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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zölle

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Zölle (Finanz- und Schutzzölle, Wert- und spezifische Zölle, Zollpolitik).

auch der echte Finanzzoll auf Gang von Erzeugung, Verkehr und Haushalt einen Einfluß aus.

Im allgemeinen trägt jede Abgabe den Charakter eines Schutzzolles, welche auszuführende Waren, deren die heimische Produktion bedarf, besteuert, ohne daß die heimischen Erzeugnisse überhaupt oder gleich hoch belastet werden, oder welche eingeführte trifft, die auch im Inland hergestellt, jedoch gar nicht oder geringer besteuert werden. Höhe und Dauer des Zolles sind von der Schutzbedürftigkeit der Industrie abhängig zu machen, welche erhalten oder emporgebracht werden soll. Seine Wirkung würde eine um so bessere sein, je früher auf ihn Verzicht geleistet werden kann. Für Auflegung und Höhe des Finanzzolles sind dagegen Staatsbedarf und Grundsätze der Steuerverteilung maßgebend. Er ist um so geeigneter, je ergiebiger er ist, auch soll er eine möglichst dauernde Quelle von Einnahmen abgeben. Ein echter Finanzzoll liegt vor, wenn er das Äquivalent einer auch von heimischen Waren erhobenen Steuer bildet, wobei der Zoll nach Maßgabe der größern Belästigungen und Kosten, welche durch Zahlung der letztern erwachsen, höher zu bemessen ist (ist er noch höher, so wird er Schutzzoll), dann, wenn er einen im Inland überhaupt nicht hergestellten Verbrauchsgegenstand (Kolonialwaren), ferner, wenn er auszuführende Waren trifft, bei deren Erzeugung das Inland eine Monopolstellung einnimmt, welche zu gunsten der Staatskasse ausgebeutet wird. Die Finanzzölle gehören zur Gattung der indirekten und zwar der Verbrauchssteuern. Im allgemeinen gelten für sie die gleichen Grundsätze wie für die letztern überhaupt, doch gestattet ihre besondere Erhebungsform mancherlei Abweichungen, zumal in der Richtung, daß sie eine größere Zahl von Waren zu besteuern ermöglicht. Vor den innern Verbrauchssteuern zeichnen sie sich dadurch aus, daß sie Industrie und Verkehr weniger belästigen, weniger Mühe und Kosten bei Erhebung und Kontrolle verursachen, daß sie den Steuerträgern mehr aus den Augen gerückt sind und eine ergiebige Einnahmequelle darstellen, Vorteile, welche freilich wesentlich bedingt sind durch Beschaffenheit des Grenzgebiets, Ausformung der Grenze, Art der Verkehrsmittel und der zu verzollenden Waren. Als besonders geeignete und darum auch beliebte Steuerobjekte erscheinen die Artikel, welche auch von den ärmern Schichten der Bevölkerung verbraucht und darum in großen Massen eingeführt werden. Die Besteuerung derselben führt freilich leicht zu einer umgekehrt progressiven Belastung. Ob sie trotzdem zulässig sind, hängt ab von Staatsbedarf und Steuersystem, welches die Wirkung der umgekehrten Progression an andern Stellen wieder aufheben kann. Im Interesse gerechter Steuerverteilung und auch aus Gründen der Moral hat allgemein der Grundsatz Geltung erlangt, daß unentbehrliche Lebensmittel freizulassen und möglichst die Gegenstände des breitesten Volksluxus zu treffen sind. Grundsätzlich wären auch die kostbaren Luxusartikel und zwar hoch zu belasten. In der Praxis allerdings kann das Steuersystem es gestatten und die Zolltechnik sogar dazu zwingen, von der Besteuerung derselben abzusehen. Überhaupt scheitert die Durchführung des Grundsatzes abstrakter Gerechtigkeit an der Unvollkommenheit der zu Gebote stehenden Mittel.

Eine richtige Bemessung des Steuerfußes ist außerordentlich schwierig. Im allgemeinen würde die Abstufung der Zollsätze nach dem Werte der Waren (Wertzölle, Z. ad valorem) die angemessenste für eine richtige Steuerverteilung sein, wie sie in den Vereinigten Staaten besteht und in dem französischen Zolltarif vorherrscht. Doch ist dieselbe allzu schwierig, umständlich und kostspielig. Die Einschätzung durch Beamte ist ebenso mißlich wie die Deklarationspflicht der Steuerzahler in Verbindung mit dem den Zollbeamten eingeräumten Recht auf Vorkauf zu dem angegebenen Wert, wenn ihnen derselbe als zu niedrig erscheint. In vielen Ländern (Deutschland, England etc.) zieht man deshalb den zu allerlei Schikanen Anlaß gebenden Wertzöllen die nach Maß und Gewicht (früher in Deutschland u. Österreich nach einem besondern Zollgewicht, dem Zollzentner und Zollpfund) bemessenen Stück- u. Gewichtszölle (sogen. spezifische Z.) vor. Dabei kann innerhalb weiterer Grenzen auch der Verschiedenheit der Qualität durch Abstufung der Tarifsätze (Staffeltarife) Rechnung getragen werden, was schon insofern geschieht, als nicht alle Warenarten gleich besteuert werden.

In den meisten Ländern kommen Finanz- und Schutzzölle miteinander verbunden vor. Ausnahmen bilden England und die Schweiz. Die Z. der letztern tragen insofern ein finanzielles Gepräge, als sie dazu bestimmt sind, das Gleichgewicht im Bundeshaushalt aufrecht zu erhalten. England hatte früher eine übermäßig verwickelte Zollgesetzgebung, welche eine große Zahl Artikel belastete. In den 20er Jahren vereinfacht, zählte das Zollsystem 1841 doch noch 862 zollpflichtige Warenarten auf, von denen 17 Artikel 94 Proz., 29: 4 Proz. und alle übrigen (816) nur 2 Proz. des Zollertrags abwarfen. Die Erkenntnis der Übelstände eines verwickelten Zollwesens mit seinen Schwierigkeiten, Kosten, Belästigungen und Schikanen sowie der Druck der nun herrschend gewordenen freihändlerischen Strömung führten noch zu weitern Vereinfachungen in dem Maß, daß heute fast der gesamte Zollertrag (97 Proz.) aus nur fünf Warengruppen (Tabak, geistige Getränke, Thee, Kaffee und Rosinen nebst Korinthen) gewonnen wird. Echt schutzzöllnerische Länder sind Frankreich, Rußland, die Vereinigten Staaten etc. Das deutsche Zollwesen wurde seit 1818 wesentlich verbessert und vereinfacht (vgl. Zollverein), bildete aber schon seit jener Zeit einen Zankapfel entgegengesetzter Interessen. Mit Beginn der 60er Jahre (Tarif von 1865) wurde der deutsche Zolltarif im freihändlerischen Sinn umgearbeitet und fortgebildet bis 1873. Die nun folgende wirtschaftliche Krisis, insbesondere aber die Notwendigkeit einer finanzpolitischen Reform führten zu einem Umschwung der herrschenden Meinung und zum Tarif von 1879, in welchem der Gedanke der allgemeinen Zollpflicht, auch von Rohstoffen, im Interesse der nationalen Arbeit sich Geltung verschaffte.

Die Zollpolitik des Merkantilsystems (s. d.) stützte sich auf dessen eigentümliche Anschauungen über die Handelsbilanz und die Mittel, dieselbe günstig zu gestalten. Ihre Maßregeln spitzten sich darauf zu, die Einfuhr fertiger Produkte, zumal wenn sie im Inland hergestellt werden konnten, möglichst durch Zollbelastung zu beschränken, dagegen die Ausfuhr, insbesondere von kostbaren Produkten des heimischen Kunstfleißes, zu fördern, demgemäß auch die Ausfuhr von Rohstoffen und Lebensmitteln zu erschweren, deren Einfuhr zu begünstigen. Die verständigern Merkantilisten nahmen den Standpunkt der nationalen Genügsamkeit ein. Man solle vorlieb nehmen mit dem, was das eigne Land biete, auch wenn es von geringerer Qualität sei. Die heimische Betriebsamkeit werde unter dem Schutz der Regierung später schon Besseres liefern.

Der Gedanke, die Industrie durch den Zollschutz