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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Kartelle (Rechtsschutz in Österreich etc.; Schutz gegen Ausschreitungen)
kein Mitglied Verträge abschließen dürfe, verstoße an und für sich nicht gegen Gesetz und Ordnung. Vielmehr sei volkswirtschaftlich anerkannt, daß neben dem freien Wettbewerb als Kräfte der Preisbildung auch Verabredungen, bald der Käufer, bald der Verkäufer, auf diese einwirken könnten, und daß, besondere Fälle ausgenommen, dabei Einwirkungen auf die Preisbildung keineswegs als Wucher bezeichnet werden dürften. Auch das Reichsgericht befaßte sich in einer Entscheidung vom 5. Juli 1890 mit der Kartellfrage.
Dasselbe tritt den Ausführungen entgegen, nach welchen in der Verfolgung des Zweckes des Börsenvereins der deutschen Buchhändler, die Einhaltung bestimmter Normen für den Kundenrabatt seitens sämtlicher Genossen zu erwirken, schon an sich eine rechtswidrige Beeinflussung der freien Preisbildung, auf welche der Verbraucher ein Recht habe, liegen soll.
Aus dem Grundsatz der Gewerbefreiheit folge keine Unantastbarkeit des freien Spieles wirtschaftlicher Kräfte in dem Sinne, daß den Gewerbtreibenden der Versuch untersagt wäre, im Wege genossenschaftlicher Selbsthilfe die Bethätigung dieser Kräfte zu regeln und von Ausschreitungen, die für schädlich erachtet würden, abzuhalten.
Anders schon liegt die Sache in Österreich. Nach einem österreichischen Gesetz vom 7. April 1870, das ähnliche Bestimmungen trifft wie H 152 der deutschen Gewerbeordnung, wird ausdrücklich bemerkt, daß die bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen, welche sich auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beziehen, auch auf solche Verabredungen von Gewerbsleuten Anwendung finden, welche zu dem Zwecke getroffen werden, um den Preis einer Ware zum Nachteil des Publikums zu erhöhen. Und in Frankreich wurde in einem Erkenntnis des Handelsgerichtes zu Epinal ein 1886 abgeschlossener Vertrag über die Höhe des Warenpreises für nichtig erklärt in Erwägung, daß die Freiheit des Handels und der Industrie in Frankreich eine Frage der öffentlichen Ordnung fei. Dagegen bietet die bestehende Gesetzgebung in England den Kartellen vollständig freien Spielraum zur Entwickelung. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika war seither der Beitritt von Korporationen verschiedener Staaten als solchen zu einer Gesellschaft gesetzlich nicht zugelassen.
Dies hinderte keineswegs die Bildung mächtiger Trusts. Nun waren aber doch von vielen derselben im Kampfe mit ihnen entgegenstehenden Interessen Mittel in Anwendung gebracht worden, welche allgemeinen Unwillen erregten. Dazu kamen Konkurrenzneid, Eifersüchtelei und Parteiinteresse. So gelang es denn, Gesetze gegen die Trusts durchzubringen, welche zum Teil den Charakter der Einseitigkeit tragen, so in Michigan, wo von den Bestimmungen des Gesetzes sämtliche Vereinigungen der Landwirte und Lohnarbeiter ausgeschlossen sind, welche die Preissteigerung ihrer eignen Erzeugnisse bezwecken. Auch in Missouri, Kansas und Texas wurden die gewerblichen Trusts oder ihnen ähnliche Verbindungen, welche gleiche Zwecke wie diese verfolgen, gesetzlich verboten; die Übertretung des Verbotes wurde mit strengen Strafen bedroht. Doch wurde das Gesetz Missouris inzwischen bereits in gerichtlichen Entscheidungen für verfassungswidrig" erklärt. Zu den Gesetzen der einzelnen Staaten kam das für das Gebiet der ganzen Union gültige Bundesgesetz vom 2. Juli 1890. Durch dasselbe werden Verträge und Vereinigungen, welche in Form von Trusts oder in andrer Weise zur Beschränkung von Handel und Verkehr zwischen den einzelnen Staaten (bez. Ter ritorien) oder mit dem Ausland geschlossen werden, bei Strafe von 5000 Doll. oder (und) 1 Jahr .haft als rechtsungültig erklärt. Wer irgend einen Teil des Handels oder Verkehrs zwischen den einzelnen Staaten oder mit dem Ausland monopolisiert oder zu monopolisieren versucht oder sich mit einer andern Person oder andern Personen dazu verbindet, macht sich eines Vergehens schuldig und wird nach erfolgter Überführung mit Geldstrafe bis zu 5000 Doll. oder mit Haft bis zu 1 Jahr oder mit beiden genannten Strafen belegt, je nach Befinden des Gerichtshofes. Güter, die durch einen Vertrag oder durch eine Vereinigung der erwähnten Art erworben (und Gegenstand derselben) sind und auf dem Transport aus einem Staate nach einem andern oder nach dem Ausland sich befinden, verfallen den Vereinigten Staaten und können mit Beschlag belegt und konfisziert werden nach demselben Verfahren, wie dies für die Beschlagnahme und Konfiskation von Gütern vorgesehen ist, welche gesetzwidrig in die Vereinigten Staaten eingeführt werden. Wer in seinem Geschäft oder Besitz durch eine andre Person oder Körperschaft durch etwas, was durch dieses Gesetz verboten oder als rechtswidrig erklärt ist, geschädigt wird, kann deshalb bei einem Bezirksgericht der Vereinigten Staaten in dem Distrikt, in welchem der Beklagte wohnt oder sich befindet, ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitobjektes klagbar werden und Ersatz des dreifachen Betrages des erlittenen Schadens nebst den Prozeßkosten einschließlich einer angemessenen Anwaltsgebühr erhalten Der im Gesetz gebrauchte Ausdruck »Person« soll auch Körperschaften und Gesellschaften umfassen, welche auf Grund der Gesetze der Vereinigten Staaten, eines der Territorien, eines Staates oder eines fremden Landes bestehen oder durch dieselben genehmigt sind. In einigen Fällen ist dieses drakonische Gesetz bereits mit Erfolg angewandt worden, doch hat es die Entstehung neuer Trusts nicht zu hindern vermocht. Aus frühern Vorkommnissen ist die Strenge des Gesetzes wohl erklärlich. Ob es aber für die Dauer bestehen bleiben kann, ist schon deswegen Zu bezweifeln, weil es außer den als schädlich bekämpften Vereinigungen auch alle echt legitimen und wirtschaftlich vorteilhaften Verbindungen untersagt.
In Kanada sind dagegen Verbindungen zwischen Korporationen oder einzelnen Personen zu einem Trust gesetzlich zugelassen. Dagegen ist man dort bestrebt, alle volkswirtschaftlich schädlichen Auswüchse der Trusts zu beseitigen, indem durch Gesetz alle ungebührlichen Preistreibereien sowie die Ausübung eines unbilligen Zwanges gegenüber den Konkurrenten nlit Strafen bedroht worden sind.
Als Mittel, um etwanigen Ausschreitungen von Kartellen vorzubeugen, wurde schon mehrfach der Schutzzoll vorgeschlagen, mit dessen Aufhebung gedroht werden könne, wenn die Preise übermäßig hoch geschraubt würden. Doch kann dem Zoll keine solche elastische Gestalt verliehen werden, daß er nach Bedarf bald eingeführt, bald wieder aufgehoben wird. Auch würden bei Anwendung dieses Mittels viele Unschuldige neben einigen Schuldigen getroffen werden. Andre stellen das Verlangen, es sollten die K. nicht allein rechtlich anerkannt, sondern auch als Mittel benutzt werden, um sozialen Anforderungen in Zweckmäßiger Weise zu genügen. Die K. sollen dem entsprechend zu Zwangsgenossenschaften umgebildet und ihnen das Recht zum ausschließlichen Betrieb der von ihnen vertretenen Gewerbe zuerkannt werden. Als Gegenleistung hierfür sollten sie be-