Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schleswig-Holstein

529

Schleswig-Holstein (Geschichte seit 1864).

Thlr. von der dänischen Staatsschuld wurden S. aufgebürdet.

Die Vereinigung mit Preußen.

So war die Losreißung der Herzogtümer von Dänemark erreicht. Nun entstand aber die Frage, was mit ihnen geschehen sollte. Die deutsche Bevölkerung in S., welche den kriegerischen Ereignissen mit geteilten Gefühlen der Freude über die Niederlagen der Dänen und des Mißtrauens gegen die Absichten der Großmächte zugeschaut hatte, wünschte nicht nur die Herrschaft des Augustenburgers, sondern betrachtete sie als selbstverständlich. Die deutschen Regierungen und das deutsche Volk sahen sie auch als die beste und die gerechteste Lösung an. Preußen, mit dem Österreich vorläufig noch Hand in Hand ging, war aber nicht geneigt, die mit seinem Blut eroberten Herzogtümer ohne weiteres auszuliefern, damit sie ein Mittelstaat wie Hannover würden und wie dieses den militärischen wie den kommerziellen Interessen Preußens alle möglichen Hindernisse in den Weg legten. Zunächst setzte es sich in den völligen Besitz von S., indem es 29. Nov. 1864 Hannover und Sachsen aufforderte, ihre Truppen aus Holstein zurückzuziehen, was Hannover sofort, Sachsen erst auf einen dem Bund abgenötigten Befehl that; 7. Dez. übergaben die Bundeskommissare den österreichisch-preußischen Zivilkommissaren Holstein und Lauenburg. Sodann wurde das ausschließliche Erbrecht des Erbprinzen von Augustenburg angezweifelt, obwohl die juristischen Fakultäten von 16 Universitäten es anerkannten, und der Großherzog von Oldenburg, dem der Kaiser von Rußland seine Ansprüche abgetreten, und der Prinz Friedrich von Hessen wurden veranlaßt, als Prätendenten aufzutreten; ja, für das Haus Hohenzollern selbst wurden Ansprüche erhoben. Ein Gutachten der preußischen Kronsyndici erklärte endlich 1865 die Ansprüche des Erbprinzen Friedrich als beseitigt durch den Verzicht seines Vaters und die deutschen Großmächte als die Rechtsnachfolger Dänemarks in S. und also die rechtmäßigen Besitzer. Dennoch würde Bismarck den Herzog Friedrich anerkannt haben, wenn derselbe die preußischen Forderungen (22. Febr. 1865) angenommen hätte: nämlich seine Armee und Marine mit der preußischen zu vereinigen, Sonderburg, Rendsburg und Friedrichsort von preußischen Truppen besetzen zu lassen, das für einen Nordostseekanal erforderliche Gebiet abzutreten, sich dem Zollverein anzuschließen und Post und Telegraphenwesen an Preußen abzugeben. Auch Österreich lehnte diese Bedingungen 5. März ab und nahm seit dem Rücktritt Rechbergs, den Mensdorff ersetzte, überhaupt eine andre Stellung in der schleswig-holsteinischen Frage ein. Der Plan, die Februarbedingungen einer Landesversammlung vorzulegen, von dem Bismarck Erfolg hoffte, da aus S. selbst Kundgebungen zu gunsten Preußens erfolgt waren, scheiterte daran, daß Österreich und Preußen sich über den Wahlmodus nicht einigen konnten.

Noch einmal kam es zwischen Österreich und Preußen zu einer Verständigung durch die Gasteiner Konvention vom 14. Aug. 1865, nach welcher der Besitz der Herzogtümer beiden Mächten gemeinsam bleiben, die Verwaltung von Holstein aber Österreich, die von Schleswig Preußen zustehen solle, das außerdem den Kieler Hafen, die Mitbesetzung von Rendsburg und die Oberaufsicht über den zu erbauenden Nordostseekanal erhielt; Lauenburg wurde gegen 2½ Mill. dänische Thlr. von Österreich an den König von Preußen abgetreten. Während Manteuffel in Schleswig ein strenges Regiment führte und allen augustenburgischen Demonstrationen scharf entgegentrat, ließ Gablenz in Holstein Proteste von Vereinen und Versammlungen gegen die Gasteiner Konvention zu, duldete die Nebenregierung des Erbprinzen Friedrich in Kiel und verhinderte es nicht, daß die Forderung laut wurde, daß eine schleswig-holsteinische Ständeversammlung einberufen werde. Die Klagen der preußischen Regierung hierüber ließ Österreich unbeachtet, und, zum Entscheidungskampf mit Preußen entschlossen, gab es seine bisherige Politik auf und entschied sich für den Augustenburger, indem es 26. April 1866 dem preußischen Kabinett den Vorschlag machte, ihre Rechte auf S. demjenigen Prätendenten abzutreten, den der Bund als den berechtigtsten anerkenne. Als Preußen hierauf nicht einging, übertrug Österreich die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Frage 1. Juni dem Deutschen Bund und berief die holsteinischen Stände für den 11. Juni nach Itzehoe. Dies erklärte Preußen für einen Bruch der Gasteiner Konvention und ließ seine Truppen von Schleswig in Holstein einmarschieren, womit der Krieg zwischen Österreich und Preußen ausbrach (s. Preußisch-deutscher Krieg). In dem denselben beendenden Prager Frieden vom 23. Aug. 1866 trat Österreich S. an Preußen ab, doch mit der von Napoleon III. durchgesetzten Einschränkung (Art. 5), daß, wenn die Bevölkerung von Nordschleswig den Wunsch, mit Dänemark vereinigt zu werden, durch ein freies Votum ausdrücke, Nordschleswig an Dänemark abgetreten werden solle. Durch Vertrag vom 27. Sept. 1866 erwarb Preußen die Ansprüche des Hauses S.-Gottorp vom Großherzog von Oldenburg durch die Zahlung von 1 Mill. Thlr. und die Abtretung von Ahrensböck. Auf Grund des Gesetzes vom 24. Dez. 1866 und des königlichen Patents vom 12. Jan. 1867 ward die Einverleibung Schleswig-Holsteins in Preußen 24. Jan. 1867 vollzogen. Die preußische Verfassung trat 1. Okt. 1867 in Kraft, die im Wiener Frieden auf S. gefallenen Kriegskosten und Staatsschulden übernahm Preußen. S. bildete fortan eine Provinz des preußischen Staats, mit der am 1. Juli 1876 auch Lauenburg als ein Kreis derselben vereinigt wurde. Der Artikel 5 des Prager Friedens wurde, nachdem fruchtlose Verhandlungen mit Frankreich und Dänemark über die Ausführung desselben gepflogen worden waren, im Oktober 1878 im Einverständnis mit Österreich aufgehoben.

Die Vereinigung mit Preußen als Schlußergebnis der fast 20jährigen stürmischen Ereignisse wurde in S. zumeist nicht mit Freude begrüßt, da nicht bloß die deutsche Nationalität, sondern auch die politische Selbständigkeit der Herzogtümer das Ziel ihrer Patrioten gewesen war. Die Beseitigung des Erbprinzen von Augustenburg wurde als eine Rechtsverletzung angesehen. Überdies fügte sich die Eigenart der Schleswig-Holsteiner schwer in die ungewohnten Einrichtungen und Formen des preußischen Staats und seines Beamtentums. Auch hier wirkten die großen Ereignisse von 1870/71 versöhnend. Nach der Herstellung geordneter, gesicherter Verhältnisse nahmen Handel und Industrie in S. einen großen Aufschwung; namentlich Altona und Kiel, der bedeutendste Kriegshafen des Deutschen Reichs, wuchsen mächtig heran. Die Schleswig-Holsteiner lernten den Vorzug würdigen, der darin besteht, einem mächtigen nationalen Staatswesen anzugehören, das sie vor jeder Wiederkehr der Fremdherrschaft schützte. Und auch die Vermählung (1881) des dereinstigen Erben der deutschen und preußischen Krone, des Prinzen Wilhelm (jetzigen Kaisers Wilhelm II.), mit der ältesten Tochter Fried-^[folgende Seite]