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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Bewußtsein

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Bewußtsein

wußtseins, welche dem gesunden Menschen im völlig wachen Zustand zukommt und sich kundgiebt in der Fähigkeit, richtige Vorstellungen von der Außenwelt zu bilden, innere Vorgänge (Gedanken, Gefühle u. s. w.) als solche zu erkennen und willkürlich die Aufmerksamkeit innern oder äußern Vorgängen zuzuwenden. Während der gewöhnliche Sprachgebrauch unter B. im wesentlichen Zustände versteht, wo keinerlei Zeichen von Wahrnehmung äußerer Eindrücke, insbesondere keine den Charakter der Willkür tragenden Bewegungen und Handlungen vorhanden sind, wendet die mediz., besonders die gerichtliche Psychologie diesen Ausdruck auch an für Zustände, bei welchen noch Vorgänge im Bewußtsein (Phantasievorstellungen, Gefühle, Hallucinationen) stattfinden und sich in eventuell selbst komplizierten Handlungen äußern, bei denen aber die Fähigkeit, sich eine richtige Vorstellung von den jeweiligen innern und äußern Erlebnissen zu bilden, und die Kontrolle der Gedanken durch äußere Wahrnehmungen aufgehoben ist und demnach die Fähigkeit zu freiem, zweckmäßigem Handeln fehlt. Das Prototyp der B. im erstern Sinn und gleichzeitig die einzige im normalen Leben vorkommende Form von B. ist der völlig traumlose tiefe Schlaf. Hier fehlt nach dem Erwachen jede Erinnerung an innere (Träume) oder äußere Vorgänge während der Zeit des Schlafens, was das wesentlichste, aber keineswegs immer völlig zuverlässige Merkmal für stattgehabte B. ist. Die zweite Form wird z. B. repräsentiert durch den von lebhaften Träumen beunruhigten Schlaf, in welchem den willkürlichen gleichende Handlungen (aus dem Bett springen, Nachtwandeln) ausgeführt werden können. Ähnliche Zustände kommen vielfach vor bei krankhaften Zuständen des Nervensystems, besonders des Gehirns, als desjenigen Organs, welches das Selbstbewußtsein vermittelt, z. B. bei Entzündungen im Schädelinnern, bei Epilepsie, Hysterie, bei Vergiftungen durch im Körper entstandene (Harn-, Gallenbestandteile) oder von außen einverleibte Gifte, besonders Narkotika, Alkohol u. s. w., bei fieberhaften, insbesondere typhösen Krankheiten, endlich auch schon bei Einwirkungen, welche heftigen Schmerz (Geburt) oder hochgradige Affekte (Schreck, Angst) mit sich bringen. Diese meist als Delirien bezeichneten Zustände beeinträchtigten Selbstbewußtseins, bei welchen nach dem Erwachen (Genesen) die Erinnerung völlig fehlt oder lückenhaft ist, gehen ohne scharfe Grenzen über in die B. mit Abwesenheit aller Zeichen von Bewußtseinsvorgängen, welche sich bei Einwirkung der nämlichen Schädlichkeiten einstellen, sofern die letztern eine höhere Intensität erreichen, wie nach Hirnerschütterung, bei hochgradiger Blutarmut des Hirns, bei Blutungen in demselben u. dgl. Diese Form von B., welche von der klinischen Medizin meist als Coma bezeichnet wird, findet sich auch als Teilerscheinung der gewöhnlichen Ohnmacht. Eine besondere Modifikation von B. wird beim Hypnotismus (s. d.) beobachtet. (S. auch Ohnmacht, Scheintod, Schlafsucht, Delirium, Schlaftrunkenheit, Nachtwandeln, Ekstase, Betäubung, Anästhesieren.)

Bewußtsein, der allgemeinste Ausdruck für die Thatsache, daß irgend etwas irgend jemand bewußt ist. Das, was einem bewußt ist oder sein kann, heißt Bewußtseinsinhalt, das Bewußt-sein selbst oder die Beziehung des Bewußtseinsinhalts auf ein Ich, welches dieses Inhalts sich bewußt ist, wird, der sichern Unterscheidung halber, auch wohl durch das seltenere Abstraktum "Bewußtheit" bezeichnet. Die Bedingungen nachzuweisen, von denen es abhängt, daß wir von irgend einer Veränderung in unserm Organismus ein B. haben, ist eine Aufgabe der Physiologie. Für die Philosophie enthält das B. andere, schwerwiegende Probleme, hauptsächlich in zwei Richtungen. Einerseits scheint das B. recht eigentlich die Subjektivität zu bedeuten. In dieser Hinsicht bezeichnet es das Problem der Psychologie; sie hat die Aufgabe, den Befund des subjektiven B. klar herauszustellen und auf seine letzten subjektiven Wurzeln (Empfindung oder Gefühl?) zurückzuführen. Die andere Aufgabe ist dieser gewissermaßen entgegengesetzt: das B. bedeutet doch zugleich auch die Erkenntnis; für diese aber ist die Erscheinung nicht mehr das schlechthin Subjektive, sondern vielmehr Repräsentant des Objekts. Es entsteht also die Aufgabe, zu zeigen, auf welchen Grundgesetzen die Objektivierung der Erscheinungen (d. h. des ganzen, vorher bloß als subjektiv betrachteten Inhalts des B.) beruht. Das ist die Aufgabe der Erkenntnistheorie (s. d.), welche demnach mit der Psychologie ihrem ganzen Gebiete nach zusammenfällt, in der Richtung ihrer Untersuchung aber ihr geradezu entgegengesetzt ist. Hat es die Psychologie mit der ganzen Mannigfaltigkeit der Bewußtseinserscheinungen zu thun, so ist der höchste Punkt, auf den die Erkenntnistheorie zielt, vielmehr die Einheit des B., in der die Einheit des Gegenstandes und damit der Erkenntnis wurzelt. Im Verhältnis zu ihr hat sie allen sonstigen Inhalt des B. zu erwägen, weil von diesen: Verhältnis der objektive Wert desselben abhängt. Auf ihr beruhen Begriff, Gesetz, Wahrheit, auf dem Verhältnis zu ihr auch der Gegensatz des Apriorischen und Empirischen in der Erkenntnis. Sie ist der höchste Ausdruck nicht bloß des Objektbewußtseins, sondern auch des Selbstbewußtseins; denn die höchste Bewußtheit bedeutet nicht bloß die strengste, gesetzmäßige Beziehung unter dem gesamten Inhalt, der uns bewußt ist, welche identisch ist mit der höchsten Stufe der Objektivierung, sondern damit zugleich die strengste Beziehung des ganzen so begriffenen objektiven Erkenntnisinhalts auf den Erkennenden; nicht bloß die höchste Konzentration des objektiven Inhalts (in der Einheit der Erkenntnis), sondern zugleich die höchste Konzentration des B. selber in der Einheit des Ich (vgl. Apperception). Doch wird auch auf dieser höchsten Stufe weder ein Objekt an sich noch ein Subjekt als Substanz erkannt, sondern, wie die Objektivität, auch in der reinsten Objektivierung der Erscheinungen, doch an die Grundbedingungen unserer Erfahrung gebunden bleibt, so bedeutet andererseits das B. hier so wenig wie auf irgend einer der niedern Stufen der Bewußtheit eine selbständige, beharrende Existenz, sondern eine stets an den gegebenen Stoff gebundene, für sich an Inhalt gänzlich leere Funktion, von der wir nicht wissen, was ihr als letztes Subjekt (im Sinne von Substanz) zu Grunde liegen mag. Diese eigentümlichen und schwierigen Verhältnisse mit nüchterner Klarheit entwirrt zu haben, ist eins der größten Verdienste der Vernunftkritik Kants.

Unter der Enge des B. versteht man die Thatsache, daß in einem bestimmten Zeitmoment nur eine begrenzte Anzahl von Einzelvorgängen bewußt vorhanden ist. Man hat sie experimentell für bestimmte Sinnesgebiete nachgewiesen, indem man die