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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Marseille

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Marseille (Bildungsanstalten etc.; Geschichte).

eingelaufen und 4162 Schiffe mit 2,999,570 T. und 124,112 Mann ausgelaufen. Davon trugen 2040 ein- und 2329 ausgelaufene Schiffe (mit 1,780,186, resp. 1,992,684 T.) die französische Flagge. Der Dampferverkehr ist in starker Progression der überwiegende geworden; es sind nämlich 2804 Dampfer mit 2,782,263 T. eingelaufen und 2829 Dampfer mit 2,718,971 T. ausgelaufen. Der Herkunft und dem Ziel nach kam der Hauptanteil auf Algerien, dann Italien, die Türkei, Großbritannien, Spanien, Ostindien und Rußland. Zu den obigen Ziffern kommen aber noch die Küstenfahrer, mit deren Einschluß sich der Gesamtverkehr 1885 auf 7392 eingelaufene Schiffe mit 3,961,622 T. und 6792 ausgelaufene Schiffe mit 3,749,351 T. belief. Die Handelsmarine von M. bestand zu Anfang 1886 aus 688 Schiffen mit einem Tonnengehalt von 276,494 T. (darunter 293 Dampfer mit 245,177 T. und 68,328 Pferdekräften). Der Wert der eingeführten Waren betrug 1885 im Generalhandel 973, im Spezialhandel 737 Mill. Frank, der Wert der Ausfuhrartikel 623, resp. 390 Mill. Fr., so daß sich der Gesamtumsatz des Generalhandels mit 1596 und der des Spezialhandels mit 1127 Mill. Fr. beziffert. Im J. 1882 betrugen die analogen Ziffern 2023 und 1315 Mill. Fr. Die erhobenen Zölle betrugen 50,6 Mill. Fr. Die Hauptartikel der Einfuhr sind dem Wert nach (in Millionen Frank): Seide aus Italien (115), Ölsaat (115), Getreide und Mehl (105), der eigentliche, aber nach dem Ausfall der Ernte in Frankreich außerordentlich schwankende Hauptartikel des Handels von M., hauptsächlich aus Rußland, Ostindien und Nordamerika, Algerien, der Türkei und Rumänien, Früchte (74), Häute und Pelzwerk (52), Vieh (39), Olivenöl (37), Rohzucker (32), Wein (29), Schafwolle (27), Baumwollwaren (27), Kaffee (21), ferner Baumwolle, Seidengewebe, gemeines Holz, Indigo, Thee, Tabak und Tabaksfabrikate etc.; die der Ausfuhr: Baumwollwaren (57), Schafwollwaren (34), Leder (33), Öl (29), Lederwaren (22), Rohseide (22), Häute und Felle (19), Wein (18), Metallwaren (16), Getreide und Mehl (16), Schafwolle, Kaffee, Kleider und Wäsche, Seidengewebe, raffinierter Zucker, Branntwein und Likör, Thee. Durch die Kabotage wurde außerdem ein Warenverkehr von 2,5 Mill. metr. Ztr. in der Einfuhr und von 3,1 Mill. metr. Ztr. in der Ausfuhr vermittelt, wobei Wein, Holz, Salz, Erze, Kohle und Zucker die wichtigsten Import-, Getreide und Mehl, Seife, Wein, Fässer, Zucker, Schwefel, Öl und Ölkuchen, Kohle und Baumaterialien die wichtigsten Exportartikel waren. Die Zahl der im Hafen von M. ein- und ausgeschifften Personen beträgt jährlich ca. 240,000. Von größter Bedeutung für den Handel von M. sind die ausgedehnten Docks und Entrepots, welche sich insbesondere zwischen den Bassins Arenc und Joliette befinden und 230,000 Ton. fassen können. Für die Vermittelung der Handels- und Schiffahrtsgeschäfte dienen außer der Filiale der Bank von Frankreich, der Sparkasse und Börse sowie den Schiffahrtsgesellschaften eine große Zahl von Banken, Kreditinstituten und Seeversicherungsgesellschaften. Namentlich hat sich im letzten Jahrzehnt mit der Entwickelung Algeriens auch der Handel und Verkehr mit dieser Kolonie, der ganz und gar in M. monopolisiert ist, gehoben und hat derselbe sehr wesentlich zur Entwickelung von M. beigetragen, während der Verkehr mit dem Orient, namentlich für Passagiere, in Abnahme begriffen ist. Große Hoffnungen bezüglich des weitern Aufschwunges von M. werden auf den Verkehr mit den französischen Kolonien, insbesondere Madagaskar, Westafrika und Hinterindien, gesetzt. Ein Projekt, dessen Verwirklichung für M. von weittragender Bedeutung wäre, betrifft die Herstellung eines Schiffahrtskanals vom Rhône zum Hafen von M. Dem städtischen Verkehr von M. dienen Pferdebahnen und Omnibusse.

[Öffentliche Anstalten.] Von Wohlthätigkeitsanstalten gibt es 4 Spitäler, darunter das große Hospital St.-Esprit, ein Irrenhaus und zahlreiche humanitäre Vereine. Auch besitzt M. Seebäder. An Unterrichtsanstalten gibt es außer einer Fakultät für Wissenschaften (sciences) eine Schule für Medizin und Pharmazie, ein großes und kleines Seminar, ein Lyceum, eine Schule der schönen Künste, eine höhere Mädchenschule, eine Spezialschule für orientalische Sprachen, ein Musikkonservatorium, eine höhere Handelsschule, eine hydrographische Schule und eine Schule für Schiffsjungen und Matrosen, ein Blinden- und Taubstummeninstitut für beide Geschlechter, 21 freie Mittel- und zahlreiche Primärschulen. Zu den Bildungsanstalten gehören außerdem eine Bibliothek mit 100,000 Bänden und 1400 Manuskripten, mit welcher ein Münzkabinett (mehr als 10,000 Medaillen enthaltend) sowie ein reiches Archiv von Kommunalurkunden verbunden ist; ein Museum für Archäologie (im Schloß Borelli), welches hauptsächlich Funde aus der Umgebung, eine interessante Sammlung phönikischer, griechischer, römischer und altchristlicher Altertümer enthält; ferner eine Gemäldegalerie und ein naturhistorisches Museum (beide im Palais de Longchamp untergebracht); ein zoologischer und botanischer Garten, eine Sternwarte, ein neuerrichtetes Observatorium für das Studium der Fauna und Flora des Meers und mehrere Theater (darunter Grand Théâtre und Gymnase). Die Stadt besitzt auch Gesellschaften für Agrikultur, Gartenbau, Statistik, Medizin, Pharmazie und Kunst. M. ist der Sitz des Generalkommandos des 15. Armeekorps, des Präfekten, eines Tribunals erster Instanz, eines Handelsgerichts sowie zahlreicher Marine- und Finanzbehörden, einer Ackerbau- und Handelskammer (der ältesten in Frankreich, 1599 von Handelsleuten gegründet), einer Filiale der Bank von Frankreich, einer Börse, zahlreicher Konsuln fremder Staaten (darunter auch eines deutschen Berufskonsuls), eines Bischofs, je eines Archimandriten des griechisch-orthodoxen und unierten Ritus, eines reformierten Konsistoriums und eines Rabbinats.

[Geschichte.] M. ist eine der ältesten Städte Europas und wurde um 600 v. Chr. von Phokäern aus Kleinasien im Gebiet der Salyer gegründet. Es hieß griechisch Massalia, lateinisch Massilia und war ein aristokratischer Freistaat mit blühendem Handel. Griechische Kunst und Wissenschaft wurden eifrig gepflegt, und die griechische Sprache herrschte noch bis 300 n. Chr. Die Stadt, eine Rivalin Karthagos, hielt in den punischen Kriegen zu Rom und ward hierfür durch Beistand gegen die Ligurier (154), dann gegen die Salluvier (123), deren Gebiet M. geschenkt wurde, belohnt. Im J. 49 v. Chr. wurde die Stadt nach hartnäckiger Verteidigung von Cäsar erobert und ihres Gebiets zum größten Teil beraubt, doch behielt sie eine bevorzugte Stellung unter den Städten Galliens. Zur Zeit der Völkerwanderung wurde es eine Beute der verschiedenen Frankreich erobernden Völkerschaften, der Burgunder, der West- und der Ostgoten. Dann gehörte es zum fränkischen Reich der Merowinger und Karolinger; später kam es an Burgund und Arelat, wurde aber unter Ludwig dem Blinden (889-903) von den Sarazenen zerstört.