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Türkisches Reich (Geschichte 1875-1877).
tenegro und Serbien machten sich trotz offizieller Neutralitätserklärung zu Vermittlern der von Rußland ausgehenden Förderung des Aufstandes. Die lässige Bekämpfung des Aufstandes zog den Türken einige Schlappen zu; sofort wurde der Pforte auf Betrieb Rußlands von den Mächten eine Konsularkommission zur Herstellung des Friedens aufgenötigt, und als die Bemühungen dieser an der ablehnenden Haltung der Aufständischen gescheitert und sogar eine die Pacifikationsbedingungen zusammenfassende Note der Mächte verworfen worden war, als auch eine österreichischerseits versuchte Vermittelung zu nichts geführt hatte: da glaubte die Pforte endlich selbständig agieren zu können. Durch zwei befestigte Lager hielt sie Serbien in Schach und schnitt die Insurgenten von Montenegro ab, worauf sofort der Aufstand auf einige rauhe Gebirgsgegenden beschränkt wurde. Nun aber trat Ignatiew energisch gegen eine Bedrohung Montenegros auf und erzwang eine Verlegung der türkischen Truppen von der montenegrinischen Grenze. In diesem Augenblick trat ein andres verhängnisvolles Ereignis für die Pforte ein: in Saloniki wurden 6. Mai 1876 der deutsche und der französische Konsul bei einem Tumult von fanatischen Mohammedanern, nicht ohne Verschulden der Behörden, ermordet. Die Pforte beeilte sich, den sehr strengen Genugthuungsforderungen der Mächte gerecht zu werden; doch war ihre vermehrte Isolierung die natürliche Folge des Verbrechens. Die gegen sie ganz Europa durchzuckende Mißstimmung wurde von Rußland geschickt benutzt. Dasselbe wußte von den beiden verbündeten Kaiserhöfen die Zustimmung zu dem sogen. Gortschakowschen Memorandum zu erlangen, welches die Schuld an dem Nichtgelingen der Pacifikation der Herzegowina lediglich dem Sultan beimaß und unter Androhung wirksamerer Maßregeln einen zweimonatlichen Waffenstillstand verlangte, um mit den Insurgenten wegen des Friedens zu unterhandeln. Auch die übrigen Mächte, mit Ausnahme Englands, erklärten sich mit dieser Staatsschrift einverstanden.
Alle Schichten der türkischen Nation waren überzeugt, daß Rußland auf das Verderben der Pforte sinne, und daß Eigennutz und Unverstand den Großherrn und seinen ersten Wesir dem Erbfeind als Gehilfen zuführten. Über die Verbindung des Sultans mit Rußland wurden die aufregendsten Gerüchte verbreitet, als wolle Rußland Konstantinopel mit seinen Truppen besetzen, um die neue Thronfolgeordnung mit Gewalt durchzuführen und die Unzufriedenen zu züchtigen, und der russische Botschafter trat denselben mit keiner Ableugnung entgegen. Am 11. Mai kam es zu stürmischen Auftritten vor dem Palast des Sultans; die Softas (theolog. Studenten) hatten sich bewaffnet und verlangten Entlassung Mahmuds, Entfernung Ignatiews und Krieg gegen Montenegro. Keine Hand rührte sich für Abd ul Asis. Umsonst suchte derselbe durch Berufung eines populären Mannes auf den Posten Mahmuds sich aus der Verlegenheit zu ziehen, er war selbst unmöglich geworden. Am 29. Mai vereinigte sich der neue Großwesir, Mehemed Ruschdi, mit dem Kriegsminister Hussein Avni und Midhat Pascha, den Sultan abzusetzen und den ältesten Sohn Abd ul Medschids, Murad V., auf den Thron zu erheben. In der Nacht zum 30. Mai ward die Palastrevolution ohne Blutvergießen durchgeführt. Der abgesetzte Sultan wurde darauf 4. Juni in dem Palast Tscheragan, wohin man ihn gebracht hatte, auf Befehl der Minister ermordet; man gab vor, er habe sich durch Aufschneiden der Pulsadern selbst getötet. Am 15. Juni drang von neuem die Kunde einer grauenhaften Blutthat ins Publikum: drei Minister, darunter der energische Hussein Avni, wurden im Haus Midhats von einem tscherkessischen Offizier ermordet!
Während dies in Konstantinopel geschah, brach an verschiedenen Stellen Bulgariens der von Rußland vorbereitete Aufstand aus. Es war ein Ausrottungskrieg der Bulgaren gegen ihre in der Minderzahl befindlichen mohammedanischen Mitbürger, aber die Urheber hatten sich in betreff der Ohnmacht der Pforte verrechnet. Von den gegen ihn aufgebotenen Irregulären, denen sich später Linientruppen beigesellten, wurde der Aufstand unter noch barbarischern Greueln und entsetzlichem Blutvergießen zu Boden geworfen. Inzwischen hatte auch Serbien seine Rüstungen vollendet und überschritt nunmehr die Grenze, um, wie es in dem Manifest vom 2. Juli 1876 hieß, den aufständischen Nachbarprovinzen den Frieden wiederzugeben. Rußland sandte nach Serbien die Erfordernisse für den Krieg an Geld, Waffen, Munition und vor allem an Mannschaften. Doch fochten die Serben unglücklich und sahen sich 29. Aug. genötigt, die Mächte um Vermittelung eines Waffenstillstandes anzugehen, den sie verräterisch brachen, sobald sie durch russische Hilfe ihre Kampffähigkeit wiederhergestellt zu haben glaubten. Neue Siege bei Alexinatz (Ende Oktober) eröffneten nunmehr den Türken den Weg in das Herz Serbiens; aber ihren Erfolgen gebot ein Telegramm des Kaisers Alexander II. aus Livadia vom 30. Okt. 1876 Halt, welches unter Androhung sofortigen diplomatischen Bruches ihnen binnen 24 Stunden Einstellung ihrer Operationen auferlegte. Inzwischen war in Konstantinopel Murad V. wahnsinnig geworden; 31. Aug. folgte ihm sein Bruder Abd ul Hamid II. In der nichtigen Hoffnung, Rußland durch Nachgiebigkeit zu entwaffnen, unterzeichnete dieser 31. Okt. die Waffenstillstandsakte, berief seine Truppen aus Serbien zurück und gewährte dem treulosen Vasallenstaat 1. März 1877 den denkbar günstigsten Frieden unter Herstellung des Status quo ante.
Gleich nach dem Abschluß des serbisch-türkischen Waffenstillstandes schlug England eine Konferenz vor, welche unter Wahrung der Integrität des Osmanenreichs eine administrative Autonomie für die slawischen Balkanprovinzen feststellen sollte. Beim Zusammentritt derselben, welche in Konstantinopel tagte, ließ Midhat Pascha, seit 19. Dez. 1876 Großwesir, den Sultan seinem Reich eine Verfassung oktroyieren, welche, 23. Dez. 1876 publiziert, die völlige Rechtsgleichheit aller Pfortenunterthanen proklamierte und als Trumpf von der türkischen Regierung gegen die Ansprüche der Mächte zu gunsten der Slawen nicht ohne Geschick ausgespielt wurde. Die Konferenz endigte ohne Resultat. Nachdem sie selbst ihre Beschlüsse herabgemildert, wurden diese von Midhat dem Großen Diwan, einer Versammlung von gegen 300 angesehenen Personen, darunter 60 Christen, zur Prüfung vorgelegt und einstimmig zurückgewiesen. Doch wurde der thatkräftige Midhat schon im Februar 1877 infolge einer Palastrevolution abgesetzt und verbannt; an seine Stelle als Großwesir trat Edhem Pascha. Daher hatte auch die erste und einzige Session der türkischen Kammer im Februar 1877 kein Ergebnis. Um so mehr fühlte sich Rußland zu energischem Vorgehen ermutigt, und nachdem es seine Rüstungen vollendet, erklärte es 24. April 1877 an die Türkei den Krieg (vgl. Russisches Reich, Geschichte, S. 94). Derselbe entbrannte zuerst in Asien, woselbst im obern Kurthal 17. Mai die kleine Festung Ardahan