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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zinsfuß

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Zinsfuß (Geschichtliches).

und örtliche Ausgleichung seiner Höhe im Gefolge. 5 Proz. Zinsen werden im 16. Jahrh. für den Rentenkauf gesetzlich. Aber auch die Juden sollen nach den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 nicht über 5 Proz. nehmen. Indes scheint diese letztere Ordnung damals etwas verfrüht, und kaum wurde ihr auch nachgelebt; denn wir wissen, daß beispielsweise 1538 in Frankfurt 10½ Proz. im Darlehnsverkehr gezahlt wurden, und selbst 1614 der übliche Satz noch bei 8 Proz. stand. Erst im 17. Jahrh. werden 5 und 6 Proz. allgemein. Die formelle Aufhebung des kanonischen Zinsverbotes ist in Partikulargesetzgebungen schon vielfach im 16. Jahrh. erfolgt. 1654 wird sie auch von Reichswegen ausgesprochen und 5 Proz. Zinsen als statthaft erklärt. Doch haben viele Partikulargesetzgebungen unter dem Einfluß des römischen Rechts 6 Proz. nach Justinian angenommen, und so werden denn allgemein 5 Proz. als legitim; aber doch erst mehr als 6 Proz. als wucherisch erklärt. Der Zins von 5 Proz. blieb nun, ähnlich wie jene 12 Proz. des spätern Altertums, lange Zeit aufrecht im mittlern Europa. Allmählich aber bahnte sich, von Holland ausgehend, eine weitere Erniedrigung des Zinses an. Holland ist im 17. Jahrh. an die Spitze der seefahrenden Nationen getreten. Im Handel mit Kolonialwaren fallen ihm große Gewinne zu, welche nach Anlage suchen. Dies bewirkt ein Herabgehen des Zinsfußes. Bereits 1655 werden 4 Proz. als gesetzlich erklärt, nachdem noch 1640 5 Proz. zur Taxe gestempelt worden waren. Und weitere 15 Jahre später (1671) schreibt Pieter de la Court: »Es ist ein großer Vorteil für den holländischen Handel, daß Geld dort gegen 3½ Proz., ja selbst gegen 3 Proz. jährlich, ohne einiges Unterpfand, auch an Kaufleute geliehen wird.« Dürfen wir derart um diese Zeit 3½ Proz. als den in Holland üblichen Zins ansehen, so haben wir im Laufe des darauf folgenden Jahrhunderts, bis gegen 1780, ein Sinken bis auf 2¾ und 3 Proz. zu konstatieren. Neidischen Blicks sieht das auf Hollands Macht eifersüchtige England Cromwells auf dieses unanfechtbare Zeichen wirtschaftlicher Blüte bei seinem Rivalen. In England waren 10 Proz. Zins bis 1624 legitim gewesen. In jenem Jahre wurde der Satz auf 8 Proz. und in der Mitte des 17. Jahrh. (1651) auf 6 Proz. ermäßigt. Weiter kam man zunächst nicht. Ja, in der Praxis scheint vielfach selbst jener gesetzliche Zins von 6 Proz. nicht beobachtet, sondern statt seiner 7 Proz. noch das ganze 17. Jahrh. die Regel gewesen zu sein. Die Thatsache dieses höhern Zinses wurde damals von der volkswirtschaftlichen Litteratur zum Gegenstand lebhafter Erörterung gemacht, und man frug sich, wie es wohl anzustellen sei, um eines Zinsfußes wie des holländischen habhaft zu werden. Aus den hier gefallenen Anregungen ging 1694 die Gründung der Bank von England hervor. Und im darauf folgenden 18. Jahrh., um die Mitte desselben, holt Großbritannien endlich die Niederlande nahezu ein. In allmählichem Sinken geht der Z. insbesondere unter dem Einfluß der Friedensperiode von 1714 bis 1739 bis auf 4 und 3 Proz. Die Konsols, das englische Rentenpapier, werden schon 1737 zu einem Kurse gekauft, der nicht über 2⅘ Proz. an Zinsen abwirft. Auch im zentralen Mitteleuropa, in Deutschland, ermäßigt sich um diese Zeit der Zins.

Die Zeit etwa von 1730 bis 1780 ist danach als eine erste Tiefstandsperiode für den europäischen Z. zu bezeichnen. Gegen Schluß des vorigen Jahrhunderts stieg der Z. wieder. England sah sich in seinem Kriege mit Frankreich genötigt, die Staatsschuld um 604 Mill. Pfd. Sterl. zu vermehren. Ein noch weit größerer Betrag wurde aber in Gestalt von Steuern der Bevölkerung abgefordert. Aus diesen Summen, die natürlich nur aus Überschüssen, aus Ersparnissen der Anlehnszeichner und Steuerträger sich rekrutieren konnten, und wovon unter normalen Verhältnissen jedenfalls sehr erhebliche Teile der Industrie, überhaupt der wirtschaftlichen Verwendung zugeflossen wären, war nun nichts für den wirtschaftlichen Zweck verfügbar. Der Z. erreichte unter dem Einfluß dieses und andrer Faktoren während des Krieges eine seit Jahrzehnten ungekannte Höhe. Konsols fanden 1798 Käufer nur zu einem Kurse, der einer 6proz. Verzinsung und darüber entsprach. Aber auch nach Beendigung des Krieges stellten sich die alten Verhältnisse nicht wieder ein. In England werden etwa 4 Proz. Zins die Regel. In Deutschland und Frankreich bezahlt man um die gleiche Zeit 6, bald nachher 5 Proz. England hatte, während es Krieg mit Napoleon führte, gleichzeitig seiner Volkswirtschaft die mächtigsten Impulse gegeben, d. h. eine eigentliche Großindustrie geschaffen und sich auf ein wirtschaftliches Niveau hinaufgearbeitet, dem gegenüber seine ungeheuern Kriegsausgaben nicht in derartigem Mißverhältnis standen wie in den kontinentalen Staaten. Es hatte Überschüsse bereit, die sich zur Anlage anboten. Aber gleichzeitig war die Produktivität, die jeder Neuanlage von Kapitalien in dieser Zeit in Aussicht stand, hoch genug, um den Z. sein früheres niedriges Niveau vorerst nicht gewinnen zu lassen. Bei alledem zeigte sich der englische Z. wesentlich niedriger als jener in Frankreich und Deutschland.

Mit Beibehaltung der vorgenannten Unterschiede zwischen dem Z. Englands und dem des Kontinents geht derselbe in der Friedenszeit des zweiten Viertels unsers Jahrhunderts zurück. Im dritten Viertel hebt er sich wieder. Es ist jetzt der Ausbau der Eisenbahnen, der große Massen Kapitals in Anspruch nimmt und festlegt. 1866 in England, 1870 in Deutschland erreicht der Z. seinen Höhepunkt. Er ist, wenn man nach dem Kurse der zinstragenden Staatspapiere (dem besten Maßstab) urteilen will, in England 1866 3,4 Proz., in Preußen und zugleich auch im übrigen Deutschland 5 Proz. Seitdem ist der Z. wieder gesunken. Gegenwärtig steht der Kurs der zu 2¾ Proz. verzinslichen Konsols nahezu auf pari, d. h. 100. 1880-84 waren noch die damals 3proz. Konsols nur knapp über pari, im Durchschnitt jener 5 Jahre nämlich 100 17/80, so daß nur 1880-84 gegen 1890 zweifellos ein Sinken des Zinsfußes von 3 auf 2¾ Proz. vorliegt. Die Raschheit dieses Sinkens ist bemerkenswert. Denn um von 3,4 Proz. auf 3 Proz. Zinsertrag herabzugehen, hatten englische Konsols immerhin 15 Jahre (von 1866 bis auf 1881) gebraucht. Weit stärker aber als auf dem englischen Markte ist das Sinken auf dem in den 60er und 70er Jahren noch durch hohe Zinsen ausgezeichneten deutschen Markte gegangen. In Berlin notierte im Mai 1890 die 3½proz. Reichsanleihe 101⅕, derart, daß sie ein ganz klein wenig unter 3½ Proz. abwirft. In Deutschland ist also der Z. für in Effekten niedergelegte Leihkapitalien seit 1870 um volle 1½ Proz., nämlich von 5 auf 3½ Proz., gesunken. Nicht anders steht es in Frankreich. In Paris notierte im Mai 1890 3½proz. Rente 89,80-89,90, was einem Z. von 3½ Proz. entspricht. 1871 stand sie 50,35, warf also rund 6 Proz. ab. Allerdings hing dieser Z. mit dem Kriegsunglück des Landes und den Schuldenmassen, die immer neu auf den Anlagemarkt gesandt werden mußten, eng zusammen. Man geht