tataren erwachte aber bald von neuem und führte endlich zu einem Bruch, der die K. bestimmte, ihre Unterwerfung der Kaiserin Anna anzutragen. Nachdem sie ihre Treue im Kampf gegen die Türken an den Tag gelegt, erhielten sie 1742 und 1750 die von Peter eroberten Kleinodien zurück. Doch auch für sie hatten sich die Zeiten geändert. Räubereien auf russischem Boden wurden auf das strengste bestraft, gegen die ohnmächtigen Tataren und Polen bedurfte man ihrer nicht mehr, und so dachte man nur daran, ihre Macht zu schwächen. Die Kaiserin sendete Emissäre nach den Donauländern, um Serben zu bestimmen, die Türkei zu verlassen und sich am Bug, also auf saporogischem Grund und Boden, niederzulassen. So entstanden binnen kurzem daselbst gegen 50 Ortschaften mit 60,000 Bewohnern. Der ganze Distrikt erhielt den Namen "Neuserbien". Zwischen den neuen, fleißig Ackerbau treibenden Ansiedlern und den frei-tatarischen Neigungen einzelner Saporoger entstanden sehr bald Reibungen, welche auf die Dauer zu unhaltbaren Zuständen führten. So ließ die Kaiserin im J. 1775 die Sjetsch von russischen regulären Truppen umzingeln und aufheben. Ein Teil der Saporoger floh nach der Türkei, andre zerstreuten sich über ganz Rußland. Der Türkenherrschaft müde, kehrten die erstern 1828 nach Rußland zurück und bildeten die Asowschen und Neurussischen K. (s. oben); aber auch die in die Krim geflohenen fanden dort keine Ruhe, denn zwei Jahre später wurde die Krim ebenfalls russische Provinz. Da stellte sich ein Teil der Flüchtlinge der Kaiserin zur Verfügung. Sie erhielten ihre Wohnsitze am Kuban angewiesen, führten aber fortan nicht mehr den Namen Saporoger, sondern hießen Tschernomorzen (s. unten).

Die Sibirischen K. sind die Nachkommen der unter Führung Jermaks nach Sibirien gezogenen K. (s. unten), welche das Land eroberten und dessen Krone 1582 dem Zaren Iwan II. überreichten. Seitdem sich über das ganze Land verbreitend, wurden sie 1716 am Irtisch angesiedelt und militärisch organisiert. Später erhielten sie starken Zuzug von andern K. und Baschkiren, den verschickten Saporogern und Polen; auch 2000 Söhne von regulären sibirischen Soldaten wurden Ende des 18. Jahrh. ihrem Verband einverleibt. Aus allen diesen Elementen erwuchs Rußland eine äußerst sichere Schutzwehr der ganzen Südgrenze von Westsibirien, und die Bändigung der wilden Völkerschaften daselbst hat Rußland nur diesen K. zu verdanken. Durch ihre gänzliche Absonderung von der übrigen zivilisierten Welt haben sich alle alten Sitten und Gebräuche der K. bei ihnen am reinsten erhalten. Sie zerfallen in Städtekosaken, für den Sicherheitsdienst im Innern bestimmt, und in Linienkosaken, die in Stanizen wohnen und den Grenzschutz besorgen. Gegenwärtig stellen sie im Frieden 3 Reiterregimenter von 3117 Mann, im Krieg 9 Reiterregimenter von 9108 Mann. Aus einem Teil der Sibirischen K. wurden 1867 die Semiretschinskischen K. gebildet; sie bewohnen das Land im Südosten vom Balchaschsee in Zentralasien und stellen im Frieden 1 Reiterregiment von 701, im Krieg 3 Reiterregimenter von 2016 Mann.

Die Tschernomorischen K. oder Tschernomorzen, 1787 gebildet aus Saporogern (s. oben), denen eine Anzahl Donischer K. zugeteilt wurde, erhielten ihre militärische Organisation 1792, wobei ihnen das Land am Kuban, nordöstlich vom Schwarzen Meer (daher der Name), angewiesen wurde, im ganzen etwa 33,000 qkm (600 QM.). Es bildete bis 1860 ein besonderes Gouvernement (Ciskaukasien) mit der Hauptstadt Jekaterinodar. Durch das ungesunde Klima lichteten sich ihre Reihen so sehr, daß Alexander I. 1809-11 nicht weniger als 20,000 Menschen nach Tschernomorien übersiedelte, von denen aber auch über ein Drittel erlag, so daß 1820 wiederum 25,000 Kleinrussen dorthin versetzt werden mußten. Die Hauptmasse war am rechten Ufer des Kuban, bis zum Einfluß der Laba, angesiedelt, um eine Schutzlinie gegen die Einfälle der feindlichen Kaukasier zu bilden. 1860 ging dieser Stamm als besondere Korporation ein und diente zur Bildung der Kubanischen K. (s. oben). - Die Uralischen K. erhielten ihre Organisation 1774; bis dahin hießen sie Jaiksche K. (s. oben). Sie bekamen das Land am rechten Ufer des fischreichen Urals bis zum Kaspischen Meer angewiesen, einen Landstrich von etwa 64,400 qkm (1177 QM.), treiben Viehzucht auf den ausgezeichneten Wiesen und Fischfang als Hauptbeschäftigung und stellen gegenwärtig im Frieden 2½ Reiterregimenter von 2535, im Krieg 7½ Reiterregimenter von 7471 Mann, darunter 1 Gardeeskadron u. 1 Lehrsotnie.

Als letzte Abteilung sind die Wolga-K. anzuführen. Unter der Regierung Iwans I., in der Mitte des 15. Jahrh., befanden sich im Dienste der Goldenen Horde K., die den Namen Ordinskische führten, aber wahrscheinlich dieselben waren wie die Donischen. Ein Jahrhundert später, nachdem die aus der Goldenen Horde hervorgegangenen Tatarenreiche Kasan und Astrachan von Iwan II. Rußland einverleibt worden waren, plünderten Scharen dieser