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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schiller

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Schiller (1787-1791).

den dortigen Gelehrten bekannt. Am intimsten verkehrte er mit Charlotte v. Kalb, der sein erster Besuch in Weimar zu teil wurde. Das Verhältnis beider scheint ein völlig vertrautes gewesen zu sein; sie dachten an Auflösung der Ehe Charlottens und demnächstige engere Verbindung miteinander. Doch zerschlug sich der Plan; es trat zeitweilige Spannung und Verstimmung zwischen beiden ein, die erst später wieder dauernder Freundschaft Platz machte. Ende November 1787 führte ein Ausflug nach Bauerbach S. einmal wieder mit der mütterlichen Freundin v. Wolzogen zusammen, mit deren Sohn er auf der Rückreise zu Rudolstadt bei der Witwe des Oberjägermeisters v. Lengefeld einkehrte, die er nebst ihren geistvollen und liebenswürdigen Töchtern Karoline und Lotte bereits 1784 in Mannheim flüchtig gesprochen hatte. Der Aufenthalt bei diesen ausgezeichneten Menschen that dem Dichter ungemein wohl; es wurde ihm schwer, sich von ihnen zu trennen. In Weimar, wohin Lotte v. Lengefeld im Februar 1788 für einige Zeit kam, nahm der Verkehr seinen Fortgang, und S. faßte wohl schon zu dieser Zeit eine warme Neigung für seine "junge Freundin". Im Mai siedelte er in das nahe bei Rudolstadt gelegene Dorf Volkstedt über, wo ihm die befreundeten Schwestern, mit denen er nun in täglichen anregendsten Umgang kam, eine idyllisch bescheidene Wohnung gemietet hatten. Inzwischen hatte S. den ersten Teil seiner "Geschichte des Abfalls der Niederlande" auszuarbeiten begonnen. Es zog ihn trotz Körners Abmahnungen gewaltig zur Geschichte, obschon er ganz gut wußte, daß er ein Gelehrter im Sinn der Akademiepedanten nicht sein und nicht werden könne. Daneben aber regte sich kräftig die poetische Ader. Im März 1788 waren "Die Götter Griechenlands" entstanden, jene berühmte Klage um die heimgegangene "Religion der Schönheit", deren elegische Wahrheit die bornierte Polemik F. Leop. v. Stolbergs nicht aufzuheben vermochte. Die Fortführung der "Thalia", die Mitarbeiterschaft für Wielands "Merkur" hatten die weimarische Zeit thätig ausgefüllt; in Volkstedt wurden die "Briefe über Don Karlos", diese unvergleichlichste aller Selbstkritiken, geschrieben und dazwischen durch die Lektüre Homers und die Übertragung einiger Euripideischer Stücke von dem Dichter der Versuch gemacht, das Griechentum sich trotz mangelnder Sprachkenntnis näher zu bringen. Am 9. Sept. 1788 traf S. im Lengefeldschen Haus zu Rudolstadt zum erstenmal mit Goethe persönlich zusammen, ohne daß jedoch diese Berührung eine Annäherung bewirkte, da besonders S. sich von dem Wesen des in sicherer Ruhe des äußern und innern Lebens sich bewegenden Olympiers wenig angezogen fühlte. Im November kehrte S. nach Weimar zurück; Wieland hatte ihn im Interesse des "Merkur", der "in Todesnöten lag", zu Hilfe gerufen. Das Herz des Dichters freilich blieb in Rudolstadt haften, merkwürdigerweise an einem Doppelanker gehalten; denn um jene Zeit und noch eine Weile später schwankte seine Neigung zwischen den Schwestern Karoline v. Beulwitz (die in ihrer Ehe nicht glücklich war) und Lotte v. Lengefeld. Noch vor Ende des Jahrs bot sich für S. eine amtliche Existenz dar. Am 15. Dez. erhielt er durch Goethe ein Regierungsreskript, worin ihm an die Hand gegeben war, sich für eine Professur der Geschichte in Jena einzurichten. Seine "Geschichte des Abfalls der Niederlande" hatte diese Berufung bewirkt. S. fühlte sich überrascht und gestand, als die Sache Ernst wurde, gegen Körner, er habe sich "übertölpeln" lassen. Eine gesicherte Lebensstellung gewährte das angebotene Amt nicht, denn es war mit keinem festen Gehalt verbunden. S. gab ungern seine Freiheit auf und sah sich genötigt, Arbeiten zu betreiben, die ihn von seinem wichtigsten Beruf abzogen. Gleichwohl schlug er das Anerbieten nicht aus. Der Winter verging unter fleißigem Briefwechsel mit den Freundinnen in Rudolstadt und mit Körner, unter Vorbereitungen zur Professur und Arbeiten für den "Merkur" und die "Thalia". In jenem erschien im März 1789 das Gedicht "Die Künstler". Als Grundidee bezeichnete S. selbst "die Verhüllung der Wahrheit und Sittlichkeit in die Schönheit". Das Schöne erscheint dort als das Symbol des Wahren und Guten; das Endziel aller Entwickelung des Menschen sieht der Dichter in dessen Erziehung zu freier Sittlichkeit, ein ästhetisches Dogma, welches offenbar noch in der Zweckmäßigkeitstheorie verharrt und erst später bei S. einer freiern Auffassung der Kunst gewichen ist. Um jene Zeit beschäftigte den Dichter der Gedanke, Friedrich d. Gr. zum Helden eines Epos zu wählen; der Plan blieb jedoch unausgeführt. Im Mai trat S. sein Lehramt an. Seine Antrittsvorlesung über "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte" fand den größten Beifall und setzte die Universität in förmliche Aufregung. Dem ersten Triumph schlossen sich jedoch bald unangenehme Erfahrungen über das kleinliche Getreibe deutschen Professorentums an. Einen Trost fand S. im Briefverkehr mit Rudolstadt, wohin ihn auch flüchtige Besuche wiederholt führten. Im Juli 1789 gestaltete sich das Verhältnis zu Lotte v. Lengefeld zum völligen Herzensbund, dem die um Weihnachten erbetene Einwilligung der Mutter freudig erteilt wurde. Im nächsten Januar verwilligte Herzog Karl August dem Dichter einen Jahrgehalt von 200 Thlr., und 22. Febr. 1790 gab der Pfarrer von Wenigenjena in seiner Dorfkirche das Paar in aller Stille zusammen. Es war ein beglückender Bund, der dort geschlossen wurde. Freilich der Überfluß wohnte nicht in der Häuslichkeit des Jenenser Professors, und die Brotarbeit nahm diesem viele unersetzlich kostbare Stunden weg. Seit 1790 gab S. eine "Sammlung historischer Memoiren" heraus, und für Göschens "Historischen Damenkalender" bearbeitete er die "Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs". Neben seinen historischen Kollegien las er im Sommer ein Publicum über die Tragödie, für welches er sich durch gründliche Lektüre der "Poetik" des Aristoteles vorbereitet hatte. Aus diesen Arbeiten erwuchsen die später veröffentlichten Aufsätze: "Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen", "Über Anmut und Würde", "Über pathetische Darstellung" u. a. In das durch angenehmen geselligen Verkehr heiter und anregend, durch die liebreiche Pflege seitens seiner Gattin traulich und behaglich gewordene Leben des Dichters kehrte seit Anfang 1791 als schlimmer Gast häufig und regelmäßig Krankheit ein. Während S. mit seiner Frau im Januar bei dem Koadjutor von Dalberg in Erfurt weilte, befiel ihn ein heftiges Katarrhalfieber; nach scheinbarer Genesung stellte sich in Jena ein Rückfall ein, von dem S. sich erst gegen Ende Februar erholte. Seitdem gebot die Schwäche seiner Brust dem Dichter, seine akademische Thätigkeit auf Privatissima zu beschränken. In Rudolstadt, wohin er mit Lotte in den Osterferien zu Besuch gereist war, brachte ihn ein abermaliger Rückfall dem Tod nahe. In dieser Zeit der Trübsal gewährte das Studium der Kantschen Philosophie, in welche der Dichter damals tiefer einzudringen unablässig bemüht war, Trost und Erhebung. Leibliche Kräftigung suchte er mit leidlichem Erfolg im Juni