Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Rom

914

Rom (Geschichte der Stadt bis zur Gegenwart).

wurde oberflächlich und geziert. Die Herrschaft der wiederhergestellt. Hierarchie lastete auf R. mit einem alles ertötenden Druck. Sixtus V. (1585-1590) suchte zwar seine absolute Gewalt zur materiellen Hebung Roms zu benutzen: er stellte Sicherheit und geordnete Rechtszustände her und entwickelte eine erstaunliche Bauthätigkeit (Acqua Felice, spanische Treppe, vatikanische Bibliothek, Vollendung der Peterskuppel, Quirinal). Gegen die antiken Monumente verfuhr er aber mit rohem Fanatismus. Unter seinen Nachfolgern verewigten sich noch große Künstler in R. durch herrliche Werke, wie Carracci (Fresken im Palast Farnese), Caravaggio, G. Reni, Domenichino, Guercino, Maderna, Bernini u. a.; doch zeigte sich auch bei ihnen schon die Entartung der Kunst. Immerhin blieb R. durch seine Tradition, seine Kunstschätze der Mittelpunkt der bildenden Künste und der Sammelplatz der hervorragendsten Künstler aller Länder. Zugleich aber erlosch im römischen Volk selbst durch den Druck des päpstlichen Despotismus alles freiere, höhere geistige Leben. Alles Vermögen sammelte sich durch die Gunst der Päpste in den Händen einzelner großer Familien oder im Besitz der Toten Hand. Die Großen, die Farnese, Aldobrandini, Borghese, Barberini, Ludovisi, Pamfili, wohnten in herrlichen Palästen und Villen und entwickelten einen schwerfälligen, prunkvollen Luxus. Das Volk versank in dumpfe Trägheit und lebte von den Almosen der Reichen oder der immer zahlreichern Klöster. Die Einwohnerzahl betrug 1656 allerdings schon 120,000 Seelen. Einige Bewegung in das öffentliche Leben der Stadt brachten nur die Fremden, welche besonders im 18. Jahrh. zahlreich nach R. wallfahrten. Unter Clemens XI. (1700-21) begannen die ersten Ausgrabungen auf dem Palatin. Clemens XII. (1730-40) und Benedikt XIV. (1740-58) begannen wieder R. mit Bauten zu schmücken, letzterer vermehrte namentlich die Kunstsammlungen; Clemens XIV. errichtete auf deutsche Anregung (Winckelmanns, welcher 1755-67 in R. war) das Museo Pio Clementino. Im Februar 1798 ward R. von den Franzosen besetzt, nachdem Vatikan und Kapitol infolge des Vertrags von Tolentino der herrlichsten Kunstschätze, die nach Paris geschafft wurden, beraubt worden waren, im September 1799 vor den Neapolitanern geräumt, worauf der Papst (Pius VII.) wieder in R. einzog; aber 1808 rückten Franzosen von neuem in R. ein. Die Stadt wurde mit dem französischen Kaiserreich vereinigt und zur zweiten Hauptstadt desselben und zu deren König 1811 Napoleons I. Sohn erhoben; französische Gesetze wurden eingeführt, die Bettelei abgeschafft und viele Übelstände beseitigt; auch für Ausgrabungen und Sammlungen geschah viel.

Nach der Rückkehr Pius' VII. (2. Mai 1814) wurden zwar die alten politischen Zustände wiederhergestellt, aber die Kunst gepflegt. R., das damals 165,000 Einw. zählte, sollte ein prächtiger Herrschersitz des Statthalters Christi auf Erden sein, aber dieser Ehre jeden Anspruch auf Selbständigkeit, freie Entwickelung, politische Rechte opfern. Der eiserne Druck der Reaktion unter Gregor XVI. hielt das Volk im Zaum und verhinderte den Ausbruch jeder Bewegung in R. selbst (vgl. Kirchenstaat, S. 775 ff.). Die Reformthätigkeit Pius' IX. 1847 entfesselte aber den Freiheitsdrang der Römer, welche eine neue Munizipalverfassung erhielten. Nach Rossis Ermordung im November 1848 kam es zu offener Revolution, welche die Errichtung einer Republik und den Anschluß an das geeinte Italien zum Ziel hatte. Nach der Flucht des Papstes wurde 6. Febr. 1849 wirklich die römische Republik proklamiert, aber 3. Juli d. J. nach der Eroberung der Stadt durch die Franzosen gestürzt. Am 12. Juli ward der päpstliche Despotismus wiederhergestellt, und 4. April 1850 zog Pius IX. wieder in R. ein. Zahlreiche Römer wurden verhaftet und zu schweren Kerkerstrafen verurteilt, viele retteten sich in das Ausland; mit der neuerrichteten eignen Armee und der französischen Hilfe hielt die päpstliche Regierung R. in drückender Knechtschaft. Als Italien 1859 wieder zu nationalem Leben erwacht und die Einigung begonnen war, erkor man R. sofort zur Hauptstadt des Reichs, ohne jedoch von ihr Besitz nehmen zu können, da die päpstliche Herrschaft durch die Franzosen geschützt war. Als diese R. im Dezember 1866 infolge der Septemberkonvention räumten, machte Garibaldi im Oktober 1867 einen Versuch, durch einen Freischarenzug R. zu befreien. Die Einwohnerschaft erwartete in fieberhafter Erregung seine Ankunft, um sich zu erheben; aber Garibaldi drang zu langsam vor, französische Truppen landeten wieder in Civitavecchia, und als Garibaldi, nur einen Tagemarsch von R. entfernt, nun umkehrte, ward seine Schar 3. Nov. bei Mentana ereilt und vernichtet. Aber 20. Sept. 1870 zogen, nachdem die Franzosen den Kirchenstaat verlassen, die Italiener unter General Cadorna in R. ein, nachdem die päpstlichen Truppen, um die Gewalt zu konstatieren, kurzen Widerstand geleistet und die Italiener an der Porta Pia Bresche geschossen hatten. Am 31. Dez. besuchte Viktor Emanuel zum erstenmal die Stadt, welche 26. Jan. 1871 offiziell zur Hauptstadt Italiens erklärt wurde. Der König, der seine Residenz im Quirinal aufschlug, die Ministerien u. die Kammern verlegten ihren Sitz nach R., wo zahlreiche Klöster expropriiert wurden, um Raum für die Behörden zu schaffen. Die freisinnigen Gesetze Italiens wurden in R. eingeführt, und so begann auch für R. die moderne Zeit. Der Übergang war freilich auch mit mancherlei Unbequemlichkeiten und Härten verknüpft. Die äußere Physiognomie der Stadt wurde ebenfalls eine andre. Die Regierung Pius' IX. hatte außer zahlreichen Kirchenrestaurationen auch die antiken Monumente nicht vernachlässigt; die Ausgrabungen der Katakomben auf dem Palatin, an der Via Appia waren eifrig gefördert worden; auch den Anforderungen der Neuzeit hatte man mit Telegraphen, Eisenbahnen, Gasfabriken u. dgl. entgegenkommen müssen. Aber erst der italienische Staat ließ die Ausgrabungen auf dem Palatin und auf dem Forum Romanum mit größern Mitteln und systematisch betreiben und errang große Erfolge. Zugleich wurde die Erweiterung der Stadt planmäßig angeordnet; ganze Viertel, besonders am Bahnhof, erhoben sich mit neuen Gebäuden. Da die neuen Gesetze die Majorate und Fideikommisse der alten Adelsfamilien aufhoben, mußten allerdings bei Erbteilungen manche alte Paläste mit ihren Gärten verkauft werden und fielen der Bauspekulation zum Opfer, so daß prächtige Teile des R. der Renaissance durch langweilige Straßen ersetzt wurden. Auch die Tiberregulierung beseitigte malerische Stadtteile, so daß sich mißbilligende Stimmen über diese neue "Zerstörung Roms" erhoben. Eine Befestigung durch Forts, die im weiten Umkreis um die Stadt liegen, soll R. vor einem feindlichen Handstreich von der See aus schützen und die Kultivierung der Campagna R. mit einer fruchtbaren Landschaft, statt mit einer Einöde, umgeben.

Vgl. Kleinpaul, R. in Wort u. Bild (Leipz. 1883, 2 Bde.); W. Müller, R., Römer u. Römerinnen (Berl.