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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Berufsgenossenschaft

sation und unter Beschränkung ihrer Zwecke auf eine reichsrechtliche Unfallversicherung. Die B. sind für bestimmte Bezirke (teils das ganze Reich, teils einzelne Teile desselben) gebildet und umfassen innerhalb desselben alle Betriebe derjenigen Berufszweige, für die sie errichtet sind. Nur gewisse fiskalische Betriebe, sowie kommunale Regiebaubetriebe bleiben unter Umständen außerhalb der B. und haben dann die Unfallversicherung durch besondere Ausführungsbehörden (s. d.) durchzuführen. In der Bestimmung, daß die B. alle Betriebe umfassen, liegt ihr Zwangscharakter; jeder beitragspflichtige Unternehmer ist kraft Gesetzes Mitglied derjenigen B., welche für den betreffenden Bezirk und Berufszweig des Unternehmers errichtet worden ist. Die Bildung und Abgrenzung der B. ist teils unmittelbar durch Gesetz, teils in Ausführung der Gesetze durch Beschlüsse der Beteiligten, die der Genehmigung des Bundesrats bedürfen, erfolgt.

Gliederung. Die nicht lediglich handwerksmäßig betriebene Industrie hat sich auf Grund von §. 2 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 in 55 B. gegliedert; dazu treten die auf Grund des Ausdehnungsgesetzes vom 28. Mai 1885 in gleicher Weise errichteten 2 Eisenbahn-, 3 Binnenschiffahrts-, 1 Fuhrwerks-, 1 Speditions-, Speicherei- und Kellerei-B. Zu diesen 62 B. kommen die durch das Bauunfall- und Seeunfallversicherungsgesetz (vgl. Gesetze vom 11. und 13. Juli 1887) errichtete Tiefbau-B. und See-B., sowie 48 Land- ^[richtig: land-] und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaften (s. d.), welche gemäß §§. 18 und 110 des landwirtschaftlichen Unfallversicherungsgesetzes vom 5. Mai 1886 teils durch die Landesgesetzgebung, teils durch den Bundesrat errichtet worden sind. Insgesamt giebt es also jetzt 112 B. Für die B. ist amtlich eine bestimmte Reihenfolge mit fortlaufenden Nummern festgesetzt; die landwirtschaftlichen B. haben dabei ihre eigenen Nummern und unterscheiden sich von den übrigen durch ein vorgesetztes L.

Alphabetische vom Reichsversicherungsamt aufgestellte Verzeichnisse ergeben für die industriellen B. diejenigen Berufszweige, welche den einzelnen B. angehören; sie sind in den «Amtlichen Nachrichten des Reichsversicherungsamtes» (Ⅰ, 254; Ⅱ, 134, 204; Ⅲ, 132, 296) abgedruckt. Über die Organisation dieser B. bestehen anderweite Veröffentlichungen des Reichsversicherungsamtes. Vgl. Amtliche Nachrichten, Ⅶ, 291; Ⅹ, 201.

Umfang der einzelnen B. Die B. umfassen begrifflich nicht die sämtlichen in ihren örtlichen Bezirken vorhandenen Betriebe aller Art, sondern nur die der betreffenden Gruppe angehörenden unfallversicherungspflichtigen Betriebe und Betriebszweige, außerdem aber auch die Nebenbetriebe der betreffenden Unternehmer, auch wenn diese Nebenbetriebe, sofern sie selbständig wären, zu einer andern B. gehören würden. Je nach der Dichtigkeit, in welcher der betreffende Berufszweig in den einzelnen Gegenden des Deutschen Reichs sich findet, und je nach dem Umfange des Berufszweigs selbst sind denn auch die Bezirke der B. verschieden. Die land- und forstwirtschaftlichen B. schließen sich durchweg an die Verwaltungseinteilung der einzelnen Bundesstaaten an und umfassen die einzelnen Provinzen der größern, sowie die ganzen Staatsgebiete der kleinern Bundesstaaten; sie beschränken sich im allgemeinen auf das Gebiet je eines Bundesstaates, und nur an einzelne preußische landwirtschaftliche B. sind auch Staatsgebiete benachbarter kleiner Bundesstaaten angeschlossen. Von den übrigen B. umfassen 28 das ganze Reich, 24 das Gebiet oder Gebietsteile mehrerer Bundesstaaten und nur 12 beschränken sich auf das Gebiet je eines einzigen Bundesstaates (davon 6 auf Preußen, 2 auf Bayern, 2 auf Sachsen, 1 auf Württemberg, 1 auf Elsaß-Lothringen). Eine Folge dieser Einteilung ist nicht nur, daß die Zahl der zu den einzelnen B. vereinigten Betriebsunternehmer und die Zahl der von denselben beschäftigten versicherten Personen überaus verschieden ist (so u. a. bei der Müllerei-B., der Rheinisch-Westfälischen Hütten- und Walzwerks-B., der Brennerei-B.), sondern auch, daß die Bezirke der einzelnen B. sich nicht miteinander decken, sondern einander kreuzen, und daß an jedem Orte Deutschlands so viel B. arbeiten, als Gruppen von Berufszweigen an diesem Orte vertreten sind. Insbesondere sind in großen Städten eine ganze Reihe von einzelnen B. thätig. Wird hierdurch die Verwaltung immerhin erschwert, so ergiebt sich doch aus der Gruppierung nach Berufszweigen der große unverkennbare Vorteil, daß die durch ihren Beruf einander nahe stehenden Unternehmer nun auch ihre socialpolit. Interessen gemeinsam wahrnehmen; sie bietet insbesondere auch Vorteile für den Erlaß zweckdienlicher Unfallverhütungsvorschriften, welche, weil von den Interessenten selbst erlassen, den schwierigen Mittelweg zwischen zu großer Strenge und zu geringen Anforderungen innehalten.

Organisation. Die B. sind jurist. Personen mit Selbstverwaltung. Letztere ist bei den land- und forstwirtschaftlichen B., wenn auch nicht beseitigt, so doch zurückgedrängt, insofern nämlich die laufende Verwaltung dieser B. von der Genossenschaftsverwaltung oder durch Landesgesetz an Organe der ständischen Selbstverwaltung oder an andere Beamte übertragen werden darf; doch dürfen einzelne wichtige Angelegenheiten, insbesondere die Beschlußfassung über das Statut und über Abänderungen desselben, der selbständigen rechtskräftigen Entschließung der Mitglieder der B. nicht entzogen werden (§§. 26, 110 des landwirtschaftlichen Unfallversicherungsgesetzes vom 5. Mai 1886). Die B. können nach örtlichen Bezirken in Sektionen eingeteilt werden,wodurch eine Decentralisation herbeigeführt wird. Ihre Organe sind die Genossenschaftsversammlung, die auch aus Delegierten bestehen kann, ferner der Genossenschaftsvorstand, die Sektionsversammlung und der Sektionsvorstand, örtliche Vertrauensmänner sowie beamtete Beauftragte (s. d.). Mit Ausnahme dieser Beauftragten fungieren die übrigen Organe in unbesoldetem Ehrenamte, doch darf ihnen Entschädigung für Zeitverlust gewährt werden. Für die Besorgung des innern Geschäftsgangs können besoldete Bureau-, Kanzlei- und sonstige Beamte angestellt werden, zu denen auch die sog. Geschäftsführer gehören (s. unten).

Wenn auch von dem Zwange zur Teilnahme an den Geschäften der B. in erster Linie der Arbeitgeber berührt wird, so beteiligen sich doch auch die Arbeitnehmer an einzelnen Aufgaben der B., insbesondere an der Wahl der Beisitzer der Schiedsgerichte, an den Unfalluntersuchungen und an den Beratungen über Unfallverhütungsvorschriften.

Die Aufgabe der B. besteht in der Durchführung der Unfallversicherung; in Erfüllung dieser Aufgabe sind sie an die gesetzlichen Bestimmungen und an die Vorschriften ihres Statuts gebunden, welches