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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Reichskanzleramt - Reichsmilitärgesetz.

wenn nicht sogar die Einheitlichkeit der ministeriellen Leitung des Deutschen Reichs und der des preußischen Staats eine Bedingung der Stärke und des Einflusses der Reichsregierung. Rechtlich notwendig ist die derzeitige Vereinigung der Stellung des Reichskanzlers und der des preußischen Ministerpräsidenten in Einer Person keineswegs, wohl aber politisch zweckmäßig, wenn nicht notwendig. Verschiedene Versuche, ein kollegiales Reichsministerium mit verantwortlichen Ressortministern einzurichten, waren erfolglos. Dagegen ist durch Reichsgesetz vom 17. März 1878 bestimmt, daß für den gesamten Umfang der Geschäfte und Obliegenheiten des Reichskanzlers ein Stellvertreter (Reichsvizekanzler) allgemein ernannt werden kann. Auch können für diejenigen einzelnen Amtszweige, welche sich in der eignen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befinden, die Vorstände der dem R. untergeordneten obersten Reichsbehörden mit der Stellvertretung des Kanzlers im ganzen Umfang oder in einzelnen Teilen ihres Geschäftskreises beauftragt werden. Doch ist es dem R. unbenommen, jede Amtshandlung auch während der Dauer einer Stellvertretung selbst vorzunehmen. Übrigens kommt der Titel R. auch in andern Staaten vor (s. Kanzler).

Reichskanzleramt, früher eine dem Reichskanzler unterstellt Zentralbehörde des Deutschen Reichs für die gesamte dem Kanzler obliegende Verwaltung und für die Beaufsichtigung der Gegenstände der Reichsverwaltung und derjenigen Gegenstände, welche verfassungsmäßig dem Kaiser untergeordnet sind. Hervorgegangen war das R. aus dem Bundeskanzleramt des Norddeutschen Bundes, von welchem aber schon zur Zeit des Bundes das "Auswärtige Amt" abgezweigt wurde. Nach und nach wurden dann einzelne Zweige der Reichsverwaltung, namentlich die Reichspost- und Telegraphenverwaltung und die Finanzverwaltung, von dem R. losgelöst, daneben auch neue Reichsämter ins Leben gerufen, und das R. erhielt 24. Dez. 1879 die offizielle Bezeichnung Reichsamt des Innern (s. d.), nachdem sich mit den wachsenden Bedürfnissen der Reichsverwaltung ein komplizierter Behördenapparat ausgebildet hatte (s. Reichsbehörden).

Reichskassenscheine, das auf Grund des Gesetzes vom 30. April 1874 vom Deutschen Reich ausgegebene Papiergeld. Nach diesem Gesetz sollte jeder Bundesstaat das von ihm seither ausgegebene Papiergeld bis 1. Juli 1875 einlösen. Statt desselben wurden 174 Mill. Mk., welche bis 1891 auf 120 Mill. zu ermäßigen sind, in Reichskassenscheinen und zwar in Stücken von 5, 20 und 50 Mk. ausgegeben. Diese Scheine werden bei allen Kassen des Reichs und sämtlicher Bundesstaaten nach ihrem Nennwert in Zahlung angenommen und von der Reichshauptkasse für Rechnung des Reichs jederzeit auf Erfordern gegen bares Geld eingelöst. Im Privatverkehr findet ein Zwang zu ihrer Annahme nicht statt. Von den Bundesstaaten darf auch ferner nur auf Grund eines Reichsgesetzes Papiergeld ausgegeben oder dessen Ausgabe gestattet werden.

Reichskleinodien (Reichsinsignien), die im ehemaligen Deutschen Reich bei der Krönung der deutschen Kaiser und Könige gebrauchten Kleinodien: die goldene Krone, das vergoldete Zepter, der goldene Reichsapfel, das Schwert Karls d. Gr., das des heil. Moritz, die vergoldeten Sporen, die Dalmatika und andre Kleidungsstücke, seit 1797 in Wien befindlich. Vgl. Bock; Die Kleinodien des heiligen römischen Reichs (Wien 1864, Prachtwerk).

Reichskollegien, im frühern Deutschen Reich die Abteilungen, in welche die Reichsstände auf dem Reichstag (s. d.) zerfielen.

Reichskommissare bei den Seeämtern, s. Seeamt.

Reichskommissar für das Auswanderungswesen, s. Textbeilage Reichsbehörden II, 1).

Reichskommission schlechthin wird die Kommission genannt, welche für die Entscheidung über Beschwerden gegen Verbote, die auf Grund des Sozialistengesetzes erlassen werden, niedergesetzt ist (s. Textbeilage Reichsbehörden II, 15).

Reichskriegsschatz, ein im Deutschen Reich für den Fall eines Kriegs und zwar lediglich für Zwecke der Mobilmachung bereit gehaltener Barbestand. Derselbe verdankt seine Entstehung der Übertragung der seit Friedrich Wilhelm I. bestehenden und bewährten Einrichtung eines preußischen Staatsschatzes auf das Reich, indem hierzu nach Auflösung jenes preußischen Staatsschatzes 120 Mill. Mk. aus der französischen Kriegsentschädigung durch Reichsgesetz bestimmt wurden (Reichsgesetz vom 11. Nov. 1871). Über den R., welcher im Juliusturm der Spandauer Citadelle niedergelegt ist, kann nur mittels kaiserlicher Anordnung unter vorgängig oder nachträglich einzuholender Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags verfügt werden. Der R. wird von dem Reichskanzler unter Kontrolle der Reichsschuldenkommission durch die dazu bestellte Rendantur und den Kurator des Reichskriegsschatzes verwaltet.

Reichskronämter, s. Erbämter.

Reichslande, alles zum ehemaligen Deutschen Reiche gehörige Gebiet, wozu außer den eigentlichen deutschen Ländern auch Böhmen, Mähren und Schlesien gehörten. In neuester Zeit erhielten die im Krieg von 1870/71 für Deutschland wiedergewonnenen Gebiete von Elsaß und Deutsch-Lothringen den Namen "deutsches Reichsland".

Reichsmarschall, s. Erzämter.

Reichsmatrikel, s. Matrikel.

Reichsmilitärgesetz, Reichsgesetz vom 2. Mai 1874, welches in Ausführung des Art. 61 der deutschen Reichsverfassung die Friedenspräsenzstärke der Armee an Unteroffizieren und Mannschaften auf sieben Jahre (Septennat) feststellte und über die Organisation und Ergänzung des Heers, über das aktive Heer, die Entlassung aus demselben, den Beurlaubtenstand und die Ersatzreserve die nötigen Bestimmungen enthält. Auf Grund von § 71 dieses Gesetzes wurde 28. Sept. 1875 vom Kaiser die Heer- und die Wehrordnung erlassen (s. Deutschland, S. 844). Ergänzt wurde das R. durch das Gesetz über den Landsturm vom 12. Febr. 1875 und das Reichsgesetz vom 15. Febr. 1875 über die Ausübung der militärischen Kontrolle über die Personen des Beurlaubtenstandes, die Übungen derselben sowie die gegen sie zulässigen Disziplinarstrafmittel. Modifiziert wurde das R. durch die Nachtragsgesetze vom 6. Mai 1880 und 11. März 1887, welche zugleich die Friedenspräsenzstärke jeweilig auf weitere sieben Jahre (1. April 1881 bis 31. März 1888, 1. April 1887 bis 31. März 1894) festsetzten und zwar durch das letztgedachte Gesetz auf 468,409 Mann ohne Anrechnung der Einjährig-Freiwilligen. Die Infanterie ist hiernach vom 1. April 1887 ab in 534 Bataillone, die Kavallerie in 465 Eskadrons, die Feldartillerie in 364 Batterien, die Fußartillerie in 31, die Pioniere sind in 19 und der Train in 18 Bataillone formiert worden. Zu diesem Gesetz kam dann noch das Reichsgesetz vom 11. Febr. 1888 betreffend Änderungen der Wehrpflicht, hinzu, welches die Landwehr und unter Aufhebung des Gesetzes