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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schweiz

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Schweiz (Geschichte 1831-1848).

die Reform im Kanton Zürich (20. März 1831). In Basel und Schwyz führte der Streit zwischen Stadt und Landschaft zu blutigen Konflikten und zur Trennung. Die Tagsatzung war diesen Wirren gegenüber anfangs ohnmächtig, so daß die liberalen Kantone Zürich, Bern, Luzern, Solothurn, Aargau, Thurgau und St. Gallen zum Schutz ihrer neuen Verfassungen 17. März 1832 das sogen. Siebenerkonkordat abschlossen, während die drei Waldstätten mit Neuenburg und Baselstadt zu Sarnen 14. Nov. in ein Separatbündnis traten. Der Sarner Bund forderte, daß die Tagsatzung nicht bloß die Anerkennung der Trennung des Kantons Basel zurücknehme, sondern auch die im Juli 1832 beschlossene Bundesreform fallen lasse. Letztere scheiterte im Juli 1833 durch die Allianz der Klerikalkonservativen mit den extremen Radikalen. Aber als die Schwyzer die abgefallenen Ortschaften militärisch zu besetzen anfingen und Baselstadt sich der Landschaft durch einen Handstreich zu bemächtigen suchte, ließ die Tagsatzung in beide Orte eidgenössische Truppen einrücken und erzwang die Auflösung des Sarner Bundes; Basel blieb in die Kantone Baselstadt und Baselland geteilt, während die abgefallenen Landschaften mit Schwyz auf dem Fuß der Rechtsgleichheit wieder vereinigt wurden.

Auch die kirchlichen Verhältnisse gaben zu Streitigkeiten Anlaß. 1834 hatten die Kantone Luzern, Bern, Zug, Solothurn, Baselland, St. Gallen, Aargau und Thurgau in einer Konferenz zu Baden 20. Jan. 1834 ein Konkordat aufgestellt, um die Rechte des Staats gegenüber der katholischen Kirche zu wahren. Dasselbe wurde aber in St. Gallen 1835 durch die klerikale Agitation bei der Volksabstimmung zu Falle gebracht, und auch Bern trat infolge der Erregung im katholischen Jura 1836 von demselben zurück. In Zürich kam es zu einer Auflehnung der Orthodoxen gegen das bisher äußerst wohlthätige liberale Regiment, als der Verfasser des "Lebens Jesu", D. F. Strauß, 1839 an die neu gegründete Hochschule berufen wurde: ein Bauernhaufe rückte 6. Sept. in die Stadt und erzwang den Sturz der liberalen und die Einsetzung einer konservativen Regierung. In dem bisher freisinnigen Luzern erlangten die von Joseph Leu und Siegwart Müller geführten Ultramontanen 1. Mai 1841 bei einer von ihnen ins Werk gesetzten Verfassungsrevision den vollständigsten Sieg. Ermutigt durch diese Erfolge, forderten die Ultramontanen von der Tagsatzung, daß Aargau gezwungen werde, die im Januar 1841 aufgehobenen Klöster des Kantons wiederherzustellen, und als sich die Tagsatzung 31. Aug. 1843 mit dem Anerbieten Aargaus, die vier Frauenklöster herzustellen, zufrieden erklärte, vereinigten sich die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg im September 1843 zu dem Beschluß, sich von der Eidgenossenschaft zu trennen, wenn die Aargauer Klöster nicht wiederhergestellt würden. Die gewaltsame Niederwerfung der Liberalen in Wallis durch die Ultramontanen und die Berufung der Jesuiten an die höhern Lehranstalten von Luzern steigerten den Parteihaß aufs höchste. Im Vertrauen auf Freischaren aus andern Kantonen versuchten die Luzerner Radikalen 8. Dez. 1844 die klerikale Regierung mit Gewalt zu beseitigen; das Unternehmen scheiterte kläglich und wurde von den Ultramontanen benutzt, um durch Einkerkerungen, Verbannungen und Gütereinziehungen ihre Gegner zu vernichten. Ebenso wurde ein Angriff von Freischärlern unter dem frühern Luzerner Regierungsrat Steiger und dem Berner Ochsenbein auf Luzern 31. März 1845 blutig zurückgewiesen und auf der Flucht 104 Freischärler erschlagen, gegen 1800 gefangen genommen. Die Furcht vor weitern Freischarenzügen und die Ermordung Leus durch einen Freischärler veranlaßten die ultramontanen Kantone, denen sich Wallis anschloß, im Dezember 1845 einen förmlichen Sonderbund abzuschließen und denselben zum etwanigen Widerstand gegen "unbefugte" Bundesbeschlüsse militärisch zu organisieren.

Sobald die Existenz und der Inhalt des anfangs geheim gehaltenen Bündnisses bekannt wurde, beantragte Zürich im Sommer 1846 bei der Tagsatzung, dasselbe für unverträglich mit den Bestimmungen der Bundesakte und für aufgelöst zu erklären, erlangte aber erst, nachdem in Genf und St. Gallen die liberale Partei zur Herrschaft gekommen war, im Juli 1847 die Mehrheit. Dieselbe, aus zwölf ganzen und zwei halben Kantonen bestehend, beschloß nicht bloß die Auflösung des Sonderbundes, sondern auch eine Bundesrevision und die Ausweisung der Jesuiten. Da die sieben Sonderbundskantone, auf Österreichs und Frankreichs Hilfe vertrauend, allen Mahnungen und Vermittelungsversuchen unzugänglich blieben und eifrig rüsteten, entschied sich die Tagsatzung zu Bern 4. Nov. 1847 zur Anwendung von Waffengewalt (Sonderbundskrieg). Eine eidgenössische Armee von fast 100,000 Mann unter dem Obersten Dufour zwang Freiburg u. Zug zur Kapitulation, vertrieb die vom Obersten Salis-Soglio befehligten Sonderbundstruppen 23. Nov. aus ihren verschanzten Stellungen bei Luzern und zog in diese Stadt ein. Nun unterwarfen sich auch die Waldstätten und Wallis, und noch vor Ende November war der Sonderbund aufgelöst. Die Verfassungen und Regierungen in den besiegten Kantonen wurden verändert und denselben die Kriegskosten auferlegt. Der Ausgang des Kriegs entschied auch den Sieg der Bundesrevision. Eine Kollektivnote Österreichs, Preußens, Frankreichs und Rußlands vom 18. Jan. 1848 erklärte allerdings, daß diese Mächte keine Veränderung der Bundesakte von 1815 zulassen würden, die mit der Kantonalsouveränität in Widerspruch stehe. Die Tagsatzung wies indes mit Entschiedenheit diese Einmischung zurück, welche infolge der Februarrevolution zu Boden fiel, und beschloß nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Nordamerika die in ihren Grundzügen noch jetzt bestehende Verfassung, welche die S. aus einem losen Staatenbund in einen fester gefügten Bundesstaat umwandelte. Dem Bund wurden das ausschließliche Recht über Krieg und Frieden, der Verkehr mit dem Ausland, das Zoll-, Post- und Münzwesen, Maß und Gewicht, die Organisation des Bundesheers, der höhere Militärunterricht, die Garantie republikanisch-demokratischer Kantonalverfassungen, der politischen Rechtseinheit, der Glaubensfreiheit, der Preß- und Vereinsfreiheit etc. übertragen. An Stelle der Tagsatzung trat eine in ihrer Stimmabgabe freie Bundesversammlung, bestehend aus der Vertretung der Kantone (Ständerat) und der des Schweizer Volkes (Nationalrat), an Stelle des bisherigen wechselnden Vorortes als höchste vollziehende Behörde ein ständiger Bundesrat von sieben Mitgliedern, von denen der den Vorsitz führende den Titel Bundespräsident erhielt; ebenso wurde ein Bundesgericht eingesetzt. Nachdem 15½ Kantone mit 1,897,887 Seelen gegen 6½ verwerfende mit 292,371 Einw. die neue Verfassung angenommen, erklärte die Tagsatzung dieselbe 12. Sept. 1848 als zu Recht bestehend und löste sich auf. Die erste Bundesversammlung trat 6. Nov. in Bern, das zum Bundessitz be-^[folgende Seite]