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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Orientierungssinn der Tiere

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Orientierungssinn der Tiere.

des Parsenpriesters Modi aus Bombay über die Geschichte der Parsen, über die monotheistische Richtung der Parsenreligion und über den Gott Haoma im Zendavesta. Über die Frage nach der Urheimat der Indogermanen sprach, an die Spuren einer duodezimalen Zählmethode in einigen indogermanischen Sprachen anknüpfend, Professor Johannes Schmidt aus Berlin; andre Probleme der vergleichenden Sprachwissenschaft behandelten der Schwede Professor Tegnér, ein Enkel des Dichters, Professor Esoff aus Petersburg, Professor Bugge aus Christiania, Professor Karolidis aus Athen, Dr. Schnorr von Carolsfeld aus München und Cust aus London. Professor O. Donner aus Helsingfors sprach über die alten Grabinschriften am obern Jenissei, deren Charaktere an die alten kleinasiatischen Alphabete erinnern. Professor Kern aus Leiden erörterte die malaiische Fabel vom Affen und der Schildkröte. In der ägyptologischen Sektion sprachen unter andern O. Beauregard über die Aussprache des Altägyptischen, Piehl über die beste Anordnung eines Hieroglyphenlexikons, Schiaparelli über eine unedierte Inschrift aus der Zeit des Königs Amenophis I., Amélineau über koptische Dichtungen, Marucchi aus Rom über die beabsichtigte Veröffentlichung der im Vatikan befindlichen Monumente durch Papst Leo XIII. Auch machte in den allgemeinen Sitzungen Brugsch-Pascha, der bekannte Ägyptolog, interessante Mitteilungen über neue Funde, und Cust las einen Brief der Ägyptologin Miß Edwards vor über die von Petrie in Fayûm entdeckten alphabetischen Inschriften angeblich aus der Zeit des Auszugs der Israeliten aus Ägypten. Die rasch aufblühende Sinologie war durch verschiedene Vorträge vertreten, z. B. von Leland über das sogen. Pidgin-English, eine merkwürdige Mischsprache in China, von Inouyé über die verschiedenen Ansichten der chinesischen Philosophen über die Natur des Menschen, von Daae über die Grundsteuer in China und von Boell über die Transliteration chinesischer Wörter. In den äußersten Ostens Asiens führte ein Vortrag von Stolpe über die auf der Osterinsel entdeckte Bilderschrift, und selbst das Gebiet der amerikanischen Indianersprachen wurde gestreift in einer Ansprache von Dr. Seybold aus Rio de Janeiro, den der damals noch regierende Kaiser von Brasilien zu dem Kongreß delegiert hatte. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, oft von großem Umfang, wurden von den Verfassern mit kurzen Ansprachen dem König oder dem Kongreß überreicht.

Einen schwungvollen poetischen Ausdruck des Dankes verlieh schließlich der Inder Dhruv in einer Sanskrit-Ode, die er in der Schlußsitzung dem Kongreß vorsang, wie auch der Parsenpriester Modi einen feierlichen Segensspruch in der Sprache des Zendavesta recitierte.

Orientierungssinn der Tiere. Die merkwürdige Thatsache, daß sich Tiere, die ihre Nahrung im weiten Umkreis suchen oder lange Jahreszeiten-Wanderungen anstellen, immer wieder zu ihrem Neste oder Futterplatz zurückfinden, bildet eins der dunkelsten Probleme der Tierseelenkunde. Sie ist zuerst an gewissen im Winter südwärts ziehenden und im Frühjahr zu ihrem alten Neste heimkehrenden Hausvögeln, wie Störchen und Schwalben, erhärtet worden, hat dann in dem Botendienst der Brieftauben ihre praktische Anwendung gefunden und ist bei den Amerikanern selbst für die Insekten sprichwörtlich geworden, sofern sie den geraden Weg zu einem entfernten Punkte, den wir als Luftlinie bezeichnen, nach Romanes »Bienenlinie« (bee-line) nennen, weil dort in manchen Gegenden der Gebrauch herrscht, eine Anzahl herumschweifender honigtragender Bienen zu fangen und sie dann von verschiedenen Punkten aus fliegen zu lassen, um durch dieselben geradeswegs zu ihrem Stocke geführt zu werden. Man hat diesen Orientierungssinn, der bei Vögeln, Pferden und Hunden durch vielseitige Erfahrungen allbekannt war, für manche niedere Tiere, namentlich für Insekten, durch Versuche festgestellt. So hat z. B. Fabre, einem Vorschlag Darwins folgend, einige gezeichnete Mauerbienen in eine Papierschachtel gesetzt und dieselbe verschlossen in eine gewisse Entfernung geführt. Es fanden, obwohl die Schachtel unterwegs verschiedene Male an einer Schnur im Kreise herumgewirbelt worden war, ca. 22 Proz. der Tiere den Rückweg zum Neste, wenn die Entfernung nicht über 3 km betrug, gleichviel, ob der Weg in gerader Linie oder auf Umwegen zurückgelegt worden war, oder ob sie im Walde oder im Freien fliegen gelassen wurden. Ähnliche Versuche hat Lubbock an Ameisen angestellt, indem er sie über drehbare Schachtelböden nach bestimmten Futterplätzen kriechen ließ, wobei sie in manchen Fällen durch die Umdrehungen, die einen Menschen, dem man die Augen verbunden hat, über die Richtung völlig unsicher machen, gar nicht gehindert wurden, alsbald wieder den richtigen Weg einzuschlagen. Mc Cook maß die Wege, welche die Honigameisen Nord- und Mittelamerikas nach den Eichenstämmen, von denen sie den Honig holen, einschlagen, und fand sie trotz oft bedeutender Entfernungen schnurgerade vom Neste zur Futterquelle laufend, wenn nicht Weghindernisse eine Abweichung von der geraden Verbindungslinie erforderten.

Zur Erklärung hat man sehr verschiedene Meinungen aufgestellt, und viele Ornithologen sind dem Beispiel Middendorffs gefolgt, zur Erklärung einen sechsten, magnetischen Sinn im Vogel anzunehmen, der ihm, wie eine innere Magnetnadel, immer zeige, wohin er sich zu wenden habe. Baird stellte 1866 die später oft wiederholte Behauptung auf, daß die Vögel übers Mittelmeer die Richtung der in geologischen Zeiten verschwundenen Landzungen verfolgten, denen sie ehemals gefolgt wären, und deren Erinnerung instinktiv geworden sei. Andre, wie F. v. Homeyer, wollten die Sache völlig mechanisch erklären, indem sie meinten, daß die Vögel im Herbst in nordost-südwestlicher Richtung mit den herrschenden Winden und im Frühjahr mit den in entgegengesetzter Richtung wehenden zogen. Dagegen behaupteten andre Beobachter wieder, daß sie vorwiegend gegen den Wind zögen, der ihnen den Geruch der Gegend, welcher sie zustrebten, zutrüge, und diese Erklärung wurde namentlich auf die Wege der Brieftauben angewandt. Die Erscheinung ist aber jedenfalls nicht so einfach, und es wirken höchst wahrscheinlich instinktiv gewordene Antriebe mit unmittelbaren Sinnesempfindungen und Schlüssen daraus zusammen. Als zweifellos kann betrachtet werden, daß für die Vögel der Gesichtssinn die leitende Rolle spielt, der sie, worauf schon Weismann aufmerksam machte, in der weitsichtigen Luft des Herbstes, bei ihrer bedeutenden Erhebung über den Erdboden, Wasserläufe, Inseln, jenseitige Ufer und vor ihnen ziehende Schwärme in weiten Entfernungen (von 30-40 engl. Meilen nach Pringle) erkennen läßt. Sie werden in der betreffenden Jahreszeit eine förmliche Kettenbrücke über den Ozean bilden. Astronomen haben wandernde Vögel im Lichtfeld ihrer