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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Magenkatarrh

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Magenkatarrh (chronischer).

kleine Eisstückchen verschlucken und gibt ihm Opiumpräparate. Bei choleraartigen Zuständen sind Reizmittel nötig, und zwar sind innerlich Wein, Äther, Kaffee, äußerlich Senfteige anzuwenden.

Der chronische M. entwickelt sich bald aus dem akuten M., wenn dieser sich in die Länge zieht oder häufig Rückfälle macht, bald tritt er von Anfang an als chronische Erkrankung auf. Daher können alle die Schädlichkeiten, welche einen akuten M. hervorrufen, wenn sie lange anhalten oder sich häufig wiederholen, auch Ursachen des chronischen Magenkatarrhs werden. Dies gilt vor allem von dem dauernden mißbräuchlichen Genuß spirituöser Getränke, der bei weitem häufigsten Ursache des chronischen Magenkatarrhs (s. Trunksucht). Außerdem hängt der chronische M. häufig von Stauungen des Bluts in den Gefäßen des Magens ab, wie dies bei Krankheiten der Leber, des Herzens und der Lungen der Fall ist. Lungentuberkulose sowie andre chronische Krankheiten sind sehr häufig, Magenkrebs und andre Entartungen des Magens stets mit chronischem M. verbunden. Bei dem chronischen M. klagen die Kranken meist über ein unangenehmes Gefühl von Druck und Vollsein in der Magengegend, welches nach dem Essen vermehrt wird, sich aber selten zum eigentlichen Schmerz steigert. Die Magengrube ist dabei vorgewölbt, weil der Magen mit Gasen und mit den lange Zeit in ihm verweilenden Speisen erfüllt und ausgedehnt, erweitert ist. Die Gase werden von Zeit zu Zeit durch Aufstoßen entleert, wobei auch geringe Mengen des Mageninhalts von saurem oder ranzigem Geschmack in den Mund gelangen. Häufig entsteht durch diese sauren Massen ein garstiges Gefühl im Schlund und Schlundkopf (Sodbrennen). Verhältnismäßig selten tritt auch Erbrechen auf. Das Erbrochene ist gewöhnlich nur zäher Schleim, welcher nach langem Würgen entleert wird. In andern Fällen wird neben dem Schleim eine fade schmeckende Flüssigkeit ausgeworfen, welche verschluckter Speichel ist. Diese Form des Erbrechens begleitet ganz gewöhnlich den chronischen M. der Säufer und stellt den berüchtigten Wasserkolk (vomitus matutinus) dar. Bei vielen Kranken ist das Hungergefühl, auch wenn sie schon abgemagert sind und der Körper dringend Ersatz bedarf, fast erloschen. In einzelnen Fällen, namentlich bei starker Säurebildung, entsteht zeitweise ein großes Hungergefühl, von schmerzhaften Empfindungen im Magen und Schlund begleitet, der sogen. Heißhunger. Die Zunge ist beim chronischen M. dick belegt, zeigt seitliche Eindrücke der Zähne; der Geschmack ist fade und pappig, der Geruch aus dem Mund mehr oder weniger widerwärtig und stinkend. Gewöhnlich gesellen sich zu den Symptomen des chronischen Magenkatarrhs auch noch die des chronischen Darmkatarrhs: hartnäckige Verstopfung abwechselnd mit dünnen Stuhlgängen, Blähungen, Aufgetriebenheit des Leibes, leichte Gelbsucht. Was das Allgemeinbefinden der Kranken beim chronischen M. anbetrifft, so fehlt gewöhnlich der heftige Kopfschmerz, die schmerzhafte Abgeschlagenheit der Glieder, wie dies beim akuten M. vorkommt; dagegen ist der chronische M. fast immer von psychischen Alterationen mit dem Charakter der Depression begleitet, die man gewöhnlich als Hypochondrie bezeichnet. Die beschriebenen Symptome des chronischen Magenkatarrhs können in größerer oder geringerer Heftigkeit und mit häufigen Schwankungen in ihrer Intensität monate-, selbst jahrelang fortbestehen. Lassen sich die Ursachen des chronischen Magenkatarrhs beseitigen, so endet die Krankheit bei zweckmäßiger Behandlung gewöhnlich mit Genesung. Abgesehen von den Nachkrankheiten des chronischen Magenkatarrhs, ist ein tödlicher Ausgang desselben selten; doch gibt es Fälle, wo die Kranken marantisch und wassersüchtig zu Grunde gehen. Von den Nachkrankheiten sind besonders die Hypertrophie der Magenwände und die Verengerung des Pförtners zu nennen. Dem letztgenannten Leiden erliegen die Kranken stets, wenn auch erst spät, infolge der aufgehobenen Ernährung.

Die Behandlung des chronischen Magenkatarrhs erfordert vor allen Dingen die Beseitigung seiner Ursachen, worüber schon beim akuten M. gesprochen wurde. Nur selten ist ein Brechmittel erforderlich, da fast niemals im Magen schädliche Substanzen vorhanden sind, welche als fortwirkende Ursache der Krankheit angesehen werden könnten. Notwendig ist das Verbot spirituöser Getränke, wenn der anhaltende Mißbrauch derselben die Krankheit hervorgerufen hat und unterhält. Bei den durch Erkältungen und naßkaltes Klima entstandenen chronischen Magenkatarrhen ist die Anregung der Hautthätigkeit durch warme Bekleidung, warme Bäder etc. anzustreben. Die Speisen müssen mit der größten Sorgfalt ausgewählt werden, und der Kranke darf nichts andres, als was der Arzt bestimmt hat, genießen. Erlaubt ist mageres Fleisch, wogegen fettes Fleisch und der Genuß von Saucen zum Braten zu untersagen sind. Die Speisen müssen sehr gut gekaut und immer in kleinen Mengen auf einmal genossen werden. Eine Milchkur bekommt manchen Kranken vortrefflich, andern aber gar nicht. Besser als frische Milch bekommt vielen Kranken die Buttermilch. Von Medikamenten sind besonders die kohlensauren Alkalien von gutem Erfolg. Der Gebrauch des Sodawassers oder der natürlichen Natronsäuerlinge von Ems, Salzbrunn, Selters, Bilin etc. ist daher dem Kranken sehr zu empfehlen. Desgleichen sind die Wirkungen der Karlsbader Wässer ganz außerordentlich günstig. Die Hauptsache bei diesen Brunnenkuren ist aber strenge Diät, und wenn man diese zu Hause hält, hat der kurmäßige Gebrauch von Sodawasser denselben Erfolg wie die Karlsbader Thermen. Die günstige Wirkung des salpetersauren Wismuts und des salpetersauren Silbers ist in zahlreichen Fällen von chronischem M. sicher konstatiert. Die meisten Kranken vertragen diese Mittel ganz gut. Im Verlauf des chronischen Magenkatarrhs tritt zuweilen ein Zustand ein, wo die reizlose Kost wegen einer sogen. Atonie der Magenschleimhaut mit einer mäßig reizenden vertauscht werden muß. Man muß dann zur Anwendung von Eisenpräparaten, Pepsinessenz und leichten Reizmitteln übergehen. In diesem Zustand werden der Franzensbrunnen in Eger, die Stahlquellen in Driburg, Pyrmont, Kudowa besser vertragen und haben bessern Erfolg als die Quellen in Karlsbad und Marienbad. Von Arzneimitteln passen bei Atonie der Magenschleimhaut die Ipekakuanha, Rhabarber, Quassia, Ingwer, Kalmus, welche aber stets nur in kleinen Dosen zu gebrauchen sind. Ist der chronische M. nur eine Teilerscheinung einer hochgradigen Unterleibsplethora, so hat das Ansetzen von Blutegeln an den After oft einen überraschend guten Erfolg. Die Stuhlverstopfung, welche beim chronischen M. fast immer vorhanden ist, muß durch Klystiere oder leichte Abführmittel beseitigt werden. In hartnäckigen Fällen ist die Anwendung von Aloe und Koloquinten angezeigt. Vgl. Brinton, Die Krankheiten des Magens (deutsch, Würzb. 1862); Budd, Die Krankheiten des Magens (deutsch, Götting. 1856); Lebert,