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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lebensversicherung

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Lebensversicherung (allgemeine Bedingungen, Geschichtliches, Litteratur).

Unter den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Lebensversicherungsanstalten seien nur einige hervorgehoben. Fast allgemein wird die Annahme einer angemeldeten Versicherung auch von dem Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung abhängig gemacht. Ausgeschlossen von den Versicherungen pflegen die Eventualitäten des Todes zu sein, welcher durch Verwirkung des Lebens auf Richterspruch, durch Selbstmord, wenigstens zurechnungsfähigen, Duell, Kriegs- und Seedienst etc. eintritt. In einzelnen Fällen, z. B. bei rechtskräftiger Verurteilung der Versicherten zu langer Freiheitsstrafe, bei Verfall des Versicherten in Trunksucht, bei der Entdeckung falscher Deklarationsangaben u. a., pflegt den Anstalten der Rücktritt vom Vertrag eingeräumt zu sein, in andern Fällen, wie bei der Teilnahme an einem Feldzug oder an gefährlichen Reisen, kann meistens der Versicherte wählen, ob er die Versicherung aufgeben oder dieselbe zeitweise aufheben (suspendieren) oder sie unter Ausbedingung besonderer Zusatz- (Extra-) Prämien auch auf diese Gefahren ausdehnen lassen will (Kriegsversicherung). In fast allen diesen Fällen, außer denjenigen der wahrheitswidrigen Deklaration, pflegt den Versicherten bei der Vertragsaufhebung eine sogen. Abgangsentschädigung, die volle ratierliche Prämienreserve oder ein gewisser Prozentsatz derselben, rückvergütet zu werden. Dasselbe findet statt, wenn der Versicherte, solange die Police in Kraft ist, freiwillig die Versicherung der Anstalt zurückverkaufen, die Versicherung fallen lassen will, während die Nichtzahlung der Prämie oft diesen Anspruch aufhebt. Sehr oft wird diese Abgangsentschädigung erst dann gewährt, wenn die Versicherung einige Jahre gedauert hat.

Die L. ist nicht, wie oft behauptet wird, eine moderne Einrichtung, sondern sie besteht in der Form der Sterbekassen (s. d.), welche sich in nichts Wesentlichem von den großen Lebensversicherungsgesellschaften unterscheiden, seit uralten Zeiten in germanischen Ländern und ist neuerdings auch als unter den alten Römern vorkommend nachgewiesen worden. Modern ist nur die jetzige, auf den oben angegebenen wissenschaftlichen Fortschritten beruhende Lebensversicherungstechnik und die großartigere Verallgemeinerung des Geschäftsbetriebs der Lebensversicherungsgesellschaften. Beide überkamen wir, wie die neuern Formen des Versicherungswesens überhaupt, aus England, wo 1705 die erste moderne Lebensversicherungsanstalt, die Amicable oder Perpetual Assurance in London, gegründet wurde und das Lebensversicherungswesen einen gewaltigen Aufschwung genommen hat. In Deutschland sind die ältesten Anstalten die Lebensversicherungsbank für Deutschland in Gotha (1827 von Arnoldi [s. d.] auf Gegenseitigkeit gegründet) und die Deutsche Lebensversicherungs- (Aktien-) Gesellschaft zu Lübeck (1828 gegründet). Über die Entwickelung und den jetzigen Stand der großen deutschen Lebensversicherungsanstalten geben unsre, den periodischen Veröffentlichungen der "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik" entnommenen Tabellen (S. 593) Auskunft. Außer den dort aufgezählten deutschen Lebensversicherungsanstalten und einer sehr großen Anzahl Sterbekassen wirken in Deutschland noch einige ausländische, namentlich englische, wie die North British and Mercantile, die Londoner Union, Gresham u. a, auch einige nordamerikanische, wie die New Yorker Germania und die Equitable aus New York. Fast in allen Kulturstaaten ist jetzt die L. verbreitet, in den meisten zwar in geringerm Umfang als in Deutschland, in England aber und in den Vereinigten Staaten Nordamerikas in weit größerm Maß.

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Entwickelung der Lebensversicherung bei den deutschen Anstalten von 1829 bis 1886.

Jahr Zahl der Anstalten Neuer Bruttozugang im Lauf des Jahrs Bestand am Ende des Jahrs Reinzuwachs im Lauf des Jahrs

Personen, resp. Policen Versicherungssumme in Millionen Mk. Personen, resp. Policen Versicherungssumme in Millionen Mk. Personen, resp. Policen Versicherungssumme in Millionen Mk.

1829 2 1462 8,1 1448 8,1 1448 8,1

1835 4 1612 7,3 9274 43,7 1217 5,1

1840 6 2794 10,1 19852 83,3 1874 6,5

1845 7 2762 10,1 28463 115,4 1533 5,1

1850 10 4101 13,6 36955 142,8 2221 6,2

1855 17 8144 28,0 54333 198,7 6565 19,3

1860 19 13222 40,7 95406 316,8 8333 26,3

1865 22 51477 126,1 210227 624,6 37122 87,4

1870 28 44526 118,3 362250 1010,2 10231 35,1

1875 37 68523 243,6 523842 1629,7 33450 142,5

1880 36 56312 224,4 608648 2132,7 21859 105,4

1881 35 57745 232,2 627127 2238,8 18479 106,1

1882 34 60424 250,0 646697 2361,1 19570 122,3

1883 34 61752 258,0 671086 2496,1 24389 135,0

1884 34 64800 280,5 699657 2658,3 28571 162,3

1885 34 62813 279,5 727534 2816,1 27877 157,8

1886 34 63184 280,9 755532 2973,5 28211 157,3

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Auf 100,000 Einwohner kamen in den erstgenannten 11 Jahren an Policen, bez. Personen je: 7, 29, 60, 86, 104, 149, 252, 530, 887, 1226, 1345 und im J. 1885: 1553. Sind auch die Ausländer, welche bei deutschen Anstalten versichert sind, in diesen Zahlen mit enthalten, wogegen die Inländer, welche ihr Leben bei ausländischen Gesellschaften versichert haben, nicht mit ausgewiesen werden, so gibt doch vorstehende Zahlenreihe ein annähernd richtiges Bild von der Beteiligung der Bevölkerung Deutschlands an der L.

[Litteratur.] Littrow, Über Lebensversicherungen und andre Versorgungsanstalten (Wien 1832); Baily, Theorien der Lebensrenten (deutsch von Schnuse, Weim. 1838); Jahn, Ausführliche Berechnung der Prämien und Reservefonds bei Lebensversicherungsanstalten (Zittau 1852); Wiegand, Schule des Lebensversicherungsagenten (6. Aufl., Halle 1876, 4 Bde.); Derselbe, Vorteile und Garantien der L. (11. Aufl., das. 1869); Derselbe, Die mathematischen Grundlagen der Lebensversicherungsinstitute (das. 1854); Derselbe, Lebensversicherungskatechismus (5. Aufl., das. 1863); Staudinger, Die Rechtslehre vom Lebensversicherungsvertrag (Erlang. 1858); Fischer, Grundzüge des auf menschliche Sterblichkeit gegründeten Versicherungswesens (Oppenheim 1860); A. Wild, Leibrenten-, Lebensversicherungsanstalten etc. (Münch. 1862); Lazarus, Über Mortalitätsverhältnisse (Hamb. 1867); Kinkelin, Die Elemente der Lebensversicherungsrechnung (2. Aufl., Basel 1875); Geyer, Die L. in Deutschland und ihre gesetzliche Regelung (Leipz. 1878); Elster, Die L. in Deutschland (Jena 1880); Buff, Fragen der L. (Gieß. 1881); Morgenbesser, Die mathematischen Grundlagen des gesamten Versicherungswesens (Berl. 1882); Jónás, Studien und Vorschläge auf dem Gebiet des Lebensversicherungsgeschäfts (das. 1883); Wittstein, Das mathematische Gesetz der Sterblichkeit (2. Aufl., Hannov. 1883); Derselbe, Das mathematische Risiko der Versicherungsgesellschaften (das. 1885); Rüdiger, Die Rechtslehre vom Lebens-^[folgende Seite]