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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Physik

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Physik (in der Gegenwart).

sind nur verschiedene Erscheinungsformen einer und derselben Wesenheit. Indem sich so jenes Prinzip zu einer Lehre von der Einheit und Metamorphose der Naturkräfte entfaltete, gewährte es nicht nur im allgemeinen Einblicke in den Zusammenhang und die Wechselwirkung der verschiedenen Agenzien, sondern bot auch im besondern eine sichere gemeinsame Basis für die theoretische Bearbeitung verschiedener bisher auseinander liegender Kapitel der P. Namentlich auf dem Gebiet der Elektrizitätslehre wurden in dieser Richtung so bedeutende Erfolge erzielt, daß man jetzt schon in gewissem Sinn von einer mechanischen Theorie der Elektrizität sprechen kann (Clausius, Maxwell u. a.).

Auf dem Gebiet der Elektrizität und zwar zunächst der Reibungselektrizität tritt uns vor allem die fast gleichzeitig 1865 von Holtz und von Töpler erfundene "Influenzelektrisiermaschine" (Elektrophormaschine, Elektromaschine) entgegen, welche weit größere Mengen von Elektrizität zu liefern im stande ist als die gewöhnlichen Elektrisiermaschinen. Durch seinen zuerst 1851 konstruierten "Funkeninduktor" gelang es Ruhmkorff, die durch galvanische Ströme induzierte Elektrizität zu solcher Spannung zu steigern, daß ihre Funkenentladungen diejenigen der stärksten Reibelektrisiermaschinen an Kraft übertreffen. Diese Induktionsfunken, durch mit verdünnten Gasen gefüllte Glasröhren geleitet, welche von Geißler 1860 erfunden wurden, erzeugen die prachtvollsten Lichterscheinungen, indem sie die verdünnten Gase zum Glühen und Leuchten bringen. Die Geißlerschen Röhren sind namentlich bei spektralanalytischen Untersuchungen als Gegenstände und Werkzeuge der Forschung sehr wichtig geworden. Außer der Verbesserung der magnetelektrischen ist ferner die Erfindung der dynamoelektrischen Maschinen durch W. Siemens (1866) zu erwähnen, deren Prinzip ein Gegenstück bildet zu demjenigen der Influenzmaschine. Durch sie wurde der großartige Aufschwung, den die technischen Anwendungen der Elektrizität (elektrische Beleuchtung, Kraftübertragung etc.) in unsern Tagen genommen haben, erst möglich gemacht. Allgemeines Aufsehen erregte die Erfindung des Telephons durch Graham Bell (1877), welches als bequemes Kommunikationsmittel raschen Eingang fand, aber auch für feinere physikalische Untersuchungen, besonders für den Nachweis sehr schwacher elektrischer Ströme, ein willkommenes Werkzeug geworden ist. Daran schloß sich die Erfindung des Mikrophons durch Lüdtge (1878) und etwas später durch Hughes und Edison, durch welches in Verbindung mit dem Telephon die geringsten Erschütterungen, indem sie den galvanischen Widerstand an den Berührungspunkten zweier Kohlenstücke ändern, hörbar gemacht werden. Dieses Prinzip ist einerseits zur Vervollkommnung der telephonischen Korrespondenz (Lüdtges Universaltelephon), anderseits zur Konstruktion seiner physikalischer Meßapparate (Edisons Tasimeter) verwertet worden.

In der Akustik vollzog sich infolge der Untersuchungen von Helmholtz ("Die Lehre von den Tonempfindungen", 1862) eine völlige Umwälzung. Helmholtz ergründete das Wesen der "Klangfarbe", indem er nachwies, daß die musikalischen Klänge, welche unser Ohr als Einheiten aufzufassen gewohnt ist, aus einer Reihe einfacher Töne, einem Grundton und den dazu gehörigen Obertönen, zusammengesetzt sind, deren jede durch rein pendelartige Schwingungen hervorgebracht wird. Die Analyse der Klänge wurde noch vervollkommt durch die optischen Untersuchungsmethoden von König (manometrische Flammen, Flammenzeiger, 1864) und Lissajous (Schwingungsfiguren, 1855) und durch die graphische Methode (Phonautograph von Scott und König, 1859). Von besonderm Interesse sind die Aufschlüsse, welche diese Forschungen über die Natur der menschlichen Stimme gegeben haben. Die allgemeinste Aufmerksamkeit wurde aber erregt durch den Phonographen Edisons (1878).

In der Lehre vom Licht bildet die Einführung der Spektralanalyse von Bunsen und Kirchhoff (1860) einen epochemachenden Abschnitt. J. Herschel und Talbot hatten zwar schon in den 20er Jahren die Spektren farbiger Flammen, Wheatstone (1845), Angström, Plücker u. a. das Spektrum des elektrischen Funkens untersucht; aber erst Kirchhoff und Bunsen wiesen 1860 nach, daß die hellen Linien des Spektrums eines glühenden Gases von der chemischen Beschaffenheit desselben bedingt sind, und begründeten damit die Spektralanalyse, welche sofort zur Entdeckung einiger bis dahin unbekannter Metalle (Cäsium, Rubidium, Thallium, Indium, Gallium) führte. In seiner berühmten Abhandlung: "Untersuchungen über das Sonnenspektrum und die Spektren chemischer Elemente" (1861) lehrte Kirchhoff die Spektralanalyse der Sonne und andrer Himmelskörper, eine Methode, welche in ihrer weitern Ausbildung durch Secchi, Huggins, Lockyer, Janssen und Zöllner zu bewundernswerten Resultaten geführt hat; die vorher nie geahnten Thatsachen, welche sich auf diesem Gebiet enthüllen, sind so zahlreich, daß sie in ihrer Gesamtheit einen neuen Wissenszweig, die Astrophysik, konstituieren. In dem Spektroskop besaß man nun auch das geeignete Werkzeug, die Lichtabsorption als Ursache der natürlichen Farben der Körper zu studieren. An stark gefärbten Substanzen (Fuchsin, Cyanin) entdeckten Kundt und Christiansen (1870) die anomale Dispersion; ein Hohlprisma, mit einer Lösung eines solchen Stoffes gefüllt, bricht nämlich die grünen und blauen Strahlen stärker als die roten, ganz entgegen dem Verhalten farblos durchsichtiger Substanzen. Die Phosphoreszenzerscheinungen wurden von Bequerel ^[richtig: Becquerel] (1857) mit Erfolg bearbeitet, die Fluoreszenzerscheinungen von Stokes (1853), welcher mit ihrer Hilfe die durch ihre chemische (photographische) Wirkung bereits bekannten ultravioletten Teile des Spektrums direkt sichtbar machte. Stokes hatte aus den von ihm beobachtete Erscheinungen geschlossen, daß das durch Fluoreszenz ausgestrahlte Licht stets minder brechbar sei als das einfallende Licht. Später wurden aber Substanzen entdeckt, welche sich dieser Regel nicht fügen; es sind dies durchaus Substanzen, welche auch anomale Dispersion und das merkwürdige Phänomen der Oberflächenfarben zeigen. Alle diese Thatsachen stehen außerhalb der bis jetzt noch allgemein angenommenen Cauchyschen Lichttheorie und weisen über dieselbe hinaus. Diese Theorie ist gegenwärtig an dem Ziel ihrer Entwickelung angelangt; indem sie die Lichterscheinungen aus Bewegungen des Äthers allein zu erklären sucht, fehlt ihr von vornherein die Fähigkeit, von Erscheinungen, die offenbar auf Wirkungen der materiellen Körperteilchen beruhen, Rechenschaft zu geben. Eine neue Lichttheorie, welche sich auf die Wechselwirkung zwischen Äther und Körperteilchen gründet, wird die Aufgabe der Zukunft sein.

[Litteratur.]

Müller-Pouillet, Lehrbuch der P. und Meteorologie (9. Aufl., bearbeitet von Pfaundler, Braunschw. 1886 ff., 3 Bde.); Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik (4. Aufl., Leipz. 1882-^[BINDESTRICH!]