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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Landwirtschaft

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Landwirtschaft (Förderung der Agrikulturchemie durch Liebig).

triebs, in der Einrichtung der Lehranstalten, überall zeigte sich die unbedingte Autorität Thaers, dessen Ansichten maßgebend waren und blieben. Und doch waren inzwischen die Verhältnisse mit Gründung des Zollvereins, Anlage der Eisenbahnen, Ausbildung des Maschinenwesens und der Industrie überhaupt so wesentlich andre geworden und auch die Naturwissenschaften, namentlich die Chemie, in einer Weise vorgeschritten, daß ganz andre, völlig umwälzende Anschauungen zu scharfer Kritik jener Lehren führen mußten.

Zunächst war es freilich nur die Stickstofftheorie (s. Agrikulturchemie), welche der Humustheorie mehr ergänzend zur Seite trat, als sie bestritt. Nachdem einmal der Stickstoff als Hauptbestandteil der eigentlich nährenden Pflanzenteile (Proteinkörper) erkannt worden war, glaubte man in ihm das wesentlichste Nahrungsmittel der Pflanzen gefunden zu haben und gelangte bald dahin, das Kriterium der Wirksamkeit und Bedeutung eines Dungstoffs in seinem Stickstoffgehalt zu suchen. In Hunderten von Analysen bestimmte man denselben und entwarf Preistabellen der pflanzlichen und tierischen Erzeugnisse in durch den Stickstoff normierten Äquivalentzahlen. Durch Sprengel begründet, fand diese Richtung hauptsächlich in Boussingault, Stöckhardt, Wolff, Mulder, Lawes, Gilbert u. a. begeisterte Anhänger und in der Praxis festen Boden, indem sie an sich leicht verständlich und mit den landwirtschaftlichen Erfahrungen und den Anschauungen der Praktiker in Einklang zu bringen war. Ihr dankt man die allgemeine Verbreitung einer ganzen Reihe der wichtigsten Dungstoffe, des Guanos, der Ölkuchen, der gemahlenen Knochen, der Ammoniak- und Salpetersalze, des Gaswassers u. dgl., deren überraschende Wirkung man lediglich ihrem großen Stickstoffgehalt zuschrieb. Nur kurze Zeit aber konnte diese Schule sich behaupten, und trotz der heftigsten Opposition ihrer Vertreter mußte sie besserer Erkenntnis weichen. Alle bisherigen Entdeckungen im Gebiet des Pflanzenlebens hatten noch keine Klarheit über die mineralischen Bestandteile der Pflanzen bringen können, und noch 1839 konnte die Göttinger Akademie ein Preisausschreiben über die Frage erlassen, ob phosphorsaure Salze den Pflanzen notwendig seien, und welche Rolle sie darin spielten.

Im J. 1840 gab J. ^[Justus] Liebig die Antwort durch seine "Chemie in Anwendung auf Agrikultur und Physiologie". Kein Werk hat so wie dieses unsre ganzen Anschauungen geändert, keins so viele begeisterte Freunde und erbitterte Gegner gefunden und keins schließlich solche Triumphe gefeiert. Man nannte Liebigs Lehre fälschlich die Mineralstofftheorie und kam in falscher Auffassung auf Abwege (Strohwirtschaften); sie war und ist aber mehr als nur das. Liebig geht von der Gleichwertigkeit aller Nährstoffe für die Pflanze aus: keiner darf fehlen, wenn die Pflanze gedeihen soll; jeder fehlende macht die andern wirkungslos; er unterschätzt nicht den Stallmist und den Humus, den Kohlenstoff und Stickstoff, er erläutert nur ihr Entstehen, ihr Vorkommen, ihr Wesen und ihre Wirkung. Indem er sich auf die gewonnene Erkenntnis von der Ernährung der Pflanzen und von dem Kreislauf des Kohlenstoffs und Stickstoffs stützt, betont er hauptsächlich den Wert der mineralischen Bestandteile der Pflanzen, welche letztere lediglich aus dem Boden beziehen können. Die Exkremente der Tiere enthalten die Aschenbestandteile der Felder, welche nicht in dem Organismus verbraucht wurden; in dem Mist ist also nicht alles enthalten, was die Pflanze dem Boden entzogen hatte. Jede Pflanze bedarf derselben Aschenbestandteile, aber nicht in gleicher Menge. Jede Pflanze erschöpft also den Boden mehr oder weniger an diesen Bestandteilen, keine kann ihn bereichern, d. h. keine kann das im Boden einmal vorhandene Kapital von Nährstoffen (seinen Reichtum) vermehren, außer um solche Bestandteile, welche sie aus der Luft gezogen hatte und welche jede Pflanze der Luft entnehmen kann und entnimmt. Dreesch, Rasen, Gründünger, Beackerung, Brache führen dem Boden keine mineralischen Nährstoffe zu, sondern führen nur die im Boden enthaltenen in löslichere Formen über, sie veredeln den Bestand des Bodens und ermöglichen damit größere Ernten, welche jedoch, dem Boden entzogen, ihn um so ärmer zurücklassen. Soll nun der Gleichgewichtszustand erhalten bleiben, so muß auch der Ersatz um so größer sein. Ähnlich bei der Düngung mit Guano, Ammoniaksalzen, Salpeter u. dgl. Diese Dungmittel führen dem Boden wirklich düngende Stoffe zu, sie rufen aber auch im Boden Zersetzungen und Umwandlungen hervor, infolge deren eine größere Quantität der Bodenbestandteile assimilationsfähig wird; in Summa steigern sie die Erträge, die gesteigerten Ernten sind aber gleichbedeutend mit größerer Erschöpfung. Der Stallmist übt ähnliche Wirkungen, er regelt zugleich, wie der Humus, die physikalischen Zustände des Bodens und ersetzt einen Teil der entzogenen Bestandteile; außer der direkten Zufuhr an Nährstoffen erschließt er neuen Vorrat im Boden; ein immer nur mit Stallmist gedüngtes Feld wird aber allmählich um die Summe der Bestandteile erschöpft, welche Bestandteile des tierischen Körpers geworden sind und sich in den Knochen, der Milch, der Wolle und andern Teilen finden; ein andrer Teil der Bestandteile des Feldes ist in den Körnern enthalten, welche auch nicht in dasselbe zurückgekehrt sind; das Feld wird also immer ärmer und zwar ärmer gerade an den wertvollsten und seltenen Bestandteilen, welche schließlich auch die fortschreitende Verwitterung trotz aller künstlichen Unterstützungsmittel nicht mehr zu liefern vermag. Vor allen sind es Phosphorsäure, Kali, Natron, Kalk, welche allmählich verschwinden und im Stallmist nicht wiederkehren können, weil sie in ihm nicht enthalten sind. Soll die Wiese das Fehlende ersetzen, so wird diese zu gunsten der Felder beraubt und muß, wenn nicht die Natur durch befruchtende Überschwemmung (Gebirgsbodenbestandteile) den Ersatz liefert, allmählich verarmen. Soll vollkommenes Gleichgewicht, sichere Dauer nachhaltiger Erträge erstrebt werden, so muß Feld und Wiese den vollen Ersatz der entzogenen Bestandteile erhalten, und es darf ohne Berücksichtigung des Weideersatzes fortgesetzt nur das verkauft werden, was der Luft entnommen war. Diese Entziehung von Luftbestandteilen ist aber nur dann vollständig zu erwarten, wenn der Boden gut gelockert und gepulvert ist, und wenn es nicht an den erforderlichen Mineralstoffen in den genügenden Mengen fehlt. Die Hauptwirkungen von Humus und Mist beruhen auf den mineralischen Substanzen und auf der günstigen Wirkung, welche sie, dem Boden einverleibt, auf die Anziehung der Luftnahrung ausüben, sowie auf der Regelung der Bodenzustände. Kann diese durch andre Mittel wohlfeiler bewirkt werden, so lehrt die Chemie Mittel kennen, durch künstliche Präparate die Mineralstoffe ebenfalls auf billigere Weise dem Boden mitzuteilen, indem sie das, was die Natur auf dem langsamen Weg der Verwitterung thut, auf dem viel raschern Weg chemischer