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Sendling - Seneca.
lich wurden zwei Missi, ein weltlicher und ein geistlicher, abgeordnet; seit 812 waren sie verpflichtet, alljährlich vier Gerichtssitzungen abzuhalten. Auch im langobardischen Reich bestand diese Einrichtung seit der Unterwerfung durch Karl d. Gr. Das Institut der S. bestand bis zu Ende des 9. Jahrh. Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3 und 4.
Sendling (Untersendling), bisher eine Landgemeinde im bayr. Regierungsbezirk Oberbayern, südwestlich bei München, seit 1877 der Stadt München einverleibt, an der Linie München-Schliersee der Bayrischen Staatsbahn, ist bekannt durch die im spanischen Erbfolgekrieg 25. Dez. 1705 hier erfolgte Niederlage der bayrischen Insurgenten durch die Österreicher, woran ein Denkmal erinnert. Vgl. Sepp, Der bayerische Bauernkrieg mit den Schlachten von S. und Aidenbach (Münch. 1884).
Sendrud (Zajenderud), Fluß in Persien, entspringt auf den Gebirgen Luristans, bewässert die Gärten von Ispahan und verliert sich nach einem Laufe von 350 km östlich dieser Stadt im Sand.
Sendt., bei botan. Namen Abkürzung für Otto Sendtner, geb. 1814 zu München, gest. 1859 in Erlangen.
Senebier (spr. ssön-bjeh), Jean, Naturforscher und Bibliograph, geb. 6. Mai 1742 zu Genf, studierte Theologie, ward 1765 Prediger in seiner Vaterstadt, 1769 Prediger zu Chancy und 1773 Oberbibliothekar der Stadt Genf. Die Revolution in Genf veranlaßte ihn, sich in das Waadtland zurückzuziehen; doch kehrte er 1799 in seine Vaterstadt zurück, wo er 22. Juli 1809 starb. S. begründete seinen Ruf als Naturforscher durch die klassische Preisschrift über naturwissenschaftliche Beobachtungen (1769), die in 3. Auflage als "Essai sur l'art d'observer et de faire des expériences" (Genf 1802, 3 Bde.) erschien, beschäftigte sich dann hauptsächlich mit Pflanzenphysiologie und bahnte hier einen bedeutenden Fortschritt an, indem er das Prinzip betonte, daß die Ernährungsvorgänge nach den allgemeinen Gesetzen der Chemie beurteilt werden müßten. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: "Mémoires physico-chimiques sur l'influence de la lumière solaire pour modifier les êtres des trois règnes de la nature" (Genf 1782, 3 Bde.); "Rapport de l'air atmosphérique avec les êtres organisés" (das. 1807, 3 Bde.); "Physiologie végétale" (das. 1782-88, 5 Bde.) und "Météorologie pratique" (das. 1810); auch bearbeitete er für die "Encyclopédie méthodique" die Pflanzenphysiologie. Außerdem schrieb er: "Histoire littéraire de Genève" (Genf 1786, 3 Bde.) und übersetzte mehrere Werke von Spallanzani.
Seneca, Fluß im nordamerikan. Staat New York, entsteht im 60 km langen, 166 qkm großen Senecasee, durchströmt das Nordende des 58 km langen Cayugasees, empfängt aus W. den aus dem Canandaiguasee kommenden Clyde, weiterhin den Abfluß des Onondagasees u. vereinigt sich schließlich mit dem Oneida zum Oswego, der in den Ontariosee mündet.
Seneca, 1) Marcus Annäus, der Rhetor, geboren zu Corduba in Spanien, studierte unter Augustus zu Rom, wo er mit den berühmtesten Rednern und Rhetoren verkehrte, kehrte dann nach Spanien zurück und starb hier in hohem Alter um 37 n. Chr. Als Greis verfaßte er für seine Söhne, allein auf sein wunderbares Gedächtnis gestützt, eine Sammlung von Schulthemen, wie sie in seiner Studienzeit von den namhaftesten Rhetoren in Rom behandelt worden waren, unter dem Titel: "Oratorum et rhetorum sententiae, divisiones, colores", enthaltend 7 sogen. Suasoriae in einem Buch und 35 Controversiae in 10 Büchern, von denen wir jedoch nur noch Bd. 1-2, 7-10 und einen Auszug des Ganzen aus dem 4. oder 5. Jahrh. besitzen. Ausgaben liegen vor von Gronov (Leiden 1649, 3 Bde.; Amsterd. 1672), Bursian (Leipz. 1857), Kießling (das. 1872) und H. J. ^[Hermann Johannes] Müller (Prag 1887).
2) Lucius Annäus, der Philosoph, Sohn des vorigen, geboren um 4 v. Chr. zu Corduba in Spanien, widmete sich in Rom rhetorischen und philosophischen Studien, erhielt unter Caligula die Quästur und die Würde eines Senators, ward 41 von Claudius auf Anstiften der Messalina als angeblicher Teilnehmer an den Ausschweifungen der Julia Livilla nach Corsica ins Exil geschickt, nach acht Jahren wieder nach Rom zurückgerufen, zum Prätor ernannt und von Agrippina mit der Erziehung ihres Sohns Nero betraut. Nach der Thronbesteigung seines Zöglings (54) blieb er in der nächsten Umgebung desselben und übte einen heilsamen Einfluß auf den jungen Fürsten aus, der ihn außer andern Bezeigungen seiner Dankbarkeit durch die Übertragung des Konsulats (57) auszeichnete. Intrigen seiner Gegner zerstörten das gute Einvernehmen mit Nero und bewogen ihn, sich vom Hof und der Öffentlichkeit ganz zurückzuziehen (62). Unter dem Vorgeben der Teilnahme an der Verschwörung des Piso verurteilt, ließ er sich, da ihm die Todesart freigestellt war, die Adern öffnen und, da dieses Mittel nicht schnell genug wirkte, in einem Dampfbad ersticken (65). Er ist nach Cicero der bedeutendste philosophische und überhaupt einer der geistreichsten und originellsten Schriftsteller der Römer. Von seinen zahlreichen prosaischen Schriften sind erhalten: 1) eine unter dem Namen "Dialogi" überlieferte Sammlung, enthaltend die Abhandlungen: "De providentia", "De constantia sapientis", "De ira" (3 Bücher), "Ad Marciam de consolatione", "De vita beata", "De otio", "De tranquillitate animi", "De brevitate vitae", "Ad Polybium de consolatione", "Ad Helviam matrem de consolatione" (Ausg. von Koch-Vahlen, Berl. 1878; von Gertz, Kopenh. 1886); 2) "De clementia", 2 Bücher (an Nero gerichtet bald nach seinem Regierungsantritt); 3) "De beneficiis", 7 Bücher (mit "De clementia" hrsg. von Gertz, Berl. 1876); 4) "Epistulae morales ad Lucilium", 124 Briefe über philosophische Gegenstände verschiedener Art (hrsg. in 20 Büchern von Schweighäuser, Straßb. 1809); 5) "Quaestiones naturales", 7 Bücher über naturwissenschaftliche Gegenstände, das erste und einzige physikalische Lehrbuch der römischen Litteratur, hauptsächlich aus stoischen Quellen geschöpft, im Mittelalter lange als Hauptquelle der Physik benutzt; 6) "Apocolocynthosis" ("Verkürbissung", statt Apotheosis, "Vergötterung"), eine bittere Satire auf den verstorbenen Kaiser Claudius (hrsg. von Bücheler, Berl. 1882), nach Art der Menippeischen Satire des Varro Prosa mit Versen wechselnd. Neuere Gesamtausgaben der prosaischen Schriften lieferten Fickert (Leipz. 1842-45, 3 Bde.), Haase (das. 1852-53, 3 Bde.); Übersetzungen: Moser, Pauly und Haakh (Stuttg. 1828, 17 Bde.) sowie Forbiger (Auswahl, das. 1867, 4 Bde.). S. zeigt in seinen Schriften lebhafte Einbildungskraft, gebildetes Urteil, edles Gefühl und eine tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens. Die Darstellung ist eindringlich und beredt, aber bisweilen etwas gesucht, dabei voll von Antithesen. Als Philosoph ist S. ein eklektischer Stoiker zu nennen; bisweilen verrät er eine Tendenz, den Stoizismus und Epikureismus in höherer Einheit zu vermitteln.