Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Preußen

741

Preußen (Geschichte).

Zinsen. Die Zahl der Sparkassenbücher vermehrte sich auf 5,3 Mill., im Durchschnitt entfielen auf ein Buch 584 Mk. Am höchsten ist der Einlagebestand in den Provinzen Westfalen (17,2 Proz. des Gesamtkapitals), Hannover (13,6 Proz.) und der Rheinprovinz (13,5 Proz.), am niedrigsten in den Provinzen Posen (1,33 Proz.), Westpreußen (1,53 Proz.) und Ostpreußen (1,66 Proz.). Die meisten Einlagen befinden sich in den städtischen (47,9 Proz.) und Kreis-, resp. Amtssparkassen (29,5 Proz.). Die Sparkassengelder sind nebst dem 209 Mill. Mk. betragenden Reservefonds meist in Hypotheken (52,4 Proz.) und Inhaberpapieren (33,2 Proz.) angelegt. Trotz der besonders in den westlichen Provinzen erfolgten Zinsherabsetzung auf 3 Proz. sind die Sparkassen in ihren Einnahmen im Vergleich zu frühern Jahren zurückgegangen, da sie die Einlagen auch zu niedrigern Zinsfuß anlegen mußten.

Geschichte

Die Sitzungen des Landtags dauerten 1890 fast fünf Monate, vom 15. Jan. bis 13. Juni; gleichwohl war ihr positives Ergebnis gering. Außer dem Haushaltsetat wurden bloß eine Erhöhung der Beamtenbesoldungen, das Rentengutsgesetz, die Eisenbahnvorlagen, die Reliktenversorgung der Volksschullehrer und das Notariatsgesetz beschlossen. Diese Unfruchtbarkeit der Verhandlungen hatte teilweise ihren Grund darin, daß die Thätigkeit des Abgeordnetenhauses durch die in den Februar fallenden Reichstagswahlen gehemmt wurde; ferner gaben bei den Budgetverhandlungen der Aufstand der Bergarbeiter in Westfalen 1889 und die sozialen Reformpläne der Regierung Anlaß zu eingehenden Besprechungen, und die Zentrumspartei brachte bei dem Kultusetat wieder alle vermeintlichen Klagepunkte in weitschweifigster Form vor, um ihre Wähler in der nötigen Kampfesstimmung zu erhalten; endlich übte der plötzliche Rücktritt Bismarcks eine so lähmende Wirkung aus, daß die Kartellmehrheit des Abgeordnetenhauses sich nicht einmal zu einer Kundgebung für den scheidenden langjährigen Ministerpräsidenten aufzuraffen vermochte. Dazu kam, daß mehrere Gesetzvorlagen von Bedeutung wegen Uneinigkeit der gesetzgebenden Faktoren nicht zum Abschluß gelangten, so das Gesetz über die Unterhaltung der schlesischen Flüsse, über den Ersatz des Wildschadens und über die Regelung der Schulpflicht. Besonders merkwürdig war das Schicksal des Sperrgeldergesetzes. Der Entwurf desselben wurde dem Abgeordnetenhaus 22. April 1890 vorgelegt, gerade 15 Jahre nach Erlaß des Gesetzes, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen vom 22. April 1875 (Brotkorbgesetz), dessen § 9 bestimmte, daß über die während Einstellung der Leistungen aufgesammelten Beträge eine gesetzliche Verwendung vorbehalten werde. Daß diese zu gunsten der katholischen Kirche erfolgen werde, war von der Staatsregierung wiederholt erklärt worden. Die aufgesammelten Beträge beliefen sich zusammen auf 16,013,731 Mk., die 3½proz. Rente hiervon auf 560,481 Mk. Der Gesetzentwurf bestimmte nun, daß diese Rente auf die verschiedenen römisch-katholischen Diözesen nach Maßgabe der aus ihnen eingekommenen Teile des Gesamtbetrags verteilt und die Unterverteilung auf Grund eines zwischen der Staatsregierung und den betreffenden kirchlichen Obern zu vereinbarenden Planes veranlaßt werde. Die Regierung hatte sich darüber Gewißheit verschafft, daß die päpstliche Kurie gegen diese Lösung der Frage nichts Anzuwenden habe. Und da der Staat zur Rückgabe der Sperrgelder durchaus nicht gesetzlich verpflichtet war, da niemand ein Recht auf Entschädigung hatte, so konnte der Gesetzentwurf als ein Beweis friedfertiger Gesinnung und des Wunsches nach Versöhnung gelten. Dennoch war die Zentrumspartei unter Führung des unermüdlichen Agitators Windthorst mit dem Entwurf, der »mit dem Recht und den Interessen der katholischen Kirche in Widerspruch« stehe, nicht einverstanden, sondern forderte entweder Entschädigung jedes einzelnen durch Einbehaltung der Zahlungen Geschädigten, was weder gesetzlich vorgeschrieben noch ausführbar war, oder bedingungslose Herauszahlung des ganzen Kapitals an die kirchlichen Behörden. Beides lehnte der Minister entschieden ab. In der evangelischen Bevölkerung regte sich aber der Unmut darüber, daß der katholischen Kirche große Geldsummen ohne Verpflichtung des Staates ausgeliefert werden sollten, während noch nichts für die ebenfalls versprochene Entschädigung der evangelischen Kirche für die Aufhebung der Stolgebühren geschehen war. Da nun bei der ablehnenden Haltung der Zentrumspartei der friedliche Zweck der Vorlage nicht erreicht werden konnte, so erklärten die Nationalliberalen und dann die Konservativen, welche anfangs der Annahme der Vorlage geneigt gewesen waren, sie nur dann annehmen zu wollen, wenn das Zentrum ihr zustimme. Auch mußte dieses sich überzeugen, daß die römische Kurie und ein Teil der preußischen Bischöfe, namentlich der Fürstbischof Kopp von Breslau, gegen die Vorlage nichts einzuwenden hätten. Aber der ultramontane Graf Strachwitz hatte gleich bei der ersten Lesung in einer äußerst heftigen Rede die Vorlage als Konfiskation und Diebstahl bezeichnet, und nun konnten auch die gemäßigten Zentrumsmitglieder nicht zurück, während die Intransigenten, vor allem der Welfe Windthorst, einen Agitationsstoff wie das Sperrgesetz nicht verlieren mochten. So wurde denn das Sperrgesetz 7. Juni mit allen Stimmen gegen 14 der Deutschfreisinnigen, welche sich aus Wahlrücksichten nicht die Ungnade des Zentrums zuziehen mochten, abgelehnt, und der Kultusminister v. Goßler deutete an, daß so bald keine neue Vorlage in dieser Sache erfolgen werde.

Da das Abgeordnetenhaus den Staatshaushaltsetat nicht so rechtzeitig zu Ende beraten hatte, daß auch das Herrenhaus ihn vor 1. April hätte erledigen können, wurde die gesetzliche Gültigkeit des vorjährigen Etats durch ein besonderes Gesetz verlängert, damit das Herrenhaus die Beratung auch nach dem 1. April vornehmen konnte. Der Etat ergab in endgültiger Feststellung in Einnahme und Ausgabe 1,593,093,513 Mk., an welcher Summe die Eisenbahnverwaltung den höchsten Anteil hatte; sie ergab allein 853 Mill. Einnahmen, die übrigen Betriebsverwaltungen des Staates (Domänen, Forsten, Bergwerke etc.) 230 Mill.; aus der Reichskasse flossen 200 Mill., während die direkten Steuern und Gefälle nur 200 Mill. brachten. Die Finanzlage war günstig; die Überschüsse der Finanzjahre 1887/88 betrugen 50, 1888/89: 68¼, 1889/90 fast 90 Mill., welche Überschüsse fortan zur Tilgung der Staatsschulden verwendet werden sollen. Die Staatsschuldenlast belief sich 1890 auf 5200 Mill. Mk.

Die in der Eröffnungsrede 15. Jan. 1890 für später in Aussicht gestellte Steuerreform wurde in dieser Sitzungsperiode nicht vorgelegt, ebensowenig die dringend notwendige Landgemeindeordnung und das Gesetz über die Schulunterhaltungspflicht. Doch ließen die Ausführungen des neuen Ministerpräsiden-^[folgende Seite]