Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Leicestershire - Leichenhaus.

den Inhalt von Walter Scotts Roman "Kenilworth" bildet. Elisabeth trug 1563 die Hand ihres Günstlings erfolglos der Königin Maria Stuart von Schottland an und ernannte ihn zugleich zum Grafen von L. und Baron von Denbigh. Als Maria Stuart 1568 in England Schutz suchte, schien L. das Komplott zu ihrer Vermählung mit dem Herzog von Norfolk zu unterstützen, verriet aber sodann den Plan an Elisabeth und trat auf die Seite derer, welche den Untergang Marias betrieben. Seine heimliche Vermählung mit Lattice Knollys, der Witwe des Grafen Walter von Essex, 1577, den er gleichfalls vergiftet haben sollte, reizte zwar den Zorn der Königin; aber sie nahm den um Verzeihung flehenden L. wieder zu Gnaden an und ernannte ihn 1585 zum Oberbefehlshaber der Hilfstruppen, mit welchen sie die Niederländer in ihrem Kampf gegen Spanien unterstützte. L. benahm sich in seiner schwierigen Stellung mit grenzenloser Willkür, zwang die Niederländer, ihn im Februar 1586 zum Generalstatthalter und Befehlshaber ihrer Kriegsmacht zu Wasser und zu Land zu erheben, und gab seinen Wunsch nach unumschränkter Herrschaft nicht undeutlich zu verstehen, daher ihn Elisabeth im Dezember 1587 zurückrief. Ungeachtet seines Mangels an militärischen Talenten vertraute sie ihm hierauf den Oberbefehl über das Heer an, welches die Hauptstadt während der Gefahr der spanischen Invasion schützen sollte. L. starb 4. Sept. 1588. Die Königin ließ unmittelbar nach seinem Ableben seine Güter öffentlich versteigern, um die an ihn verschleuderten Summen zurückzuerhalten. Leicesters Nachfolger in der Gunst der Herrscherin war sein 21jähriger Stiefsohn, Graf Robert von Essex (s. d. 2).

Leicestershire (spr. lessterschir), eine Binnengrafschaft von England, grenzt nördlich an die Grafschaft Nottingham, östlich an Lincoln und Rutland, südöstlich an Northampton, südwestlich an Warwick, nordwestlich an Derby und umfaßt 2071 qkm (37,6 QM.) mit (1881) 321,258 Einw. Die Grafschaft ist ein Hügelland, welches im ehemaligen Forst von Charnwood (Bardon Hill, 260 m) seine größte Höhe erreicht. Das vorherrschende Gestein im westlichen Teil ist Lias, im östlichen Keuper; Syenit, Grünstein und kambrische Schiefer kommen im Forst von Charnwood vor, und ein ergiebiges Steinkohlenfeld liegt im NW., bei Ashby de la Zouch. Hauptflüsse sind der Soar, welcher nördlich zum Trent fließt, und der Avon, welcher einen Teil der südöstlichen Grenze bespült. Hauptbeschäftigung bilden Vieh-, namentlich Schafzucht und Ackerbau. 1886 waren etwa 26 Proz. des Areals unter dem Pflug; 66 Proz. waren Weiden und Wiesen, 2 Proz. Wald. Man zählte 18,446 Ackerpferde, 150,438 Rinder, 322,635 Schafe und 24,323 Schweine. Der Bergbau liefert (1886) 1,165,246 Ton. Steinkohlen und 310,429 T. Eisenerz. Außerdem werden Schiefer, Gips und Kalksteine gewonnen. Die Industrie ist bedeutend. Vor allem sind die Strumpfwirkerei (1881: 21,594 Arbeiter) und die Fabrikation von Schuhwaren (16,712 Arbeiter) wichtig; nächstdem die Herstellung von Gummi- und Guttaperchawaren (1413 Arbeiter), Tuchweberei, Baumwollspinnerei, Spitzenklöppelei, Maschinenbau und Eisengießerei. Hauptstadt ist Leicester.

Leich (v. got. laiks, "Spiel, Tanz"), Name einer Form der altdeutschen Poesie, der früher ganz allgemein Gesang (modus, canticum) bedeutete. Schon Notker Labeo (gest. 1022) unterschied Lîed und Léicha. Gegenüber dem Eine Strophenart festhaltenden Lied zeigte der L. im spätern Mittelalter verschiedene strophische Formen gemischt. Seine erste Gestalt hat sich aus dem lateinischen Kirchengesang, den Prosen oder Sequenzen, entwickelt. Später wurden in Leichform auch die sogen. Reien und Tänze gedichtet. Die Form bestand seit dem 14. Jahrh. nur in der geistlichen Poesie, hier aber in den Sequenzen (und sogar bei den Protestanten) bis ins 16. Jahrh. fort. Die deutschen Dichter des 13. Jahrh. übersetzten durch L. auch das französische Lai (s. Lais). Vgl. Lachmann, Über die Leiche der deutschen Dichter des 12. und 13. Jahrhunderts ("Rheinisches Museum" 1829); Wolf, Über die Lais, Sequenzen und Leiche (Heidelb. 1841).

Leichdorn, s. Hühnerauge.

Leiche (Leichnam, Cadaver), der tierische und menschliche Körper nach dem Tod, auch wohl die abgestorbene Pflanze. Von den organischen Substanzen, aus welchen der tierische Körper besteht, beginnen die leichter zersetzbaren sofort nach dem Tod andre Umwandlungen zu erleiden als im Leben, und es treten infolgedessen die Leichenerscheinungen ein. Das Blut und die Muskelflüssigkeit gerinnen, es entsteht die Totenstarre, das Blut fließt nach tiefer gelegenen Stellen (Blutsenkung) und färbt oft blasse Körperteile rotblau (Totenflecke). Sehr bald erzeugt dann die Fäulnis tiefer greifende Veränderungen, und es entwickelt sich ein charakteristischer Leichengeruch. Soll die L. konserviert werden, so bringe man sie gleich nach dem Tod in ein kaltes, luftiges Zimmer, lasse sie hier leicht bedeckt erkalten und sorge durch Auflegen von Eis auf den Körper für möglichst starke Abkühlung. Die bedeckenden Tücher sind mit Chlorkalk zu bestreuen, und auf das Gesicht legt man ein in Essig getränktes Tuch. Über Einbalsamieren der L. s. d. Für den Gerichtsarzt gilt die weite Erklärung von L. (jedes tote menschliche Wesen) nicht, da das Gesetz weder Frühgeburten, welche noch keine eigne Existenz auf die Dauer außerhalb der Mutter fristen können, noch mißbildete lebensunfähige Kinder als L. anerkennt, selbst wenn sie zur Zeit der Geburt gelebt haben und alsdann gestorben sind. Nach den Entscheidungen des frühern preußischen Obertribunals sind also nur ausgetragene und bei der Geburt lebensfähige Kinder, welche während oder nach der Geburt sterben, mit zu den toten Menschen zu rechnen und im Obduktionsprotokoll gleich ältern Individuen als L. zu bezeichnen. - L. in der Buchdruckerei: vom Setzer ausgelassene Wörter od. Sätze.

Leichenalkaloide, s. v. w. Ptomaine.

Leichenausgrabung zu gerichtsärztlichen Zwecken wird angeordnet, wenn der Verdacht auf stattgehabte Verbrechen erst nach der Beerdigung rege wird. Die L. ergibt anatomische Veränderungen an Weichteilen nur in den ersten 1-2 Wochen, da später die Fäulnis alle Formen und Farben verändert. Nach längerer Zeit sind die Leichen mit Schimmel bedeckt, faulig riechend, nach Jahr und Tag oft geruchlos (mumifiziert), die Muskeln und Haut in Fettwachs verwandelt, die Knochen fallen aus ihren Gelenken. Organische Gifte sind ausnahmsweise, Arsenik noch nach 10 Jahren nachweisbar. Vgl. Casper, Gerichtliche Medizin (7. Aufl., Berl. 1882).

Leichenbeschauer, eine obrigkeitlich bestellte Person, welche die Leichen zu besichtigen und eine Bescheinigung über den Todesfall auszustellen hat.

Leichenbestattung, s. Totenbestattung.

Leichenerscheinungen, s. Leiche.

Leichenfett, s. Fettwachs.

Leichengift, s. Leichenvergiftung.

Leichenhaus (Totenhaus, Totenhalle, Leichenhalle), ein öffentliches Gebäude, welches der Aufbewahrung Gestorbener bis zu deren Bestattung dient.