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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Anpassung

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Anpassung (bei festwachsenden Tieren).

den Tiere, der Höhlenbewohner und Tiefseetiere, der Wüstenpflanzen und -Tiere, der Schmarotzerpflanzen und Tiere) so augenfällig erkennbar, daß schon dadurch jene Theorie in eine sehr schwierige Lage gerät (vgl. Erblichkeit). »Über den Einfluß der festsitzenden Lebensweise auf die Tiere und über den Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung oder Knospung« hat Arnold Lang (Jena 1888) eine größere Abhandlung veröffentlicht, die manche neue Gedanken und Thatsachen bringt. Festwachsende Tiere gibt es nur im Wasser, da nur dieses bewegliche Element einesteils die erforderliche Nahrung herbeizuführen, anderseits die Befruchtung und Neuansiedelung von Keimen zu bewirken im stande ist und die Gefahren des Verdurstens und Austrocknens ausschließt. Festsitzende Tiere finden sich daher unter allen Klassen von Süßwasser- und Meerestieren mit Ausnahme der Wirbeltiere, es gehören hierher die Vorticellen unter den Infusorien, die Schwämme, Korallen und Hydroidpolypen unter den Cölenteraten, die Röhrenwürmer, Moostierchen und Manteltiere unter Würmern und Wurmverwandten, mit Schalen oder Byssus festwachsende Muscheln unter den Weichtieren, die Haarsterne und Seelilien unter den Echinodermen und die Rankenfüßer unter den Krebsen. Da man alle festgewachsenen Tiere von frei lebenden Ahnen ableitet, wie ja auch der junge Keim und bei vielen selbst die ersten Larvenstadien freilebend sind, so muß ein gewisser Vorteil mit der Anheftung für diese Tiere verbunden sein, der hauptsächlich in der Sicherung ihres Aufenthalts an der nahrungsreichern Küste und in der Tiefsee, wo ein beständiger Nahrungsregen von oben herab stattfindet, bestehen mag, sofern Sturm und Wogen ihre fortreißende Gewalt an ihnen verlieren. Die gleichmäßigen Veränderungen bestehen dabei hauptsächlich in folgenden Punkten:

1) Verlust der Bewegungsorgane, die nun überflüssig werden. Hier ist besonders das Verhalten der Muscheln lehrreich, die sich sonst ihres muskulösen Fußes als eines oft sehr mächtig ausgebildeten, weit vorstreckbaren Kriechwerkzeugs bedienen. Beiden sich festsetzenden Muscheln wird dieses große keilförmige Organ alsbald sehr viel kleiner, z. B. bei den Miesmuscheln, die sich mit dem sonst nur der zeitweiligen Anheftung dienenden Sekret der Fußdrüse, dem sogen. Byssus, dauernd festheften. Ganz rudimentär geworden ist der Fuß bei den Austern, die seiner nie mehr bedürfen, während die jungen Rankenfüßer ihre Beine, die ihnen zum Schwimmen dienten, zu ganz andern Organen umbilden, wenn sie vor Anker gegangen sind. Dafür entwickelt sich bei einer großen Anzahl dieser Tiere ein für viele derselben völlig neues Organ, der muskulöse, biegsame Stiel, der dem bewegten Element zähen Widerstand zu leisten im stande ist und bei manchen Rankenfüßern auch dem nachbarlichen geschlechtlichen Verkehr dienen soll. Bei den letztern wie auch bei den Röhrenwürmern, vielen Korallen und Moostierchen kommt die Entwickelung eines starken Außenskeletts oder einer Röhre, in die sich die fluchtlosen Tiere in der Gefahr zurückziehen können, hinzu, um ihre Sicherheit zu erhöhen, und die Umbiegung des Verdauungsrohrs, so daß die Auswurfsöffnung neben dem Munde aus der Panzeröffnung hervortritt, ist eine weitere Folge dieser Umhüllung. Bei den Tunikaten oder Manteltieren enthält der Mantel bedeutende Anteile einer sehr widerstandsfähigen Cellulose, die freilich nach neuerlicher Entdeckung von Ambronn auch in den Körperbedeckungen vieler Krebse und Insekten gefunden wurde und also im Tierreich häufiger vorkommt, als man bisher glaubte.

2) Verlust der Sinnesorgane, die dem festsitzenden Tier weder für Orientierung noch für Nahrungserwerb, Flucht etc. nötig sind, und damit auch Vereinfachung des Nervensystems als Folge. Dafür bildet sich ein neuer, für die Ernährung und Atmung wichtiger Tastfühler- (Tentakel-) Kranz um die Mundöffnung aus, der zugleich die Nahrung festhält und in den Mund führt, durch seine Ähnlichkeit mit einer Blumenkrone und durch das Spiel der Fühlfäden den hierher gehörigen Würmern, Moostierchen, Polypen, Korallen, Seerosen und Seelilien eine gewisse Anpassungsähnlichkeit verleiht und bei Tiergruppen, die diese (meist nur scheinbare) radiäre Anordnung auch in den frei lebenden Angehörigen bewahren, wie den Echinodermen, die Vermutung erweckt, daß sie einer früh vor Anker gegangenen und erst nachträglich wieder frei gewordenen Gruppe ihren Ursprung verdanken. Wir beobachten ein solches nachträgliches Freiwerden radiärer Bildungen bei Hydroidpolypen, Medusen und Haarsternen, und der Vorgang ist gewöhnlich mit einem sogen. Generationswechsel verbunden, indem das frei werdende Strahlstück die geschlechtliche Fortpflanzung und Verbreitung der Kolonie besorgt.

Die meisten dieser Tiere sind Hermaphroditen, doch finden sich bei manchen von ihnen, namentlich bei den Rankenfüßern, höchst komplizierte geschlechtliche Verhältnisse, bei denen zwerghafte Männchen, die fast nur aus einem in der Jugendzeit frei beweglichen Geschlechtsapparat mit rudimentären Gliedmaßen bestehen, sich an dem festgewachsenen, 100mal größern Weibchen festklammern und von demselben mit ernährt werden. Fast allen diesen festwachsenden Tieren ist ein großes Sprossungs- und Wiederergänzungs- (Regenerations-) Vermögen für verlorne Gliedmaßen eigen, was als eine natürliche Kompensation für ihre Unfähigkeit, zu fliehen, erscheint. Lang bringt diese Vorgänge in Zusammenhang und hält die bei vielen dieser Tiere vorkommende Kolonienbildung durch Sprossung für eine Folge der starken Regenerationsfähigkeit, sofern erstere der bessern Ernährung des Stockes dient. Da diese Tiere nämlich ihre Nahrung nicht im weitern Umkreis suchen können, aber an Orten, wo Nährstoffe für ein festsitzendes Tier vorhanden ist, auch viele ihren Tisch gedeckt finden, und ein entschiedener Vorteil darin liegt, wenn bei solcher zufälligen Nahrungszuführung viele Mundöffnungen für ein gemeinsames Zirkulations- u. Verdauungssystem vorhanden sind, so stärken und breiten sich diese Kolonien beständig durch ungeschlechtliche Sprossung aus Knospen am Stielgrund aus, während die im Generationswechsel entstehenden und sich ablösenden Geschlechtstiere für Anlage neuer Kolonien an entferntern Orten sorgen. Ja, da solche Stock- und Kolonienbildung eigentlich nur für festwachsende Tiere von Vorteil und Bedeutung ist, so hält Lang auch die schwimmenden Kolonien gewisser Korallen (Seefedern), Manteltiere (Feuerwalzen), Moostiere (Cristatella-Arten) u. a. für von neuem flott gewordene, ursprünglich festgewachsene Kolonien. Ein besonderes Interesse knüpft sich natürlich an solche Fälle, bei denen man den Einfluß eines bestimmten Wechsels der Lebensbedingungen auf einen Organismus direkt verfolgen und denselben vielleicht durch eignes Zuthun in einen andern verwandeln kann. Aber solche Fälle sind nur sparsam bekannt, und darum hatte die von Schmankewitsch entdeckte Wandlung eines kleinen Kiemenfußkrebses (Artemia salina),