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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Medizinischer Kongreß

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Medizinischer Kongreß (Berlin 1890).

zu geben, weil es an unverkennbaren konstanten Merkmalen fehlt. Ähnlich verhält es sich mit Diphtheritisbakterien, während Tuberkelbacillen und Cholerabakterien unverkennbare Merkmale darbieten. Und doch gelangte Koch zu dem Ergebnis, daß die Bacillen der Hühnertuberkulose eine besondere, wenn auch den echten Tuberkelbacillen sehr nahe stehende Art repräsentieren. Die Frage, ob diese Bacillen auch für den Menschen pathogen sind, wird sich nur durch lange Beobachtungen unter Anwendung des Kulturverfahrens entscheiden lassen. Der Gedanke, daß Mikroorganismen die Ursache der Infektionskrankheiten sein müßten, ist schon sehr frühzeitig ausgesprochen, aber doch erst in neuester Zeit bewiesen worden und zwar 1) durch den Nachweis, daß der Parasit stets bei der betreffenden Krankheit anzutreffen ist und zwar unter Verhältnissen, welche den pathologischen Veränderungen und dem klinischen Verlauf der Krankheit entsprechen, 2) durch den Nachweis, daß der Mikroorganismus bei keiner andern Krankheit als zufälliger Parasit vorkommt, und 3) durch die Möglichkeit, die betreffende Krankheit mittels Reinkulturen des Pilzes zu erzeugen. Die Erfahrungen, die man in dieser Weise sammelte, gaben nun auch die Sicherheit, daß gewisse Bakterien, bei welchen der dritte Nachweis versagt, doch als pathogen betrachtet werden können, wenn sie bei einer bestimmten Krankheit stets und ausschließlich vorkommen und sich durchaus wie die bereits sicher als pathogen erkannten Bakterien verhalten. Man hat ferner richtige Vorstellungen darüber gewonnen, ob die pathogenen Bakterien als ausschließliche oder nur gelegentliche Parasiten leben und wie sie sich in Wasser, Boden, Luft verhalten. Dies gibt Anhaltepunkte für die Prophylaxe, zumal auch für einige pathogene Bakterien ermittelt werden konnte, wie sie in den Körper eindringen. Durch genauere Erforschung des Verhaltens der pathogenen Bakterien im Körper werden manche pathologische Vorgänge verständlicher, so namentlich das häufige Vorkommen von Kombination mehrerer Infektionskrankheiten, von denen dann die eine als die primäre, die andre als die sekundäre zu betrachten ist. Letztere gibt der eigentlichen Krankheit einen abweichenden, besonders schweren Charakter oder schließt sich als Nachkrankheit an dieselbe an. Der Redner gedachte ferner der Stoffwechselprodukte der pathogenen Bakterien, welche auf die Symptome der Infektionskrankheit von Einfluß sind, vielleicht sogar die wichtigsten derselben bedingen. Die Erforschung der biologischen Verhältnisse der Bakterien hat viele Thatsachen geliefert, welche sich prophylaktisch verwerten lassen. Es war bekannt, daß direktes Sonnenlicht Bakterien ziemlich schnell tötet, es hat sich aber gezeigt, daß auch zerstreutes Tageslicht, wenngleich langsamer, Tuberkelbacillen tötete. Dicht am Fenster aufgestellte Kulturen starben in 5-7 Tagen ab. Alle Bakterien können nur im feuchten Zustand, niemals in der Luft sich vermehren, sie können nie von feuchten Flächen aus eignem Antrieb in die Luft übergehen, und nur diejenigen Bakterien können durch Luftströmungen verschleppt werden, welche im getrockneten Zustand längere Zeit lebensfähig bleiben. Neueste Färbungsmethoden geben weitern Aufschluß über den Bau der Bakterien, indem sie gestatten, einen Kern, die äußere Plasmahülle und die Geißeln besser zu unterscheiden. Ist es bisher nicht gelungen, die Erreger einer großen Anzahl der ausgesprochensten Infektionskrankheiten zu ermitteln, so beruht dies vielleicht darauf, daß es sich hier gar nicht um Bakterien, sondern vielleicht um Protozoen handelt, wie ja derartige Gebilde bei Malaria nachgewiesen worden sind. An praktischen Erfolgen der Bakteriologie ist die gewonnene Sicherheit der Desinfektion und die Kontrolle der Wasserfiltration zu nennen, ferner die Erkenntnis der Beschaffenheit des Grundwassers, der Kanalgase, der Nachweis pathogener Bakterien im Boden, im Staube, in Nahrungsmitteln, die Sicherheit der Diagnose in vereinzelten Fällen von Cholera und bei beginnender Tuberkulose. Direkt wirkende therapeutische Mittel hat die Bakteriologie bisher nur für Schutzimpfungen gegen einzelne Krankheiten geliefert. Für Infektionskrankheiten mit kurzer Inkubation und schnellem Verlauf dürfte auch wenig zu erwarten sein, wohl aber darf man für chronische Krankheiten noch viel von der Bakteriologie erwarten. Seit der Entdeckung der Tuberkelbacillen hat Koch nach Mitteln gegen die Tuberkulose gesucht, und zwar in der Art, daß er zunächst auf die Bacillen in Kulturen einzuwirken versuchte und dann zu Tierexperimenten überging. Sehr viele Substanzen halten das Wachstum, die Vermehrung der Bakterien in Kulturen auf, Cyangoldverbindungen schon in einer Verdünnung von 1:2,000,000, aber bei tuberkulösen Tieren blieben alle diese Substanzen wirkungslos. Erst bei weitern Experimenten gelang es, Substanzen zu finden, welche auch im Tierkörper das Wachstum der Bakterien aufhalten. Bei tuberkulösen Meerschweinchen konnte der Prozeß zum Stillstand gebracht werden, und mit der Substanz geimpfte Meerschweinchen reagierten nicht mehr auf eine Impfung mit Tuberkelbacillen. Der Redner bezeichnete seine Untersuchungen als noch nicht abgeschlossen, wollte aber schon jetzt eine Anregung zu weitern Forschungen in dieser Richtung geben (vgl. Tuberkulose).

In der zweiten Sitzung, am 6. Aug., sprach Bouchard - Paris über den Mechanismus der Infektion und der Immunität. Die Verteidigungsmittel des Körpers gegen die Angriffe der Bakterien sind die Phagocyten. Solange das vasomotorische Zentrum intakt ist, erweitern sich die Gefäße, die Phagocyten wandern aus und vernichten die auf der Oberfläche der Schleimhäute und der serösen Häute befindlichen Mikroben. Überwiegen die Bakterien, so wird das vasomotorische Zentrum durch das Eindringen der Bakterien in die Blutbahn gelähmt, und hierauf beruht der Zusammenhang zwischen Erkältung und Ansteckung, indem die Kälte die Gefäße zusammenzieht und das Austreten der Phagocyten hindert. Ein zweites Verteidigungsmittel ist der antibakterielle Zustand der Säfte, welcher erst eintritt, wenn die Bakterien ins Blut eingedrungen sind. Sie selbst erzeugen dann eigentümliche Substanzen, und das Blut und die Gewebssäfte wirken nun antibakteriell, halten die Vermehrung der Bakterien auf oder töten sie. Ist ein pathogenes Bakterium dank einer nervösen Störung ins Blut gelangt, dann trifft es entweder auf baktericide Säfte und geht zu Grunde, oder es findet günstige Bedingungen und vermehrt sich. Solange sich die Thätigkeit der Bakterien auf eine bestimmte Stelle beschränkt, ist von den Phagocyten Hilfe zu erwarten. Sind aber erst die giftigen Stoffwechselprodukte der Bakterien in hinreichender Menge ins Blut gelangt, dann sind die Phagocyten machtlos, und der Organismus ist auf das Eintreten des baktericiden Zustandes angewiesen. Tritt dieser ein, so hebt er auch die Lähmung des vasomotorischen Zentrums auf, der Phagocytismus greift wieder ein, und es erfolgt Heilung. Dabei bleibt aber der baktericide Zustand der Säfte bestehen, der Organismus