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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Landwirtschaftliche Unternehmungsformen

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Landwirtschaftliche Unternehmungsformen.

1878, S. 841 ff.); Osius, Die kommunalständische Landeskreditkasse in Kassel (Leipz. 1885); Schmoller in Thiels "Landwirtschaftlichen Jahrbüchern", Bd. 9, S. 613 ff. (Berl. 1882); v. Miaskowski, ebendort, S. 631 ff.; Rodbertus-Jagetzow, Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes (Jena 1868-69, 2 Bde.); L. v. Stein, Die drei Fragen des Grundbesitzes und seiner Zukunft (Stuttg. 1884); Derselbe, Bauerngut und Hufenrecht (das. 1882); Schäffle, Die Inkorporation des Hypothekarkredits (Tübing. 1883); G. Ruhland, Agrarpolitische Versuche vom Standpunkt der Sozialpolitik (das. 1883); Derselbe, Die Lösung der landwirtschaftlichen Kreditfrage (das. 1886). Vgl. auch die Litteratur unter Darlehnskassenvereine.

Landwirtschaftliche Unternehmungsformen. Landwirtschaftlicher Unternehmer im weitern Sinn ist eine Person, auf deren Rechnung und Gefahr landwirtschaftliche Produkte hergestellt werden, im engern Sinn eine Person, auf deren Rechnung und Gefahr landwirtschaftliche Produkte zum Zweck des Absatzes (Marktprodukte) hergestellt werden. Die landwirtschaftliche Unternehmung im weitern Sinn ist die Vereinigung und Verwendung von landwirtschaftlichem Boden, Kapital und Arbeit zum Zweck der Herstellung von landwirtschaftlichen Produkten auf Rechnung und Gefahr einer Persönlichkeit (Unternehmer). Je nachdem diese eine einzelne Person oder eine Mehrzahl von Personen ist, ist die Unternehmung eine Einzelunternehmung oder eine gesellschaftliche. Jene ist die Regel, diese die seltene Ausnahme. Die hauptsächlichsten landwirtschaftlichen Unternehmungsformen der Einzelunternehmung sind in der modernen Volkswirtschaft die Selbstverwaltung (Selbstbewirtschaftung), die Administration und die Pachtung.

Bei der Selbstverwaltung ist der Eigentümer des Grund und Bodens der Unternehmer und zugleich der persönliche Leiter der Unternehmung. Diese Form ist vom privatwirtschaftlichen wie volkswirtschaftlichen Standpunkt aus die beste, vorausgesetzt, daß sie nach Lage der Verhältnisse überhaupt durchführbar ist. Verglichen mit den andern, bietet sie eine Reihe von Vorteilen, die, unter übrigens gleichen Verhältnissen, bei den andern nicht, resp. nicht in gleichem Maß eintreten können. Diese Vorteile lassen sich in zwei Gruppen scheiden. Die einen haben ihren Grund darin, daß der Leiter des Unternehmens auch der Unternehmer und ein Einzelunternehmer ist, also Gewinn und Verlust allein trägt. Diese Form begünstigt den Arbeitsfleiß des Unternehmers, die Wirtschaftlichkeit des Betriebs, insbesondere auch die Durchführung des besten Wirtschaftssystems, weil jede Steigerung des Reinertrags dem Leiter zu gute kommt. Andre Vorteile haben ihren Grund in dem Eigentumsbesitz des Unternehmers und Leiters. Derselbe ist in seinen Entscheidungen unabhängig von dritten Personen, er kann in jedem Fall diejenigen Maßregeln ergreifen, welche nicht bloß für die vorübergehende, sondern auch für die dauernde Steigerung der Erträge die zweckmäßigsten sind. Leicht ausführbar sind insbesondere Kapitalanlagen (auch mit Hilfe des Realkredits) zur Verbesserung des Guts, namentlich auch solche, welche erst im Lauf der Jahre sich bezahlt machen, und deren zeitlicher Erfolg im voraus nicht sicher berechnet werden kann. Geringer ist die Gefahr des Raubbaues, weil der Leiter das Interesse hat, daß das Gut nicht verschlechtert wird. Auch für die Gestaltung der Arbeiterverhältnisse auf größern Gütern ist diese Unternehmungsform an sich die beste; der selbst wirtschaftende Eigentümer hat, was bei Administratoren und Pachtern nicht der Fall ist, ein unmittelbar persönliches Interesse daran, daß das Gut einen Stamm zuverlässiger, gut gestellter, dauernd zufriedener und seßhafter Arbeiter erhält und bewahrt. Endlich kommt noch ein allgemeiner sozialer und politischer Vorteil in Betracht. Bei Landwirten, die durch Grundbesitz dauernd an den Bezirk gefesselt sind, verwächst ihr eignes Interesse mehr mit den allgemeinen Interessen des Bezirks, sie haben ein viel größeres persönliches Interesse (als Administratoren und Pachter), sich dieser anzunehmen, und werden in einer erfolgreichen Wirksamkeit für dieselben durch die engern persönlichen Beziehungen, die zwischen ihnen und der übrigen Bevölkerung entstehen, begünstigt. - Für die Land- und Volkswirtschaft ist es deshalb am besten, wenn die Selbstverwaltung nicht bloß bei dem kleinen und mittelgroßen Grundbesitz, sondern auch auf großen Gütern (hier unter Mithilfe von angestellten Beamten) die Regel bildet; jedenfalls ist es ein ungesunder und für die Dauer verderblicher Zustand, wenn der größere Teil des landwirtschaftlichen Geländes verpachtet ist oder administriert wird. Dieser Zustand stellt sich stets dort ein, wo der kleine und mittlere Grundbesitz durch den großen, insbesondere den Latifundienbesitz auf einen kleinen Umfang zurückgedrängt worden ist.

Die Selbstverwaltung ist aber nicht in allen Fällen möglich oder zweckmäßig. Es gibt viele Gutsbesitzer, namentlich größere, die gar nicht selber ihr Gut verwalten können, z. B. der Staat und andre juristische Personen, Unmündige oder sonst unter Kuratel gestellte Personen, ferner solche, welche durch andre Berufspflichten verhindert sind, dauernd auf ihrem Gut zu wohnen (z. B. Fürsten, Beamte), oder welche weder Fähigkeit noch Neigung für den landwirtschaftlichen Betrieb haben etc.; hier liegt es im Interesse der landwirtschaftlichen Produktion wie der Besitzer selbst, daß solche Güter verpachtet oder administriert werden. Dasselbe ist geboten, wenn jemand einen großen, in verschiedene einzelne Wirtschaften zerfallenden Gutskomplex hat, dessen räumliche Ausdehnung und örtliche Zerstreutheit die Selbstverwaltung unmöglich macht.

Bei der Administration ist der Eigentümer des Gutes auch noch Unternehmer, auf seine Rechnung und Gefahr wird das Gut bewirtschaftet, aber die Leitung und Beaufsichtigung des Wirtschaftsbetriebs ist einem besoldeten Beamten (Administrator) übertragen. Dieser verrichtet die eigentliche Unternehmerarbeit. Der Eigentümer stellt ihm das Gut mit Anlage- und Betriebskapital, allenfalls auch seinen Kredit zur Verfügung. Soweit thunlich, werden die allgemeinen Prinzipien der Bewirtschaftung festgestellt, aber im übrigen handelt der Administrator selbständig. Die Administration, die nur für größere Güter in Frage kommen kann, hat den Vorteil, daß für die Leitung eine intelligente tüchtige Kraft gewonnen werden kann, die unter Umständen für den Eigentümer einen höhern Reinertrag erzielt, als derselbe durch Verpachtung oder Selbstverwaltung erzielen könnte. Aber sie hat anderseits den Nachteil, daß das Interesse des Leiters nicht identisch mit dem Interesse der Unternehmung ist, daß insbesondere der Administrator kein persönliches Interesse an der dauernden Rentabilität des Gutes hat (um so weniger, je weniger er darauf rechnen kann, lange in seiner Stellung zu bleiben), und daß eine wirksame Kontrolle der Geschäftsführung, um den Eigentümer vor Schaden zu bewahren, schwer ausführbar ist.