Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Leonardo

696

Leonardo.

doch hat sich nichts von seinen Dichtungen erhalten. Dabei zeichnete er sich durch Schönheit, Kraft und Gewandtheit des Körpers aus und glänzte durch Geist und Witz. Bald nach 1480 scheint L. Florenz verlassen und ausgedehnte Reisen unternommen zu haben. Aus seinen Schriften geht hervor, daß er sich nach dem Orient begab und eine Zeitlang im Dienste des Sultans von Kairo thätig war. Um 1484 berief ihn Herzog Lodovico il Moro nach Mailand, und hier entfaltete L. bis zum Jahr 1499 eine umfangreiche und vielseitige Thätigkeit. Das Hauptwerk, das er hier ausführen sollte, war das kolossale Modell einer Reiterstatue des Herzogs Francesco Sforza, das von den Zeitgenossen als Wunderwerk gepriesen, aber von französischen Armbrustschützen 1499 zerstört wurde, ehe es überhaupt zur Ausführung gelangt war. Entwürfe und Zeichnungen dafür befinden sich in der Windsorsammlung. Daneben wurde seine Thätigkeit als Architekt beim Mailänder Dom und als Ingenieur beim Bau des Martesanakanals hauptsächlich in Anspruch genommen. Von Staffeleibildern haben sich aus der Mailänder Zeit folgende erhalten: ein lebensgroßes männliches Brustbild und ein kleines weibliches Bildnis in Profil (in der Ambrosianischen Bibliothek), das herrliche, unter dem Namen: La belle Ferronnière bekannte Frauenbildnis im Louvre, die Madonna mit dem Basrelief (in mehreren Exemplaren vorhanden, von denen das bei Lord Warwick in Gatton Park als eigenhändig gilt), die Vierge aux rochers (in zwei Exemplaren: im Louvre und bei Lord Suffolk in Charlton Park, gestochen von Desnoyers) und der auferstandene Christus zwischen den Heiligen Leonardo und Lucia (Berliner Galerie, vielleicht nur Schulbild). Leonardos Hauptwerk in Mailand ist aber das noch vor 1499 vollendete Abendmahl des Herrn im Refektorium der Dominikaner von Santa Maria delle Grazie, das leider durch Vernachlässigung und schlechte Restauration sehr beschädigt worden ist. Das Bild ist 28 Fuß lang, enthält Figuren von anderthalber Lebensgröße und ist in Öl an die Hauptwand des Refektoriums gemalt. Es ist oft, am besten von R. Morghen und R. Stang, gestochen worden. Es zeigt die reichste und reinste Durchführung aller in der menschlichen Seele vorhandenen Motive und den schönsten Bau der Linien in allen Gruppen und Formen. Das Typische wie das Porträtmäßige ist überwunden und eine ideale Wirklichkeit geschaffen, die ebenso wahr und lebendig wie edel und geistvoll ist. Bei der Zerstörung des Gemäldes sind die dem Marco d'Oggionno, einem Schüler Leonardos, zugeschriebenen Kopien (eine in der Londoner Akademie) und die Pastellköpfe der Apostel, im Besitz der Großherzogin von Sachsen-Weimar, wichtig. Außerdem verfertigte L. in Mailand noch eine große Anzahl von Zeichnungen der verschiedensten Art und Kartons, nach welchen seine Schüler Gemälde ausführten, die gewöhnlich als Werke von seiner Hand aufgeführt werden. Von durchgreifendem Einfluß auf die Malerei war die Gründung einer Kunstakademie zu Mailand, welcher er seinen Namen gab, und deren Seele er war. Für seine Schüler schrieb er einen "Trattato della pittura", worin er sie in erster Linie an die Natur, nicht an die Antike wies; für besonders wichtig aber erklärte er das Studium der Perspektive und der Anatomie und zeichnete selbst um 1494 die Teile des menschlichen Körpers, welche er bei seinem Unterricht als Vorlagen gebrauchte. Ein Band mit 235 großen anatomischen Zeichnungen befindet sich in der königlichen Handzeichnungssammlung zu London. Dann arbeitete er an einem Werk des Mathematikers Luca Pacioli über die menschliche Proportion und über Perspektive, in welchem zugleich die geometrischen Gesetze abgehandelt sind; auch fertigte er 60 Zeichnungen dazu. Die Originalhandschrift mit den Zeichnungen kam an die Ambrosiana zu Mailand, und 1509 erschien das Werk gedruckt und mit Holzschnitten versehen unter dem Titel: "De divina proportione". Unter der großen Zahl von Schülern, die L. auf diesem Weg heranbildete, werden Cesare da Sesto, Gian Antonio Boltraffio, Francesco Melzi, Marco d'Oggionno, Andrea Salaino, Gian Pedrini, Bernardino Fassolo, Gaudenzio Ferrari, Bernardino Luini genannt. Nach dem 1499 erfolgten Sturz des Hauses Sforza verließ L. Mailand, 1500 war er kurze Zeit in Venedig, und im J. 1502 war er im Dienst Cesare Borgias als Kriegsingenieur in der Romagna thätig. 1503 finden wir ihn in Florenz, wo er von dem Gonfaloniere Pietro Soderini wohl aufgenommen und mit einem Jahrgeld bedacht wurde. Das erste Werk, welches er hier schuf, war ein Karton zu einem Altarbild der Servitenkirche daselbst, die Madonna mit dem Kinde, dem kleinen Johannes und der heil. Anna darstellend, den er aber nicht ausführte, und der sich gegenwärtig in der Akademie zu London befindet. In diese Zeit gehört auch das Bildnis der Mona Lisa, der schönen Frau des Francesco del Giocondo (jetzt im Louvre zu Paris, ein Werk von bestrickendem Zauber), und jenes der Ginevra, der Gemahlin des Amerigo Benci (verloren gegangen). Von dem Rate der Stadt hatte er den Auftrag erhalten, in dem neuen Ratssaal ein großes Bild an die Mauer zu malen, wozu L., mit Michelangelo wetteifernd, die Schlacht zwischen den Florentinern und Mailändern bei Anghiari (1440) wählte. Die Ausführung ward 1505 begonnen, aber oft unterbrochen und schließlich aufgegeben. Dagegen erhielt sich der 1505 vollendete Karton noch geraume Zeit und bildete für die heranwachsenden Maler eine Quelle des Studiums. Er ging später zu Grunde, und nur von der Mittelgruppe, einem Reiterkampf um eine Standarte, hat sich eine Nachbildung in einer Zeichnung des Louvre (angeblich von Rubens) erhalten, welche von Edelinck gestochen ist. Nachdem L. 1505 einige Zeit in Barbiga zugebracht, wo seine Familie ein Gut hatte, war er 1506 wieder in Mailand, bis ihn die Signoria nach Florenz zurückberief, 1508 in Vaprino als Gastfreund des Grafen Melzi und zuzeiten auch in Canonica, wo ihn die Schiffbarmachung des Naviglio della Martesana beschäftigte sowie im folgenden Jahr die Vollendung des Kanals von San Christoforo bei Mailand. Hier leitete er 1509 die Dekoration des Triumpheinzugs König Ludwigs XII. und erhielt dafür von demselben eine Strecke Wassers aus dem Naviglio bei San Christoforo als Eigentum, wo er eine bewunderungswürdige Schleuse und einen Stapelplatz anlegte. Zugleich ernannte ihn der König zum Hofmaler mit Gehalt. Ende 1509 begab sich L. nach Florenz, 1512 kehrte er nach Mailand zurück und hielt sich 1514 eine Zeitlang am Hof Leos X. in Rom auf, wo er jedoch nur wenige, nicht erhaltene Werke ausführte. Der letzten Mailänder Zeit gehören die heil. Anna selbdritt und die Halbfigur eines heil. Johannes im Louvre an. Nachdem er 1515 wieder kurze Zeit in Florenz gelebt, war er noch in demselben Jahr beim Einzug Franz' I. von Frankreich in Mailand und befand sich seitdem im Gefolge des Königs, welchen er 1516 nach Frankreich begleitete. Hier scheint er indes wenig gearbeitet zu haben. Er starb 2. Mai 1519 auf dem Schloß Cloux bei Amboise.