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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1781-1791).

nur eine willenlose Masse, die man durch Gesetzgebung und Verwaltung nach Belieben formen und zu einer vernünftigen Lebensführung u. Seelenordnung anhalten könne. Seine Ziele waren philanthropische und humane, seine Mittel, die Art seines Vorgehens aber oft despotisch, ja brutal. Wie sein Vorbild, Friedrich d. Gr., betrachtet sich Joseph als ersten Diener des Staats und war unermüdlich für ihn selbstlos thätig, aber doch zugleich durchaus Autokrat. "Das Reich, das ich regiere", schrieb er, "muß nach meinen Grundsätzen beherrscht, Vorurteil, Fanatismus, Parteilichkeit und Sklaverei des Geistes unterdrückt werden." In rascher Reihenfolge erschienen Josephs Gesetze und Verordnungen. Zunächst schaffte er die Zensur ab, dann führte er für die Kirche das Placet ein, unterwarf den Klerus der Staatsaufsicht, hob 700 Klöster auf, wodurch die Zahl der Ordensleute um 36,000 vermindert wurde, griff durch das Verbot von Reliquienausstellungen, Prozessionen und Ablässen sogar in den römischen Kultus ein und sprach durch das Toleranzpatent vom 15. Okt. 1781 die Duldung aller christlichen Religionsparteien aus. Die Ehe wurde der kirchlichen Jurisdiktion entzogen, Bischöfe eingesetzt, die Diözesangrenzen geändert, staatliche Priesterseminar errichtet. Ein Besuch des Papstes Pius VI. in Wien (1782) änderte in Josephs Vorgehen gegen die Kirche nichts. Um den Bauernstand zu heben, beseitigte er 1784 die Leibeigenschaft, beschränkte die Strafgewalt der Gutsherren, gab den Bauern das Recht der freien Erschließung und der Freizügigkeit (1782) und stellte in den neuorganisierten, mit dem ausgedehntesten Aufsichtsrat über alle Kreisbewohner ohne Unterschied des Standes ausgestatteten Kreisämtern den Grundherren scharf blickende Wächter, den Unterthanen eifrige Beschützer zur Seite. Das Steuerregulierungsgesetz vom 15. April 1785 verordnete die Einführung einer möglichst gleichmäßig veranschlagten Grundsteuer, wogegen die Zwischenmauten und die Konsumsteuern wegfallen sollten. Im Gerichtswesen wurde der Grundsatz "Ein Gesetz für alle" auch bei den Strafen rücksichtslos durchgeführt. Um in der Staatsverwaltung möglichste Einheit herzustellen, sollte fortan die deutsche Sprache in der ganzen Monarchie die ausschließliche Sprache der Gerichts- und Verwaltungsbehörden sein.

Der Erfolg dieses Erlasses war aber ein seiner Absicht entgegengesetzter: überall wurden die nationalen Feindseligkeit gegen das deutsche Element erst recht aufgerüttelt. Dazu kam, daß die Verwaltungsmaschine zu schwerfällig und unfähig war, die sich überstürzenden Reformen praktisch durchzuführen, so daß vielfach bloß zerstört, aber nichts Neues aufgebaut wurde. Die Gemeinnützigkeit der Reformen kam den Einwohnern daher sehr oft gar nicht zum Bewußtsein; diese sahen nur die Verletzung alter geheiligter Rechte und die Vernichtung liebgewordener Gewohnheiten und Anschauungen. Das österreichische Volk fühlte wohl manchen Druck, hatte aber durchaus nicht ein lebhaftes, unwiderstehliches Gefühl von der Notwendigkeit solcher fast revolutionären Veränderungen. Daher zog sich Joseph den Haß der Geistlichkeit, des Adels, der nichtdeutschen Bevölkerung, besonders Ungarns, zu und entfremdete sich das niedere Volk durch die von ihm versuchte Sittenreform, namentlich durch die Begräbnisordnung vom 20. April 1784, welche das Verscharren der Toten in leinenen Säcken und ihre Bedeckung mit ungelöschtem Kalk befahl, aber eine so erbitterte Stimmung hervorrief, daß sie 1785 zurückgenommen werden mußte. In den Niederlanden (s. Belgien, S. 655) brach sogar eine Revolution aus. Der Widerstand, den Joseph überall fand, war so groß, daß er, durch den unglücklichen Verlauf der äußern Politik und seine schwere Brustkrankheit niedergedrückt, durch die Verkennung seiner wohlwollenden Absichten bitter gekränkt, alle Neuerungen, die Aufhebung der Leibeigenschaft, den Religions- und Studienfonds und das Toleranzpatent ausgenommen, widerrief. Er that dies in der Resolution vom 28. Jan. 1790, in der er die Verwaltungsformen, wie er sie bei seinem Regierungsantritt vorgefunden, wieder als zu Recht bestehend erklärte und durch Herstellung der alten Zustände mit Einem Federstrich die Schöpfungen einer zehnjährigen Herrscherthätigkeit fast vernichtete.

Dieselbe Kühnheit der Entwürfe, aber auch dieselbe Hast, die der Kaiser bei den innern Reformen an den Tag legte, bekundete er auch in seiner auswärtigen Politik. 1785 machte er einen zweiten Versuch, Bayern zu erwerben, diesmal durch Tausch, indem er dem Kurfürsten Karl Theodor den größten Teil der Niederlande als ein Königreich Burgund anbot; der Widerspruch des Herzogs von Zweibrücken und die Gegenvorstellungen Friedrichs II. und auf dessen Veranstaltung auch Rußlands vereitelten jedoch den Plan, und der 1785 von Friedrich II. zur Aufrechthaltung der deutschen Reichsverfassung gestiftete Fürstenbund schnitt weitere ähnliche Versuche ab, machte auch den anderweitigen Bestrebungen Josephs II., die kaiserliche Autorität im Reich zu verstärken, ein Ende. Der Wunsch, den Handel in den Niederlanden durch die Aufhebung des 1714 geschlossenen Barrieretraktats und die Freigebung der Scheldemündungen zu beleben, verwickelte Joseph in Streitigkeiten mit Holland, die 1785 dadurch beigelegt wurden, daß der Kaiser gegen eine Geldentschädigung von 8½ Mill. Gulden seine Absichten aufgab. Im Bund mit Rußland, dessen Zarin Katharina II. Joseph 1780 und 1787 einen Besuch abgestattet hatte, erklärte er 1787 der Türkei den Krieg in der Hoffnung auf große Eroberungen. Zwar siegte Laudon 1788 bei Pubitza, und der Prinz von Koburg eroberte Chotin; aber die Hauptarmee unter Joseph und Lacy wurde mit großem Verlust bis Temesvár zurückgedrängt. 1789 siegte Koburg, mit den Russen verbündet, 31. Juli bei Fokschani und 22. Sept. bei Martinesti, und Laudon eroberte 7. Okt. Belgrad. Aber die Erfolge waren nicht entscheidend, der Krieg sehr kostspielig, dazu Preußens Haltung feindlich. Mitten in diesen Schwierigkeiten starb Joseph II. 20. Febr. 1790. Ihn überlebte der Josephinische Geist, dem es zu danken war, daß Österreich nicht ganz dem starren Ultramontanismus und der geistigen Verödung anheimfiel, sondern von Zeit zu Zeit trotz Hof und Klerus Anläufe zu Reformen machte.

Die Zeit der Revolutionskriege.

Leopold II. (1790-92), Josephs jüngerer Bruder, übernahm die Regierung unter schwierigen Verhältnissen, überwand sie aber durch Klugheit und Mäßigung. Er nahm mehrere verletzende Verordnungen zurück, beseitigte das neue Steuersystem, beruhigte den Klerus, indem er der Kirche die Leitung ihrer innern Angelegenheiten zurückgab, versöhnte die Ungarn, indem er die Verfassung beschwor und sich krönen ließ, und berief die Landtage in den einzelnen Provinzen wieder. Trotzdem blieb von den Josephinischen Reformen so viel bestehen, daß die einheitliche Staatsgewalt gekräftigt wurde. Den Krieg gegen die Türkei beendigte er durch den Frieden von Sistowa (4. Aug. 1791). Von einem Einschreiten