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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Livland

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Livland.

vium, welches fast überall auch die ältern Schichten stellenweise bis 120 m bedeckt. Das silurische System ist durch die obern und mittlern Schichten dieser Formation vertreten und besteht aus Dolomit, Mergel, Kalk- und Sandstein. Das Devon tritt in drei ganz gesonderten Schichten auf, deren unterste durch zahlreiche Höhlenbildungen bemerkenswert ist. Erratische Blöcke finden sich über das ganze Land zerstreut, selbst auf den höchsten Punkten, wie auf dem Munna Mäggi. Der Boden ist wenig fruchtbar, am Strand sandig, sonst meist lehmig; doch werden durch rationelle Bewirtschaftung und künstliche Drainage gute Ernten erzielt. Das Klima ist rauh, die Niederungen werden von starken Nebeln heimgesucht; charakteristisch ist die Unbeständigkeit der Windrichtung. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt in Dorpat 4°, in Riga 6° C. An Wäldern ist L. reich; bedeutende, mehrere tausend QKilometer umfassende Waldungen finden sich namentlich am Strand zwischen der Pernau und der Aa, ebenso an der Ewst. Vorherrschend ist Nadelwald (Tanne und Kiefer); weniger häufig finden sich Birken-, Erlen- und Eichenwälder. Das Mineralreich liefert Lehm, Gips, Kalk, Torf, Sumpfeisen und Schwefelquellen (Kemmern). Das Tierreich ist vertreten durch Bären, Wölfe, Füchse, Hasen, Seehunde, Dachse, Rehe; seltener sind Elentiere und Luchse, zahlreich dagegen Hühnerwild sowie Sumpf- und Wasservögel.

L. hat (1882) 1,173,951 Einw. (25 pro QKilometer), die sich zusammensetzen aus 81,6 Proz. Protestanten, 13,4 Proz. Griechisch-Katholischen, 2,4 Proz. Juden, 1 Proz. Römisch-Katholischen. Der Rest kommt auf Armenier, russische Sekten und Konfessionslose. Nach der Nationalität zerfällt die Bevölkerung in 42,72 Proz. Letten, 41,49 Proz. Esthen, 7,87 Proz. Deutsche, 4,71 Proz. Russen, 2,14 Proz. Juden, 0,51 Proz. Polen; der Rest kommt auf Zigeuner etc. Das Areal zerfällt in ungefähr 18,5 Proz. Ackerland, 24,4 Proz. Wald, 41,5 Proz. Wiesen und Weideland, 15,6 Proz. Unland etc. Der Ackerbau bildet die Hauptbeschäftigung der Einwohner. Roggen, Gerste, Hafer, Lein und Kartoffeln werden vorzugsweise gebaut; in kleinern Mengen Weizen, Hanf und Buchweizen. Im Durchschnitt der Jahre 1880-84 wurden jährlich geerntet: 2,2 Mill. hl Roggen, 2 Mill. hl Hafer, 1,6 Mill. hl Gerste, 4,1 Mill. hl Kartoffeln. Der Viehstand war 1883: 485,000 Stück Hornvieh, 216,000 Schweine, 441,000 Schafe und 160,000 Pferde. Die Fischerei bildet einen bedeutenden Erwerbszweig; das Meer liefert Breitlinge (Clupea sprottus) und Flunder (provinziell: Strömlinge und Butten); die Landseen, namentlich der Peipus, Snitky (Löffelstint, Salmo eperlanus), eine beliebte Fastenspeise der Russen, Räpuschky (Maräne) und Korjuschky (Stint); die Flüsse ausgezeichnete Lachse. In industrieller Hinsicht nimmt L. einen hervorragenden Platz unter den Gouvernements des russischen Reichs ein. Die Gesamtzahl der Fabriken ist (1884) 724 mit 19,000 Arbeitern und einem Produktionswert von 40½ Mill. Rubel. Hauptindustriezweige sind: Spiritusbrennerei und Destillerie (Likörfabrikation) 7½ Mill. Rub., Brauerei 3½ Mill. Rub., Sägemüllerei 3,3 Mill. Rub., Eisengießerei und -Verarbeitung 3 Mill. Rub., Ölschlägerei 2,6 Mill. Rub., Korkfabrikation 1½ Mill. Rub., Wollweberei 1 Mill. Rub., Tuchweberei 1½ Mill. Rub., Papierfabrikation 1½ Mill. Rub. In geringerm Maß findet Fabrikation von Fayence, Seife, Talglichten, Leinwand, Seide, Zucker, Glas, Spiegeln, Equipagen und chemischen Produkten statt. Der Handel Livlands ist blühend und konzentriert sich hauptsächlich in Riga, in geringerm Grad in Pernau-Arensburg und Dorpat. Die wesentlichsten Ausfuhrartikel sind: Petroleum, Haare, Ölkuchen, Wolle, Flachs, Leinsaat, Hanf, Getreide und Holz; die wichtigsten Einfuhrartikel: Heringe, Salz, Steinkohlen, Wein, Kolonialwaren, Eisen, Kammwolle, Farbhölzer, Öl, Raps und Rübensaat, landwirtschaftliche und industrielle Maschinen. Der Handel mit dem Innern des Reichs wird durch die Düna und die Riga-Dünaburger Eisenbahn, welche sich an der Südgrenze Livlands hinzieht, sowie durch die Strecke Dorpat-Taps (an der Linie Reval-St. Petersburg) vermittelt. Eine Bahn von Riga nach Pskow mit Zweigbahn nach Dorpat, welche die kleinern Städte Werro, Wenden, Walk, Wolmar berührt, ist im Bau begriffen. An Bankinstituten hat Riga (1888) 8, darunter eine Filiale der Reichsbank, eine städtische Kommunalbank (Stadt-Diskontobank) mit Sparkasse, 2 Gesellschaften gegenseitigen Kredits, Dorpat 2, nämlich eine städtische Kommunalbank und die Filiale einer Pskower Kommerzbank. In Riga weisen die größten Umsätze auf die Börsenbank (394 Mill. Rub.) und die Kommerzbank (472 Mill. Rub.). Zeitungen und Zeitschriften erscheinen 24 in L. (12 in Riga, 10 in Dorpat und 2 in Pernau), darunter mehrere lettische und esthnische. L. wird von einem Gouverneur verwaltet, der nach der Aufhebung des Generalgouvernements der Ostseeprovinzen (1876) unter dem Ministerium des Innern steht. L. hat (1885) eine Universität (Dorpat) mit 1990 Studenten, ein Polytechnikum (Riga) mit 1122 Zuhörern, ein Veterinärinstitut (Dorpat) mit ca. 150 Schülern, 37 Gymnasien für Knaben und Mädchen mit 7137 Schülern, 265 Real-, Bürger-, Kreis-, Töchter- und städtische Elementarschulen mit 21,065 Schülern, 1631 Landvolksschulen mit 98,594 Schülern, 15 Fachschulen mit ca. 2400 Schülern. Unter den Landvolksschulen sind 1264 mit 86,640 Schülern lutherisch und 367 mit 11,594 Schülern griechisch-katholisch. Die in L. stationierten Truppen stehen unter dem Oberkommando des Generalgouverneurs von Wilna. Die Rechtspflege wird vom livländischen Hofgericht, 4 Landgerichten und 9 Ordnungsgerichten verwaltet; oberste Instanz derselben ist der Senat in St. Petersburg. Die lutherische Kirche steht unter drei Konsistorien: dem livländischen, rigaischen und öselschen. L. wird eingeteilt in neun Kreise: Dorpat, Fellin, Ösel, Pernau, Riga, Walk, Wenden, Werro und Wolmar; Hauptstadt ist Riga. Das Wappen ist ein geflügelter Greif in rotem Feld, mit bloßem Schwert in der rechten Klaue.

[Geschichte.] L., von den ursprünglichen Bewohnern und Beherrschern des Landes, den Liven (s. d.), einem esthnischen Volksstamm, so genannt, ward seit dem 9. Jahrh. in seinem östlichen Teil von den Letten eingenommen, aber, obwohl die Dänen und Schweden die Ostseeländer schon im 11. Jahrh. kannten, für das übrige Europa erst durch Bremer Kaufleute bekannt, die, auf ihrer Fahrt nach Wisby an die livländische Küste verschlagen, bei der Mündung der Düna landeten (1159). Sie knüpften mit den Eingebornen Handelsverkehr an, rückten die Düna hinauf, und hier errichtete 1186 ein Mönch, Meinhard, eine Kirche zu Ykeskola, woran sich bald eine Burg schloß. Der Papst ernannte Meinhard 1188 zum Bischof Livlands; doch schritt die Bekehrung der Liven langsam vor und gelang erst dem Bischof Albert (1199-1229, s. Albert 3), der 1201 Riga gründete. Um die Herrschaft der infolge mehrerer Kreuzzüge eingewanderten Deutschen über L. zu sichern, stiftete der Bischof 1202 mit Genehmigung Innocenz' III. den Orden der "Brüder