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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Handelsverträge

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Handels- u. Gewerbekammern - Handelsverträge.

Kraft Reichsgesetzes (Gerichtsverfassungsges., § 112) hat ferner jede deutsche Handelskammer für ihren Bezirk ein gutachtliches Vorschlagsrecht bei der Besetzung der Handelsrichterstellen in den »Kammern für Handelssachen« (s. Handelsgerichte, Bd. 8). Auch bei Ernennung der Makler (Sensale) haben die Handelskammern nach einigen Landesgesetzen ein Vorschlagsrecht.

Immerhin üben die deutschen Handelskammern gerade in den wichtigsten Dingen, also namentlich auf dem Gebiete der Handels- und Gewerbegesetzgebung, nicht den Einfluß aus, welchen die Handelskammern mancher ausländischer Staaten bethätigen. In diesen Staaten wird den Handelskammern durch das Gesetz ein größerer Wirkungskreis zugewiesen. So ist namentlich in Österreich durch Gesetz vom 29. Juni 1868, betreffend die Organisierung der H. u. G., bestimmt, daß jeder Gesetzentwurf, welcher die Handels- oder Gewerbsinteressen berührt, bevor derselbe an die gesetzgebenden Vertretungskörper zur verfassungsmäßigen Behandlung gelangt, den Handelskammern zur Begutachtung vorgelegt werden muß. Auch in andrer Hinsicht nehmen die Handelskammern in Österreich eine privilegierte Stellung ein. So werden die Handelsregister (s. d., Bd. 8) von den Handelskammern geführt, während in Deutschland diese Thätigkeit den Gerichten obliegt. Ferner ist den österreichischen Handelskammern im brieflichen Verkehr mit dem Handelsminister und andern Behörden, mit den Gemeinden sowie in der Korrespondenz der Kammern untereinander und in Wahlangelegenheiten zwischen der Wahlkommission und den Wählern Portofreiheit gewährt. Endlich bilden die Handelskammern nach den Landtagswahlordnungen von 1861 und dem Verfassungsgesetz über direkte Wahlen in den Reichsrat von 1873 eigne Wahlkörper, oder sie wählen mit den Städten zusammen und entsenden Abgeordnete in die Landtage und in das Abgeordnetenhaus des Reichsrats. So delegiert die Handelskammer zu Wien vier Abgeordnete in den Landtag und zwei Abgeordnete in den Reichsrat, ebenso die Handelskammern in Prag und Reichenberg, während beispielsweise die Handelskammer in Innsbruck nur einen Abgeordneten in den Landtag und mit der Stadt Innsbruck zusammen einen Abgeordneten in den Reichsrat sendet. Man ersieht, daß die wichtigsten Forderungen, welche die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher Industrieller im August 1882 behufs Herbeiführung einer geeigneten Reform in der Vertretung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands stellte, in Österreich bereits erfüllt sind. Dagegen ist in Frankreich die Kompetenz der Handelskammern ähnlich beschränkt wie in Deutschland (vgl. Lyon-Caen u. L. Renault, Précis de droit commercial, gegen Schluß des 2. Bandes, wohl die beste Zusammenstellung und Kritik des geltenden französischen Rechts über Handelskammern). Über den außerordentlich bedeutenden Einfluß, welchen die freien englischen Vereinigungen, die sich insgesamt in der Association der vereinigten Handelskammern zentralisiert haben, auf die Gesetzgebung und Verwaltung Englands üben, s. oben unter »Staatliche Organisation«.

Für Deutschland wird auf allen Gebieten der wirtschaftlichen Interessenvertretung, ganz besonders auch auf dem Gebiet der Handels- und Gewerbevertretung, eine Reform angestrebt. Man will einerseits neue wirtschaftliche Vereinigungen ins Leben rufen, so namentlich für Preußen obligatorische Vertretungen der Handwerke bilden (s. oben), ferner für das Reich auch den Arbeiterstand in einer offiziellen Vertretung, den Arbeiterkammern, zusammenschließen, anderseits die bereits bestehenden Vertretungen der verschiedenen wirtschaftlichen Berufszweige, also die Kammern für Handel, Industrie, landwirtschaftliches Gewerbe und Kleingewerbe eines Bezirks in gemeinschaftliche H. u. G. zusammenfassen. Die Vertreter der letztern Richtung, der Berliner Universitätsprofessor R. v. Kaufmann und der Sekretär der Handelskammer zu Osnabrück, F. Stumpf, gehen entschieden zu weit. Die in Süddeutschland bestehenden H. u. G. dürften für die Neugestaltung als Musterbild dienen. Die Einbeziehung der Landwirtschaft in die H. u. G. wäre bei der Verschiedenheit der Interessen und der Anschauungen der beteiligten Kreise äußerst bedenklich. In diesem Sinne hat sich denn auch die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher Industrieller, welche die Reformfrage eingehend erwogen hat, ausgesprochen. Die Kommission ist nämlich für ein Zusammengehen von Handel, Fabrikation und Handwerk eingetreten, hat dagegen von einer Beteiligung der Landwirtschaft abgesehen. Die mit der Landwirtschaft verbundenen technischen Gewerbe sollen in den Handelskammern vertreten sein, da sie zur Großindustrie zählen. Weniger begründet erscheint die Forderung der Kommission, es solle die wirtschaftliche Interessenvertretung durch ein Reichsgesetz einheitlich für den ganzen Umfang des Deutschen Reiches geregelt werden. Allerdings ist zuzugeben, daß in den verschiedenen deutschen Bundesstaaten die gesetzlichen Bestimmungen über Handelskammern weit auseinander gehen. Es ist aber zu bestreiten, daß dieser Umstand irgend welche wirtschaftlichen Nachteile im Gefolge habe. Die äußere Übereinstimmung der Normen im ganzen Reiche mag für den Studierenden, der sich jetzt mühsam durch die verschiedenen Gesetze hindurcharbeitet, von großem Reize sein, für die Handelskammern ist es gleichgültig, ob die einschlägigen Verhältnisse in Preußen durch ein preußisches oder durch ein Reichsgesetz geregelt sind. Für die letztern ist nur der Inhalt der Gesetze, nicht die Person des Gesetzgebers bedeutungsvoll. Entscheidend kommt aber in Betracht, daß das Reich durch Erlaß eines Reichsgesetzes über unsern Gegenstand in die Verwaltung der Einzelstaaten eingreifen würde, was nach der Reichsverfassung nicht zulässig ist. Endlich wurde auf der Eisenacher Kommission eine Erweiterung des Wirkungskreises der Handelskammern in Aussicht genommen (s. oben). Die Kommission trat insbesondere für eine obligatorische Mitwirkung der Handelskammern beim Erlaß von Gesetzen, welche die Interessen des Handels- und Gewerbestandes berühren, sowie für die Übertragung der Aufsicht über die Führung der Firmenregister an die Handelskammern ein.

Vgl. v. Kaufmann, Die Vertretung der wirtschaftlichen Interessen in den Staaten Europas (Berl. 1879); Derselbe, Die Reform der H. u. G. (das. 1883); »Beratungen der Handelskammer zu Osnabrück über die Frage einer allgemeinen Reorganisation der H. u. G. Deutschlands« (Osnabr. 1880); »Verhandlungen des Zentralverbandes deutscher Industrieller« (Berl. 1882); Steinmann-Bucher, Die Nährstände und ihre zukünftige Stellung im Staate (2. Aufl., das. 1886); Fischer, Fürst Bismarck u. die Handelskammern (Köln 1882); Grätzer, Die Organisation der Berufsinteressen (Berl. 1890); Hager, Taschenbuch für Mitglieder von Handelskammern, Gewerbekammern etc. (Halberst. 1890).

Handelsverträge etc., s. Handel Deutschlands, S. 394 (zollpolitische Beziehungen).