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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gewerbegerichte

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Gewerbegerichte (Reichsgesetz vom 29. Juli 1890).

2) über die Leistungen und Entschädigungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sowie über eine in Beziehung auf dasselbe bedungene Konventionalstrafe; 3) über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Krankenversicherungsbeiträge; 4) über die Ansprüche, welche auf Grund der Übernahme einer gemeinsamen Arbeit von Arbeitern desselben Arbeitgebers gegeneinander erhoben werden. Bezüglich der Streitigkeiten zu 1)-3) sind die G. auch zuständig bei Streitigkeiten zwischen Personen, welche für bestimmte Gewerbtreibende außerhalb der Arbeitsstätte der letztern mit Anfertigung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind, und ihren Arbeitgebern, sofern die Beschäftigung auf die Bearbeitung oder Verarbeitung der den erstern von den Arbeitgebern gelieferten Rohstoffe oder Halbfabrikate beschränkt ist; sie sind ebenso zuständig für Streitigkeiten zu 4), sofern diese zwischen solchen Hausgewerbetreibenden untereinander entstehen. Streitigkeiten dagegen solcher Hausgewerbetreibenden, welche die Rohstoffe oder Halbfabrikate selbst beschaffen, unterliegen der Zuständigkeit der G. nur, soweit dies durch das Statut bestimmt ist. Die Zuständigkeit eines Gewerbegerichts schließt die Zuständigkeit der örtlichen Gerichte aus. Die sachliche Zuständigkeit der G. kann auf bestimmte Arten von Gewerbe- oder Fabrikbetrieben, die örtliche auf bestimmte Teile des Gemeindebezirks beschränkt werden.

Die Kosten der Einrichtung und Unterhaltung der G. sind, soweit sie nicht in deren Einnahmen ihre Deckung finden, von der Gemeinde oder dem weitern Kommunalverband zu tragen. Gebühren, Kosten und Strafen, welche nach dem Gesetz erhoben werden, bilden die Einnahmen der G.

Jedes Gewerbegericht besteht aus einem Vorsitzenden und mindestens einem Stellvertreter desselben sowie aus Beisitzern (mindestens vier). Der Vorsitzende sowie dessen Stellvertreter dürfen weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein. Sie werden durch den Magistrat (Gemeinderat) und, wo ein solcher nicht vorhanden ist oder das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weitern Kommunalverbänden durch die Vertretung des Verbandes auf mindestens ein Jahr gewählt. Die Wahl derselben bedarf der Bestätigung der höhern Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk das Gewerbegericht seinen Sitz hat, sofern die Gewählten nicht aktive Staats- oder Gemeindebeamte sind, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung oder Bestätigung verwalten. Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Arbeitgebern, zur Hälfte aus den Arbeitern entnommen werden, die erstern werden durch die Arbeitgeber, die letztern durch die Arbeiter in direkter und geheimer Wahl gewählt. Mitglieder eines Gewerbegerichts können nur sein Personen, welche das 30. Lebensjahr vollendet, in dem der Wahl vorhergegangenen Jahre weder für sich noch für ihre Familie Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen oder die empfangene Armenunterstützung erstattet haben und in dem Bezirk des Gerichts seit mindestens zwei Jahren wohnen oder beschäftigt sind, und welche nicht zum Amte eines Schöffen unfähig sind (Gerichtsverfassungsgesetz § 31, 32). Die Wahl der Beisitzer erfolgt auf mindestens ein Jahr und auf höchstens sechs Jahre. Eine Wiederwahl ist zulässig. Zur Teilnahme an den Wahlen ist nur berechtigt, wer das 25. Lebensjahr vollendet und seit mindestens einem Jahre in dem Bezirk des Gewerbegerichts Wohnung oder Beschäftigung hat und zum Amte eines Schöffen nicht unfähig ist. Die nähern Bestimmungen über die Wahl und das Verfahren sind durch das Statut zu treffen. Wahlen, welche gegen das Gesetz oder die auf Grund des Gesetzes erlassenen Wahlvorschriften verstoßen, sind auf erhobene Beschwerde durch die höhere Verwaltungsbehörde für ungültig zu erklären. Sind Wahlen nicht zu stande gekommen oder wiederholt für ungültig erklärt, so ist die höhere Verwaltungsbehörde befugt: 1) die Wahlen, soweit sie durch Arbeitgeber oder Arbeiter vorzunehmen waren, durch den Magistrat (Gemeinderat) und, wo ein solcher nicht vorhanden ist, oder wo das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weitern Kommunalverbänden durch die Vertretung des Verbandes vornehmen zu lassen; 2) soweit die Wahlen vom Magistrat oder der Gemeindevertretung oder der Vertretung eines weitern Kommunalverbandes vorzunehmen waren, die Mitglieder selbst zu ernennen. Das Amt der Beisitzer ist ein Ehrenamt, aber die Beisitzer erhalten für jede Sitzung, der sie beigewohnt haben, Vergütung etwaniger Reisekosten und eine Entschädigung für Zeitversäumnis. Die Hohe der letztern ist durch das Statut festzusetzen; eine Zurückweisung derselben ist unstatthaft.

Das Gewerbegericht verhandelt und entscheidet, soweit nicht im Gesetz ein andres bestimmt ist (d. h. soweit nicht gewisse Obliegenheiten dem Vorsitzenden allein übertragen sind oder soweit nicht das Plenum des Gewerbegerichts, Vorsitzender, Stellvertreter und sämtliche Beisitzer, einzutreten hat), in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Durch das Ortsstatut kann bestimmt werden, daß allgemein oder für gewisse Streitigkeiten eine größere Zahl von Beisitzern zuzuziehen ist. In gleicher Weise ist zu bestimmen, nach welchen Grundsätzen der Vorsitzende die einzelnen Beisitzer zuzuziehen hat. Arbeitgeber und Arbeiter müssen stets in gleicher Zahl zugezogen werden. Bei jedem Gewerbegericht ist eine Gerichtsschreiberei einzurichten, eine bestimmte Vorbildung für den Gerichtsschreiber ist nicht vorgesehen.

Die § 24-60 (Abschnitt II) regeln im einzelnen das Verfahren vor den Gewerbegerichten. Die Regelung nahm darauf Rücksicht, daß die vor die G. gehörigen Rechtsstreitigkeiten größtenteils in rechtlicher wie thatsächlicher Hinsicht einfach, auch nicht von erheblichem Werte und meistens der Beschleunigung bedürftig sind, und daß die beteiligten Personen vielfach einen sehr geringen Grad von Geschäftsgewandtheit besitzen, eine Unterstützung derselben durch rechtskundige Vertreter oder Beistände aber auszuschließen sei. Es wurde deshalb möglichst von Prozeßvorschriften abgesehen, welche die freie Bewegung des Gerichts einengen und an die Selbstthätigkeit der Parteien besondere Anforderungen stellen, aber anderseits wurde doch im Interesse der Gleichmäßigkeit des Verfahrens und zum Schutze der Parteirechte eine Formlosigkeit vermieden, welche die subjektive Willkür des Gerichts an die Stelle geordneter Grundlagen des Verfahrens setzen würde. Das Gesetz beschränkt sich deshalb nicht auf die Aufstellung einiger allgemeiner Sätze über das Verfahren, sondern sucht für dieses eine feste und allen Fällen gerecht werdende Gliederung zu geben. Im allgemeinen wurden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das amtsgerichtliche Verfahren zu Grunde gelegt, aber zugleich wurden die vorerwähnten, durch die besondere Natur der Gewerbestreitigkeiten gebotenen Rücksichten durch eine Anzahl abändernder Bestimmungen zur Geltung gebracht. Das Gesetz beschränkt sich aber nicht darauf, nur die Abweichungen von der