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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Nahrungsmittel

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Nahrungsmittel.

stoffen bestehende Kost in der Regel ungenießbar erscheint. Erst durch Beimischung von ätherischen Ölen, Säuren, Bitterstoffen etc., welche in vielen Nahrungsmitteln hinreichend enthalten sind oder in Form von Würzen oder Gewürzen den Speisen zugesetzt werden, erhält die Kost ihre volle Ausnutzbarkeit. Hiervon abgesehen, ergibt sich der Wert eines Nahrungsmittels zunächst aus der chemischen Zusammensetzung, welche angibt, wieviel Eiweißkörper, Fette, Kohlehydrate, Salze und Wasser die fragliche Substanz enthält.

Eine Betrachtung der Tafel, welche die prozentische Zusammensetzung der wichtigsten N. angibt, zeigt, wie manche Vorurteile über Wert und Unwert von Nahrungsmitteln durch die chemische Analyse beseitigt werden. Den Gehalt der N. an Eiweißkörpern bestimmte man seither durch Ermittelung des Stickstoffgehalts, indem man annahm, daß der Stickstoff in den Nahrungsmitteln nur in Form von Eiweißkörpern (die man dem entsprechend auch als Stickstoffsubstanz bezeichnete) vorhanden sei. Man hat nun aber gefunden, daß ein oft beträchtlicher Teil des Stickstoffs sogen. Amidosubstanzen zukommt, deren Bedeutung für die Ernährung jedenfalls eine andre ist als die der Eiweißkörper. In den Kartoffeln sind 44,7, in Kohlrüben 41,9 Proz. des Gesamtstickstoffs in Form von Nichteiweiß vorhanden.

Die in den Körper eingeführten N. unterliegen der Einwirkung der Verdauungssäfte und werden durch dieselben mehr oder minder leicht und vollständig gelöst und umgewandelt, d. h. verdaut. Hierbei verhalten sich aber die einzelnen N. sehr verschieden, reines Fleisch wird fast gänzlich verdaut, Brot ist schon weniger verdaulich, Gemüse, wenn sie nicht in sehr jugendlichem Zustand genossen werden, in noch geringeren Grade, die Schalen der Körner und Hülsenfrüchte sind ganz unverdaulich. Die chemische Zusammensetzung der N. gibt also kein zutreffendes Bild von dem Werte derselben, wenn sie nicht erkennen läßt, wieviel von der vorhandenen Stickstoffsubstanz, den Kohlehydraten etc. verdaut, vom Körper ausgenutzt wird. In dieser Hinsicht sind unsre Kenntnisse noch unzureichend. Untersuchungen, welche über die Ausnutzung der wichtigsten N. angestellt wurden, ergaben, daß bei mehrtägigem ausschließlichen Genuß einer Speise von deren Trockensubstanz durch die Exkremente entleert wurden: bei Weißbrot 3,7 und 5,2, bei Reis 4,1, bei Maccaroni 4,3 und 5,7, bei Fleisch 4,7 und 5,6, bei Eiern 5,2, bei gemischter Kost 5,5, bei Milch mit Käse 6,0 und 11,3, bei Milch allein 7,8 und 10,2, bei Fett 6,7 und 9,4, bei Erbsen 9,1 und 14,5, bei Kartoffeln 9,4, bei Wirsingkohl 14,9, bei grünen Bohnen und Schwarzbrot je 15, bei gelben Rüben 20,7 Proz. Diese Zahlen geben Andeutungen, welche im allgemeinen den Erwartungen entsprechen, die man von der Ausnutzung der einzelnen N. hegt; sie sind aber keineswegs als abschließend und allgemein gültig aufzufassen, sondern bedürfen nach mancher Richtung hin einer Interpretation, weil bei der Bildung der Exkremente Verhältnisse mitsprechen, die wohl mit der Zusammensetzung der N., aber nicht mit ihrem Wert, mit ihrer Ausnutzbarkeit etwas zu thun haben.

Eine erhebliche Bedeutung für die Ausnutzung der N. hat die Zubereitung. Bei tierischen Nahrungsmitteln tritt der Einfluß der Zubereitung weniger hervor. Durch zu starkes Braten, durch Auskochen des Fleisches mit viel Wasser kann manches verdorben werden, im allgemeinen verdaut der normale Organismus tierische Substanzen ebenso im rohen Zustand wie im gekochten. Auch die Zerkleinerung (Würste) scheint nicht von Bedeutung zu sein, sofern nur der Kauapparat normal funktioniert. Außerordentlich wesentlich ist dagegen die Zubereitung, insofern sie die tierischen N. schmackhaft und damit auf die Dauer genießbar macht. Hierbei kommen besonders Veränderungen der Konsistenz und des Geschmacks durch Bildung eigenartiger Substanzen bei der Zubereitung (Aroma des Bratens) in Betracht. Bei den pflanzlichen Nahrungsmitteln werden durch die Zubereitung die Zellen gesprengt und ihr Inhalt der Einwirkung der Verdauungssäfte zugänglich gemacht, das Stärkemehl wird zur Quellung gebracht und in Modifikationen umgewandelt, welche im Gegensatz zum rohen Stärkemehl durch die Verdauungsfermente angegriffen werden. Tierische N. werden durch Kochen wasserärmer, vegetabilische dagegen wasserreicher und zwar so, daß im zubereiteten Zustand Fleisch weniger Wasser enthält als vegetabilische Speisen. Letztere sind daher bei gleichem oder ähnlichem Nährstoffgehalt ungleich voluminöser als Fleischspeisen. Sehr wesentlich ist auch der Umstand, daß durch das Kochen gewisse schädliche Bestandteile der N., namentlich Parasiten (Finnen, Trichinen), unschädlich gemacht werden.

Die N. wirken je nach ihrer chemischen Zusammensetzung verschieden auf die Verdauung und Ernährung, da diese beiden im wesentlichen ebenfalls chemische Prozesse sind. Mithin ist klar, daß der Stoffwechsel durch die Wahl der N. bedeutend beeinflußt wird. Unter diesem Einfluß steht natürlich auch das Nervenleben, und es ist ja allgemein bekannt, wie verschieden eine entgegenstehende Schwierigkeit beurteilt wird, je nachdem man sich vorher mit gedeihlicher Kost gesättigt oder seit längerer Zeit gefastet hatte. Schlechte Nahrung sättigt auch, aber der Genuß von guter Kost gewährt eine Befriedigung, welche dem Gedankengang einen unverkennbaren Stempel aufdrückt. Kraft und Mut sind die Folgen einer vollkommenen Ernährung; dauernder Mangel macht kleinmütig, feig und schwach. Vegetabilische Kost macht träge, Fett erweckt das Bedürfnis nach kräftiger Bewegung, und wenn man dies alles zusammenfaßt und zahlreiche Erfahrungen des gewöhnlichen Lebens hinzunimmt, so unterliegt es keinem Zweifel, daß auch von den Nahrungsmitteln die geistige Thätigkeit abhängig ist. Wird aber eine gewisse Ernährungsweise sehr lange Zeit hindurch fortgesetzt, so muß ihre Wirkung sich unverwischbar ausprägen, und wenn sie durch Generationen hindurch fortdauert, so wird der Charakter wesentlich verändert werden. Wo sich dergleichen aber bei ganzen Volksschichten zeigt, da beobachtet man den Einfluß der Ernährung auf den Volksgeist, und ganz gewiß beruht die Verschiedenheit der Hindu und der Gauchos, der englischen Maschinenbauer und der schlesischen Weber wesentlich mit auf deren abweichender Ernährung.

Im Verkehr mit Nahrungsmitteln spielen Verfälschungen eine große Rolle. Mehl wird mit Gips (bis 30 Proz.), Schwerspat (bis 20 Proz.) und andern farblosen, oft gesundheitsschädlichen Pulvern vermischt, verdorbenes Mehl verbessert man durch Alaun und Kupfervitriol, Nudeln färbt man mit Pikrinsäure statt mit Eigelb, und in der Konditorei werden Gips, Schwerspat, Kreide, namentlich aber schädliche Farbstoffe, vielfach angewandt. Zucker wird mit Mehl, Dextrin, indischer Sirup mit Runkelrüben- und Kartoffelsirup verfälscht. Beim Fleisch kommen Unterschiebungen des Fleisches kranker oder gar gefallener Tiere, von Pferdefleisch für Rindfleisch vor, und Wurst wird allgemein mit Mehl verfälscht. Milch wird abgerahmt und mit Wasser verdünnt, Honig mit Stärke-^[folgende Seite]