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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Anschauungsunterricht; Anschießen; Anschirren

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Anschauungsunterricht – Anschirren

grifflichen Faktors der gegenständlichen Erkenntnis ist A. eigentlich nicht mehr eine fertige Bewußtseinsgestalt, sondern ein bloß in der abstrakten Zerlegung der Erkenntnisbedingungen isolierbarer Bestandteil des bestimmten Bewußtseins eines Gegenstandes, und in dieser engern Bedeutung von der A. im ursprünglichen und gewöhnlichen Sinne wohl zu unterscheiden. Der Gegenstand ist für die so verstandene A. erst unbestimmter (noch zu bestimmender) Gegenstand; nennt ihn Kant «gegeben», so ist er doch nicht ein schon erkannter, worauf der Begriff dann bloß weiter zu bauen hätte; er ist gegeben eigentlich nur im Sinne der gestellten Aufgabe (der Erscheinung den Gegenstand zu bestimmen). Daher deckt sich bei Kant der «unbestimmte» Gegenstand der A. mit der «Erscheinung». Weiter unterscheidet Kant an der A. selbst einen reinen und empirischen Bestandteil. Das Reine oder die Form der A. (d. h. das Gesetzmäßige an ihr, welches den Grundcharakter der A. überhaupt bestimmt) ist die Ordnungsweise des Mannigfaltigen in Raum und Zeit, während das bestimmte Gegebensein eines Anschaulichen (hier und jetzt) im Raume und in der Zeit (genauer: was ein Hier und Jetzt in Raum und Zeit bestimmbar macht, nämlich die Empfindung) die Materie oder das Empirische der A. heißt. Kant nennt dann auch Raum und Zeit selbst «reine A.», was aber nicht darüber täuschen darf, daß eine gesonderte (also empfindungsfreie) A. von Raum und Zeit, ohne Etwas in beiden, nicht möglich ist, und daß andererseits die bloße Form oder Gesetzlichkeit des räumlich-zeitlichen Anschauens nicht selbst ein Gegenstand der A., sondern nur des Begriffs ist. (Über sinnliche und intellektuelle A. sowie über den Unterschied zwischen äußerer und innerer A. s. Intellektuell, Sinnlichkeit und Sinn.) – In unbestimmtester Bedeutung versteht man unter A. dasselbe wie Ansicht, d. h. die subjektive Auffassung von irgend einer Sache. So spricht man von Weltanschauung, Lebensanschauung u. s. w. und meint damit, die Gesamtvorstellung von Welt und Leben, die der Einzelne sich gebildet hat.

Anschauungsunterricht, zunächst das Unterrichtsprincip, wonach jeder Unterricht, auch auf den obern Stufen, von der Anschauung, d. h. von der Betrachtung wirklicher Gegenstände, von bildlichen Darstellungen, Modellen, konkreten Beispielen oder den Erfahrungen und Erlebnissen des Kindes ausgehen und daran anknüpfen soll, dann aber auch ein besonderes Unterrichtsfach in den Elementarklassen der Volksschule, das die Aufgabe hat, auf gleicher Grundlage die Anschauungen der Kinder in den verschiedenen Bereichen der Natur und des Menschenlebens zu klären, zu ordnen, zu erweitern und zu vervollständigen, die Sinne zu üben, die Sprache zu entwickeln und dadurch die Schüler zur Erfassung der verschiedenen Unterrichtsgegenstände, die aus dem A. hervorgehen, zu befähigen. Der Grundsatz, daß alle Wissenschaft von der Anschauung, der sinnlichen Erfahrung, auszugehen habe, wurde zuerst von Baco von Verulam und von John Locke mit Entschiedenheit geltend gemacht. Amos Comenius erfaßte ihn ebenso energisch in Bezug auf den Unterricht und machte in seinem «Orbis pictus» (s. d.) einen Versuch, ihn praktisch zur Ausführung zu bringen. In den Anstalten von Aug. Herm. Francke in Halle und ebenso in den Realschulen zu Berlin und Halle, jene von Hecker, diese von Semler gegründet, wurde der Unterricht gleichfalls auf die Anschauung begründet. ^[Spaltenwechsel] Vor allem haben Rousseau und die Philanthropen, mit Basedow an der Spitze, das Ausgehen von der Anschauung im Gegensatz zum Wortunterricht gefordert, und auch Freiherr von Rochow gründete den Unterricht in seiner Schule zu Rekahne bei Brandenburg a. d. H. auf das gleiche Princip. Das Verdienst, es zu allgemeiner Anerkennung gebracht und die Anschauungsübungen wirklich eingeführt zu haben, gebührt Pestalozzi. Seine Ideen darüber und seine Methode hat er in dem «Buch der Mutter» und «Wie Gertrud ihre Kinder lehrt» niedergelegt. Seitdem ist der A. auch als besonderes Fach des Elementarunterrichts vielfach bearbeitet worden, so von von Türk, Harnisch, Grasmann, Denzel, Diesterweg, Graser, Gräfe, Curtmann, Karl Richter, Kehr, Dittes, Klauwell u. a. Einige Pädagogen, Vertreter der Normalwortmethode, wie Klauwell, wollen ihn nur zum Begleiter des Schreibleseunterrichts machen, und zwar sollen die Normalwörter die Gegenstände der Behandlung angeben; die meisten jedoch verlangen einen besondern, selbständigen A. Entschiedene Gegner des A. sind Karl von Raumer, Völter und Palmer. Das Regulativ für die preuß. Volksschulen vom 4. Okt. 1854 und die allgemeinen Bestimmungen vom 15. Okt. 1872 halten einen gesonderten A. nicht für erforderlich; die mündlichen Übungen im Ausdrucke sollen nur den Schreib- und Leseunterricht vorbereiten und ihn auf seinen weitern Stufen begleiten. Die Normallehrpläne anderer Staaten dagegen, wie Baden und Württemberg, ordnen ihn an und geben seinen Inhalt an. Die gegenwärtigen Pädagogen erkennen ihn fast allgemein als notwendig an. – Vgl. K. Richter, Der A. in den Elementarklassen (3. Aufl., Lpz. 1887); Schäfer, Geschichte des A. (in Kehrs «Geschichte der Methodik», 2. Aufl., Gotha 1888); Harder, Handbuch für den A. (10. Aufl., Hannov. 1891); Heinemann, Handbuch für den A. (6. Aufl., Berl. 1892); Faßbach, der A. in Theorie und Praxis (Lpz. 1892); Kehr, Der A. (4. Aufl. von Kleinschmidt, Gotha 1893); Hartmann, Die Anschauung im neusprachlichen Unterricht (Wien 1895); Martig, Auschauungspsychologie mit Anwendung auf die Erziehung (3. Aufl., Bern 1895).

Anschießen von Handfeuerwaffen ist die Prüfung derselben auf Treffgenauigkeit, Genauigkeit der Visiereinrichtung und bisweilen auch auf Flughöhe. Die Schießvorschriften der einzelnen Armeen enthalten über das A. von Gewehren und Revolvern besondere Bestimmungen. – Unter A. (in Österreich Beschießen) versteht man auch den Teil der Untersuchung von Geschützrohren, welcher in der Abgabe einer Anzahl von Schüssen unter regelrechten Ladungsverhältnissen, oft auch mit vergrößerter Ladung oder erhöhtem Geschoßgewicht besteht. Das A. soll solche Fehler der Rohre aufdecken, die durch bloße Untersuchung nicht gefunden werden können, oder es soll bei Rohren mit geringen Fehlern zeigen, ob die Haltbarkeit oder die Trefffähigkeit durch diese leidet.

Anschirren, die Zugtiere mit den notwendigen Vorrichtungen versehen, damit ihre Zugkraft ausgenutzt werden kann. Beim Pferde unterscheidet man das Brustblatt- oder Silengeschirr (Fig. 1.) und das Kummetgeschirr. Das erstere ist für leichtere Zugarbeit geeignet und besteht aus einem breiten, um die Brust des Pferdes gelegten Riemen, der durch den Bauchgurt und den Widerristriemen in seiner Lage erhalten wird. Das Kummetgeschirr