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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Milutinóvić

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Milton - Milutinović.

ältere große christliche Epos, wie überhaupt M. mit Dante wesentliche Eigenschaften gemein hat; aber wenn Dantes "Komödie" in dem Glaubensbekenntnis kulminiert, welches der Dichter den Aposteln ablegt, und in der schließlichen Anschauung der Trinität, so ist bei M. der Grundton das Pathos der Freiheit, welches ohne Selbstgewißheit sich keinem Dogma unterwirft: er ist der eigentliche Dichter der protestantischen Glaubensfreiheit. Zudem sind uns Miltons Personen näher gerückt und erwecken eine lebendigere Teilnahme, weil der Dichter sein Material mehr zu einer dichterisch wirklichen Geschichte zu gestalten weiß. So wertvoll im einzelnen, so großartig durch Kühnheit des Plans das "Verlorne Paradies" indes bleiben wird, so wenig kann man das Werk doch heutzutage mit reinem Genuß in sich aufnehmen. Die oft weit ausgesponnenen, an das klassische Altertum sich anlehnenden Bilder erinnern nicht selten an den Schwulst der spätern lateinischen Dichter, zumal des Lucanus in seiner "Pharsalia". Viel störender noch wirkt das dogmatische Moment, das uns mehr den scharfsinnigen Gelehrten als den Dichter in M. bewundern läßt. Von unvergleichlicher Kühnheit und Erhabenheit ist das Bild des Satans. Ihn quält der doppelte Gedanke an die verlorne Glückseligkeit und die ewige Verdammnis; aber geblieben sind ihm "der unzähmbare Wille, der Rache Drang, der unsterbliche Haß, der Mut, der nie sich unterwirft und beugt". An der prachtvollen Rhetorik dieses Höllenfürsten hat der jüngere Pitt sein Rednertalent geschult. Wie uns aber der poetische Gott-Vater und Gott-Sohn Miltons ein Interesse schwerlich abgewinnen können, so mutet uns auch sein erstes Menschenpaar, Adam und Eva, seltsam genug an, ebenso die juristisch scharfsinnige Motivierung des Sündenfalls. Diese gelehrten, philosophisch geschulten Reden Adams und der verführenden Eva rufen allerdings die spöttische Verwunderung darüber wach, daß so gebildete Leute unbekleidet einhergehen (vgl. die treffliche Analyse des Gedichts in Taines "Histoire de la littérature anglaise", Bd. 2, Par. 1873). Daneben aber enthält das Gedicht zahlreiche lyrische Ergüsse von höchstem poetischen Wert. Von großer Kühnheit ist der Flug Satans durch den Abgrund des Chaos, rührend der Hymnus des blinden Dichters an das Licht, kunstvoll die Beschreibung des Paradieses, lieblich die der Liebe des ersten Menschenpaars, prachtvoll die Erscheinung des Gottessohns in den Schlachtreihen der himmlischen Heerscharen. Das Werk, 1665 vollendet, fand nicht sogleich einen Verleger und erschien erst 1667 in 1. Auflage, die dem Dichter 5 Pfd. Sterl. Honorar einbrachte. Eine Faksimilereproduktion derselben veröffentlichte Masson (Lond. 1876). Die 2. Auflage erschien 1674, die 3. nach Miltons Tod (1678). 1680 kaufte ein gewisser Samuel Simmons der Witwe das ganze Verlagsrecht für 8 Pfd. Sterl. ab. Zu vollem Ansehen gelangte das Werk erst im 18. Jahrh., besonders durch Addisons Bemühung. In Deutschland gab es einen mächtigen Anstoß zum neuen Aufschwung der Nationallitteratur: Klopstock ward besonders durch das "Verlorne Paradies" zu seinem "Messias" angeregt; auch Lessing spricht anerkennend, bisweilen bewundernd von M. Übersetzt wurde das Gedicht zuerst von Th. Haake (gest. 1690), doch ist diese Übersetzung jetzt verloren; dann von Bodmer (Zürich 1732), Zachariä (Altona 1762), Bürde (Berl. 1793), Prieß (Rost. 1813), Rosenzweig (Dresd. 1832), Kottenkamp (Stuttg. 1841), A. Böttger (s. unten), Schuhmann (2. Aufl., Stuttg. 1877), Eitner (Hildburgh. 1867). M. hat später noch ein "Paradise regained" geschrieben, das die Versuchung Christi in der Wüste zum Stoff hat, aber, trocken lehrhaft und frostig, keine ästhetische Freude zu erregen vermag. Sein letztes Werk ist das in griechischer Form geschriebene Trauerspiel "Samson Agonistes" (1671), das vorwiegend lyrisch und daher als Drama verfehlt ist, aber, als ein erhabener Klagehymnus in dialogischer Form betrachtet, das ästhetisch vollendetste von Miltons Gedichten genannt werden muß. Späterhin gab es die Unterlage für Händels berühmtes Oratorium "Samson". Miltons "Poetical works" sind gesammelt worden von Hawkins (Lond. 1824, 4 Bde.) von Masson (1874, 3 Bde.), von Mitford (1873, 2 Bde.). Kommentare dazu lieferten Bentley, Newton, Pearce, Th. Warton u. a. Seine "Prosaic works" veröffentlichte Fletcher (Lond. 1833), die "Complete works" ebenderselbe (das. 1834-38, 6 Bde.) und Mitford (das. 1851, 8 Bde.; neue Ausg. 1862). Eine Übersetzung von Miltons "Poetischen Werken" lieferte A. Böttger (5. Aufl., Leipz. 1878), der "Politischen Hauptschriften" Bernhardi (Berl. u. Leipz. 1871-79, 3 Bde.). Miltons Leben beschrieben unter andern S. Johnson (in den "Lives of English poets"), A. Keightley (Lond. 1859), D. Masson (das. 1859 bis 1879, 6 Bde.) und Pattison (das. 1880). Vgl. Alfr. Stern, M. und seine Zeit (Leipz. 1877-78, 2 Bde.); Schmidt, Miltons dramatische Dichtungen (Königsb. 1864); Treitschke, Historische und politische Aufsätze, Bd. 1 (5. Aufl., Leipz. 1886); Macaulay in den "Essays".

Milutinóvić (spr. -witsch), Sima, serb. Dichter und Schriftsteller, geb. 14. Okt. 1791 zu Sarajewo, besuchte das Gymnasium zu Karlowitz, von wo er wegen Lesens verbotener Bücher relegiert ward, siedelte 1809 mit seinen Eltern nach Belgrad über, wurde Sekretär der fürstlichen Kanzlei und Lehrer an der Hochschule und beteiligte sich an dem Aufstand von 1815. Da er sich jedoch von dem Fürsten Milosch und namentlich von dessen Bruder zurückgesetzt glaubte, entschloß er sich 1820, nach Rußland auszuwandern, erhielt von dem russischen Kaiser eine Pension und begab sich 1825 nach Leipzig, wo er zwei Jahre lang Vorlesungen an der philosophischen Fakultät hörte und mit der Schriftstellerin Talvj in Verbindung trat. Damals erschienen seine ersten Poesien: "Serbijanka" ("Die Serbin", Leipz. 1826, 4 Bde.), ein Cyklus lyrisch-epischer Gedichte, welche die Befreiung Serbiens 1804-15 unter Karadjordje und Milosch verherrlichen, sowie zwei andre Sammlungen: "Nekoliko pjesme" (das. 1826) und "Zorica" ("Die Morgenröte", Pest 1827). Auch unterstützte er Wilhelm Gerhard bei der Herausgabe seiner "Wila". Im J. 1827 begab sich M. nach Montenegro, wo er die Erziehung des nachmaligen Wladika Peter II. leitete und eine große Anzahl serbischer Volkslieder sammelte, die er unter dem Pseudonym Čubro Cojković (Ofen 1833 und Leipz. 1837) veröffentlichte. Außerdem schrieb er hier in serbischer Sprache eine "Geschichte von Montenegro" (Petersb. 1835), eine "Geschichte Serbiens in den Jahren 1813-15" (Leipz. 1837) und das Drama "Dika Crnogorska" ("Der Stolz Cernagoras", Cetinje 1835). Nach Belgrad zurückgekehrt, trat er in den Parteikämpfen so entschieden in den Vordergrund, daß er während des Aufstandes von 1840 in Lebensgefahr schwebte und in contumaciam zum Tod verurteilt wurde. Nach der Flucht des Fürsten Michael 1842 erhielt er zwar einen hohen Posten im Unterrichtsministerium, erweckte sich aber durch die Tragödie "Karadjordje" zahlreiche neue Feinde und starb in Armut 11. Jan. 1848.