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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schaf

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Schaf (europäische Rassen des Hausschafs).

und großen ungehörnten Rassen vor. Zu den erstern gehören die in Island, Skandinavien, auf den Färöern vorkommenden nordischen Schafe, vor allen aber die in der Lüneburger und Bremer Heide sowie im Süden Oldenburgs und Ostfrieslands heimischen Heidschnucken (s. Tafel), die genügsamsten, aber kleinsten aller Schafrassen. Ihre Höhe beträgt etwa 0,55 m. Kopf, Beine und der größte Teil des Schwanzes haben kurzes, straffes Haar, der übrige Körper einen langen, zottigen Pelz. Die Farbe ist schwarz, braun oder grau. Trotz des geringen Wertes der Wolle sind die harten, ausdauernden Tiere für die Bewohner jener Moor- und Sandflächen von großem Nutzen. Zu den ungehörnten kurzschwänzigen Schafen gehören das Vagasschaf der Elbinger Niederung, das holländische Marschschaf (Texel- und flandrisches S.), das friesische, Eiderstedter und Dithmarscher S. Diese Schafe tragen eine schlichte, sanfte Wolle von etwa 20-22 cm Länge bei einmaliger Schur und liefern ein Schurgewicht von 2½-3 kg; sie sind nicht frühreif, erreichen aber eine Größe von über 75 cm, sind sehr mastfähig und werden zum Teil auch gemolken.

2) Das Zackelschaf (O. strepsiceros) hat einen bewollten, dürren, bis über das Sprunggelenk reichenden Schwanz; das Vlies besteht überwiegend aus recht grobem Grannenhaar, das mit einem nicht viel feinern Wollhaar durchsetzt ist; ersteres erreicht eine Länge von 0,24 m, letzteres von 0,12 m. Beide Geschlechter sind gehörnt, die Hörner drehen sich in schraubenartigen Windungen um ihre eigne Längsachse. Die männlichen Tiere überragen die weiblichen bedeutend an Größe. Außer der Wolle (1,8-3 kg pro Jahr und Stück) liefern sie Milch und Fleisch. Sie sind über Ungarn, Siebenbürgen, Moldau und Südrußland verbreitet.

3) Das Hängeohrschaf (O. catotis), in Oberitalien, Steiermark und Kärnten, hat lange, herabhängende Ohren. Der Hauptrepräsentant ist das Bergamasker S. in Bergamo, Como und der Lombardei, ein ramsköpfiges, langhalsiges, 0,80 m hohes, 60-70 kg schweres Tier. Gesicht, Ohren und Beine bis über Knie und Ferse tragen glatt anliegende, straffe, kurze Haare, der übrige Körper Mischwolle aus grobem, bis 22 cm langem Grannenhaar und etwas feinerm, bis 12 cm langem Wollhaar. Die Farbe ist weiß gelblich, das Schurgewicht beträgt 3-4 kg. Die Fruchtbarkeit ist groß, die Milch wird zu Käse verarbeitet. Die andern Hängeohrschafe (das Paduaner, steirische und Seeländer) sind kleiner und stammen vielleicht von dem Bergamasker ab.

4) Das Landschaf (O. Aries), im mittlern und westlichen Europa, scheidet sich nach dem Charakter des Vlieses in zwei Gruppen: a) in Landschafe mit Mischwolle aus markhaltigen Grannenhaaren und markfreien, eigentlichen Wollhaaren; b) in Landschafe mit markfreien, in der Haut büschelförmig verteilten Wollhaaren. - Die Landschafe mit Mischwolle unterscheidet man in langwollige (Wolllänge 16-32 cm) und kurzwollige (8-16 cm). Zu den erstern gehören das Tzurkânschaf und das Tzigaiaschaf, beide in Siebenbürgen, das italienische oder sardinische S., das französische Bergschaf, in den Pyrenäen, Cevennen und Ardennen, und das Schweizer Bergschaf mit den Schlägen Wallisschaf, Frutigenschaf und schwarzes Schweizer S. Alle diese Tiere sind genügsam, nutzen die schwer zugänglichen Bergabhänge aus und besitzen einen kräftigen, muskulösen Körperbau mit wenig Anlage zur Fettbildung. Außerdem sind hierher einige englische Schafe zu rechnen, die aber weiterhin im Zusammenhang geschildert werden sollen. Zu den kurzwolligen Landschafen der Ebene gehören das bayrische Zaupelschaf, das pommersche oder polnische, das hannöversche und das französische Landschaf. Die Schafe sind aber durch Einführung von Merinos wie auch englischen Fleischschafen und durch Kreuzung mit diesen immer mehr verdrängt und finden sich nur noch in sehr vereinzelten Landstrichen rein.

Die zweite, zu O. Aries gehörige Gruppe bilden die Landschafe mit eigentlicher Wolle. Von diesen unterscheidet man Schafe mit schlichtem oder höchstens etwas gewelltem und solche mit gekräuseltem Wollhaar. Repräsentant der erstern ist (abgesehen von englischen) das deutsche schlichtwollige S., welches als Rhönschaf, rheinisches, hessisches oder lippesches S. in der Gegend nördlich vom Hauptkamm des deutschen Mittelgebirges verbreitet ist. Die niemals gekräuselte Wolle ist bündelweise, mehr oder weniger dicht in der Haut angeordnet, erreicht im Jahreswuchs eine Länge von 16 cm und eignet sich zur Fabrikation walkbarer Stoffe, namentlich aber zur Herstellung glatter, nicht feiner Zeuge. Schurgewicht bei guter Wäsche 1-2,50 kg. Stirn, Gesicht, Ohren und Unterbeine tragen kurzes, glatt anliegendes Haar. Die Farbe ist weiß, nur Kopf und Ohren sind meist schwarz. Beide Geschlechter sind ungehörnt; der Schwanz ist lang, der Körper kräftig, 65-70 cm hoch; das Gewicht ausgewachsener Tiere beträgt 45 bis 50 kg.

Das Prototyp des Schafes mit gekräuselter Wolle ist das edle, kurzwollige spanische Landschaf, das Merino (Ovejas merinos oder transhumantes, wandernde Schafe, s. Tafel), ein Tier von gedrungenem Körperbau und Mittelgröße; die Böcke tragen meist große, dem Kopf anliegende, spiralig gewundene Hörner, die Muttertiere sind gehörnt oder ungehörnt. Die Überführung des Merino nach den verschiedensten Ländern und Weltteilen ist ein Akt von kulturhistorischer Bedeutung geworden. Nach Neitzschütz sind die ersten Merinos schon 1723, nach Lasteyrie 1743 nach Schweden eingeführt worden; nach Sachsen kam der erste Transport Schafe aus Spanien 1765, nach Österreich 1775, nach Frankreich (abgesehen von frühern, bedeutungslosen Importen) 1776. Von hier aus verbreiteten sie sich über andre Länder, die weiterhin auch direkt Originaltiere bezogen haben. Die eingeführten Tiere sind entweder rein in sich fortgezüchtet oder mit einheimischen Landschafen gekreuzt worden. Zucht-, klimatische und Ernährungsverhältnisse haben verschiedene Zuchtrichtungen geschaffen. Man kann nach dem Charakter der Wolle drei Schläge der Merinos unterscheiden:

1) Das Elektoral- (früher Escorial-) S. (s. Tafel) mit sehr feiner Wolle, nicht sehr reichlichem, leichtflüssigem Fettschweiß, leichtem, dünnknochigem Körper, langem Hals und flacher Brust; Schurgewicht 0,7-1,2 kg, Körpergewicht der Mutterschafe etwa 25-30 kg.

2) Das Negretti- (früher Infantado-) S. mit weniger feiner Wolle (s. Tafel), reichlichem, mitunter schwerflüssigem Fettschweiß, kurzem, breitem Kopf, gedrungenem Hals und im ganzen kräftigerm Körper; Hals und Hinterteil zeigen zahlreiche Hautfalten; Kopf und Beine sind gut bewachsen, die Hörner der Böcke stark. Schurgewicht bei den Mutterschafen 1-2,5 kg, Körpergewicht derselben 30-40 kg.

3) Das Kammwollschaf und zwar a) das französische oder Rambouilletschaf mit noch weniger feiner, aber ziemlich (über 6 cm) langer Wolle und von bedeutender Körpergröße; Kopf und Beine sind ebenfalls gut bewachsen. Schurgewicht der Mutterschafe über 2 kg, Körpergewicht derselben 40-56 kg.