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Musik (im Mittelalter).
Dieses System unterscheidet sich dem Wesen nach von dem der Oktavengattung dadurch, daß es (wie auch die moderne Dur- und Mollskala) auf jeden der zwölf Halbtöne der Oktave transponiert wird, ohne daß sich die Intervallenfolge verändert, wie dies ja bei den Oktavengattungen verschiedener Tonhöhe der Fall ist. Endlich ist noch das sogen. vollständige System (Systema teleion) zu erwähnen, eine Transpositionsskala, welcher noch ein fünftes dorisches Tetrachord in enger Verbindung mit dem Stammtetrachord hinzugefügt ist, jedoch nur zu fakultativer Benutzung, falls man in die Unterdominante modulieren wollte.
^[img] Systema teleion. Eingeschobenes Tetrachord
Obwohl von den Oktavengattungen dem Wesen nach verschieden (über die Beziehungen der beiden Systeme zu einander findet man näheres in Fr. Bellermanns "Anonymus". Note 28, S. 45), führten die Transpositionsskalen doch dieselben Benennungen nach Provinzen, und zwar hießen die sieben ursprünglichen (ihre Anzahl stieg später auf fünfzehn): Hypodorisch (F moll), Hypophrygisch (G moll), Hypolydisch (A moll), Dorisch (B moll), Phrygisch (C moll), Lydisch (D moll), Mixolydisch (Es moll). Weiteres s. Griechische Musik. Bezüglich der zuletzt angeführten Benennungen sei schon jetzt darauf hingewiesen, daß sie fast ein Jahrtausend später in derselben Folge als Bezeichnung der christlichen Kirchentonarten wiederkehren, obwohl diese nichts andres sind als die griechischen Oktavengattungen, folglich mit den Transpositionsskalen nichts gemein haben - ein Irrtum, der dadurch verursacht wurde, daß während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters mit der griechischen Sprache auch die Musiklehre in Vergessenheit geraten war und bei Wiederaufnahme des Studiums der antiken Theorie der Unterschied jener beiden Systeme unbeachtet blieb. Als ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der altgriechischen von der modernen M. darf ihre melodische Mannigfaltigkeit gelten, wie sie in den Tongeschlechtern und Schattierungen zu Tage tritt. Unter den erstern, deren es drei gab, das diatonische, chromatische und enharmonische, verstand man die Modifikationen der Intervalle innerhalb eines Tetrachords, beim enharmonischen Geschlecht bis auf das dem heutigen Ohr unfaßbare Intervall des Vierteltons, während die Schattierung (Chroma) noch feinere Intonationsunterschiede bezeichnet. Ob dieselben in der praktischen M. zur Verwendung kamen oder nur als Ergebnisse rechnender Spekulation gelten können, ist eine noch streitige Frage; für die Richtigkeit der erstern Annahme spricht jedoch die Thatsache, daß der Kirchenvater Clemens von Alexandria (starb um 220) seiner Gemeinde den Gebrauch der chromatischen Tonfolgen, als der Würde des Gottesdienstes nachteilig, untersagte.
II. Die Musik des Mittelalters.
Mit dem genannten Verbot tritt die christliche Kirche zum erstenmal musikalisch-selbständig auf, wenn auch vorläufig nur negierend; denn es bedurfte für sie noch mehrerer Jahrhunderte der Erstarkung, um der selbst zur Zeit der römischen Weltherrschaft noch allumfassenden Macht der griechischen Kultur selbstschöpferisch gegenüberzutreten. Eine höhere Bedeutung darf die musikalische Reform des heil. Ambrosius, Bischofs von Mailand (gest. 397), beanspruchen, welcher die vier mit D, E, F und G beginnenden Oktavengattungen der Griechen (von ihm mit den griechischen Zahlworten protos, deuteros, tritos und tetrardos bezeichnet) zum Gebrauch für seine Kirche bestimmte und damit zunächst zwar ebenfalls nur eine Vereinfachung des antiken Systems bezweckte, gleichzeitig jedoch den Grund zu dem noch heutigestags gültigen System der Kirchentonarten legte. Von höchster Wichtigkeit aber sind die Fortschritte, welche die M. dem Papst Gregor d. Gr. (gest. 604) zu danken hat. Dieser vervollständigte das System der Kirchentonarten, indem er den vier Ambrosianischen Tonarten, den sogen. authentischen, vier weitere hinzufügte, welche Plagaltonarten genannt wurden und zu den Haupttonarten in einem Abhängigkeitsverhältnis standen, ähnlich wie die mit hypo bezeichneten Oktavengattungen der Griechen zu den übrigen, den ältern. Wie jene, bestanden auch die Plagaltonarten in einer Umstellung der Teile der authentischen, nur mit dem Unterschied, daß bei den Stammtonarten der christlichen Kirche die Quinte als tiefere und die Quarte als höhere Hälfte der Oktave gedacht wurde, z. B.
^[img] Dorisch (authentisch) Quinte Quarte | Hypodorisch (plagalisch) Quarte Quinte
Die enge Zusammengehörigkeit der authentischen und plagalischen Töne (deren Verhältnis von den Schriftstellern des Mittelalters durch die Bezeichnung "männlich" und "weiblich" treffend charakterisiert ist) zeigt sich am deutlichsten darin, daß der musikalische Schwerpunkt, der Grund- oder Finalton, beiden gemeinsam ist: die authentische Tonart hat ihn in der Tiefe, die plagalische dagegen in der Mitte, d. h. ihre Tonleiter findet ihren Abschluß auf der Quarte, welche sie nach der Höhe und der Tiefe im Umfang einer Oktave umschweift. Nach diesem Prinzip teilte man auch die Melodien in authentische und plagalische ein, nämlich solche, die sich vom Grundton bis zu seiner Oktave und zurück bewegen, und solche, die von ihrem Grundton aus eine Quinte aufwärts und eine Quarte abwärts steigen, um schließlich wieder zu ihm zurückzukehren (vgl. Kirchentöne). - Hiermit war das griechische System der Oktavengattungen wieder vollständig ins Leben gerufen, wenn auch nicht mit den frühern Namen derselben, denn Gregor begnügte sich, wie auch sein Vorgänger Ambrosius, die Tonarten durch Zahlworte zu bezeichnen; erster Kirchenton: D-d, zweiter: A-a, dritter: E-e, vierter: H-h, fünfter: F-f, sechster: C-c, siebenter: G-g, achter: D-d (dieser vom ersten nur durch den Finalton unterschieden, welcher dort D, hier G ist). Ein weiteres Verdienst um die M. erwarb sich Gregor durch die Verbesserung der schon von den Päpsten Silvester und Hilarius im 4. und 5. Jahrh. gegründeten Kirchengesangschulen sowie durch Zusammenstellung der zu seiner Zeit bekannten Kirchengesänge in dem sogen. "Antiphonarium centone", welches bis zur Gegenwart die Grundlage des römischen Kirchengesanges geblieben ist. Den Gipfel seiner musikreformatorischen Thätigkeit aber bezeichnet die Einführung der nach ihm benannten Vortragsweise, des Gregorianischen Gesanges oder Cantus planus (ebener Gesang), so genannt, weil er nicht, wie der antike und auch noch der Ambrosianische Gesang, den Zeitwert der Töne dem Metrum der Dichtung unterordnete, sondern es dem Sänger überließ,