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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ordalien; Orden

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Ordalien - Orden.

durch welche man eine Entscheidung der Gottheit selbst über Schuld oder Unschuld herbeizuführen glaubte. Schon in der Bibel und in den ältesten persischen Religionsschriften finden wir zahlreiche Hindeutungen auf allerlei Formen von Gottesurteilen, zu denen das in der Bibel so oft gerügte "durch das Feuer Gehen", das bittere Wasser des Moses, welches Schuld oder Unschuld einer Frau erweisen sollte, u. a. gehören. Am meisten waren die O. verbreitet bei den Indern, welche die O. bis auf den heutigen Tag beibehalten haben. Nicht weniger waren die O. im Mittelalter bei den Deutschen üblich, namentlich folgende Arten derselben. In dem gerichtlichen Zweikampf (Kampfurteil, altnord. Holmgangr) wurde der Besiegte für schuldig erachtet. Bei dem Kreuzurteil (judicium crucis), wobei jeder von beiden Teilen mit ausgestreckten Armen an einem Kreuz stehen mußte, galt derjenige, der zuerst die Arme sinken ließ oder nur bewegte, für besiegt; es ward von Ludwig dem Frommen 816 als unchristlich verboten. Bei der Feuerprobe (judicium ignis, probatio per ignem) mußte der Beschuldigte seine Hand eine Zeitlang in das Feuer halten, oder im bloßen Hemd oder auch in einem mit Wachs überzogenen Hemd (Probe des wächsernen Hemdes) durch einen brennenden Holzstoß gehen, oder ein Stück glühendes Eisen von bestimmter Schwere gewöhnlich neun Schritte weit in der bloßen Hand tragen, oder über glühende Kohlen oder über neun glühende Pflugscharen mit bloßen Füßen gehen, und die Nichtverletzung galt als Beweis der Schuldlosigkeit. Die Wasserprobe (judicium aquae) zerfiel in die Probe des kalten Wassers und in die Probe des heißen Wassers oder den Kesselfang. Bei der letztern mußte der Beklagte aus einem Kessel mit heißem Wasser einen hineingeworfenen Ring oder eigroßen Stein mit bloßem Arm herausholen, ohne Blasen zu bekommen; bei ersterer band man dem Betreffenden die linke Hand an den rechten Fuß oder umgekehrt und warf ihn, mit einem Strick um den Leib, um ihn wieder herausziehen zu können, einmal oder mehrere Male in das Wasser. Sank er unter, so galt er für unschuldig; blieb er aber schwimmend auf der Oberfläche, so galt er für schuldig, weil das reine Wasser ihn nicht in sich dulden wolle. Auch diese Probe, welche später besonders in Hexenprozessen Anwendung fand, ward schon 829 von Ludwig dem Frommen der Ähnlichkeit mit der Taufe Christi halber und 1601 nochmals vom Pariser Parlament als unchristlich verboten. Das Broturteil oder die Probe des geweihten Bissens (judicium offae, panis adjurati, casibrodeum) bestand darin, daß ein unter eignen Verwünschungsformeln zubereiteter Bissen Brot oder Käse dem Angeklagten gegeben und dieser für schuldig gehalten wurde, wenn ihm der Bissen im Halse stecken blieb. Die Abendmahlsprobe (purgatio per eucharistiam, eucharistia, examen corporis et sanguinis Domini), besonders bei Geistlichen und Mönchen angewandt, beruhte auf dem Glauben, daß dem Verbrecher der Genuß des Abendmahls zum Verderben gereichen werde. Das Bahrrecht (s. d.) diente zur Ermittelung des Thäters bei einer verübten Mordthat. Dasselbe beruhte auf dem Aberglauben, daß die Wunden des Ermordeten von neuem bluten, wenn der Mörder die Leiche berührt oder auch nur an dieselbe herantritt. Das Los wird schon bei Tacitus erwähnt und kommt auch in den Verordnungen der fränkischen Könige sowie in den Volksgesetzen als Ordal bei Diebstahlsbeschuldigungen vor. Alle O. bis auf den Zweikampf standen unter der Leitung der Geistlichkeit; sie wurden daher auch, mit Ausnahme der kalten Wasserprobe, unter besondern Zeremonien in der Kirche vollzogen. Daß bei allen diesen O. auch Betrug zu Hilfe genommen wurde, um ein günstiges Resultat zu erzielen, wobei besonders viel auf den ankam, der das Gottesgericht zu leiten hatte, wird schon durch vorbeugende Bestimmungen in den Gesetzbüchern konstatiert. Freie reinigten sich von Anschuldigungen gewöhnlich teils durch Eide und Eideshelfer, teils durch den Zweikampf; durch die übrigen O. dagegen mußten nach den Rechtsbestimmungen ihr Recht darthun: Unfreie, für die ihr Herr nicht schwören wollte; Frauen, welche, auf Kampf angeklagt, keine Kämpfer für sich stellen konnten, und Freie, welche keine Eideshelfer finden konnten. Überhaupt galten die O. als äußerstes Beweismittel. Nur allmählich verschwanden die O. durch die Bemühungen des päpstlichen Stuhls und aufgeklärter Fürsten aus den Rechtsbüchern. Ihre Stelle ersetzte freilich in den meisten Ländern die Tortur, bis die Hexenprozesse die O., besonders die kalte Wasserprobe, wieder heraufbeschworen. Als etwas Neues trat das Wägen der Hexen (Hexenwage) hinzu, das, wie die Wasserprobe, sich auf den Glauben gründete, daß die vom Teufel besessenen Hexen ihre natürliche Schwere verloren hätten. Am längsten unter den Gottesgerichten hat sich das Bahrrecht erhalten, und das gänzliche Verschwinden der O. aus dem Gerichtsverfahren kann erst in die Mitte des 18. Jahrh. gesetzt werden. In voller Kraft aber bestehen die O. noch bei einer Menge außereuropäischer, namentlich afrikanischer Völker, die sich sehr heftiger organischer Gifte, besonders aus der Klasse der Herzgifte, wie in Sierra Leone der Rinde des Rotwasserbaums (Erythrophleum judiciale), in Oberguinea der Kalabarbohne (Physostigma venenosum), anderwärts des furchtbaren Incassagifts etc., bedienen, um sich von irgend welcher Schuld zu reinigen. Derjenige, dessen Körper hierbei durch Erbrechen den Giftstoff von sich weist, oder der ihn durch Gegenmittel wirksam zu bekämpfen weiß, gilt für unschuldig. Vgl. Majer, Geschichte der O. (Jena 1795); Zwicker, Über die Ordale (Götting. 1818); Wilda, O., in Ersch und Grubers Encyklopädie; Phillips, Über die O. bei den Germanen (Münch. 1847); Dahn, Studien zur Geschichte der germanischen Gottesurteile (Münch. 1857); Pfalz, Die germanischen O. (Leipz. 1865); B. Hilse, Das Gottesurteil der Abendmahlsprobe (Berl. 1867).

Orden (v. lat. ordo), Vereine, deren Mitglieder behufs gemeinschaftlicher Bestrebungen sich die Befolgung gewisser Regeln oder Ordnungen (ordines) zur Pflicht machen; zerfallen nach Art und Richtung ihrer Bestrebungen in geistliche und weltliche O.

I. Geistliche O. Zu ihnen gehören zunächst die Mönchs- und Nonnenorden. Nur solche geistliche Verbrüderungen führen den Namen O., welche sich zu einer gemeinschaftlichen Regel (Ordensregel) durch Gelübde (Ordensgelübde) lebenslänglich verpflichten, und sie unterscheiden sich dadurch von den bloßen religiösen Brüderschaften (s. d.), welche fromme, durch keine dauernden Gelübde zu wohlthätigen Zwecken verbundene Vereinigungen sind. Nach dieser Bestimmung kann das Ordenswesen als Schöpfung des heil. Benedikt (s. Benediktiner) angesehen werden, da den Klöstern des Orients eine ähnliche zweckvolle Gliederung abgeht. Dieses abendländische Ordenswesen zeigt uns in seiner Entwickelung eine fortgesetzte Kette von Reformen, sofern schon die seit dem 10. Jahrh. sich abzweigenden Kongregationen (s. Kongregation)